Hallo Wilfried,
es liegt also im Bereich des Möglichen, dass Mr. Anderson im Laufe seines künstlerischen Schaffens gelernt hat, Noten zu lesen und Partituren zu schreiben. Trotzdem habe ich in seiner Vita noch einige Lücken: Wann und vor allem wie hat er gelernt, so viele Instrumente zu spielen ? Soweit ich weiß, hat er eine Kunstschule besucht und auch mal daran gedacht, Journalist zu werden. Wo findet in diesem seinem Lebensweg die musikalische Ausbildung ihren Platz ? Sicher weißt Du hierüber mehr.
Die gute Mrs. Bush. Ihre Stimme. Ihre Ausstrahlung. Ihre Musik. Jeder dieser Faktoren ist bemerkenswert. Es wird Dich sicher überraschen, aber ich finde nicht alle ihrer Lieder gut. Ich denke sogar, dass das ein oder andere ihrer Alben von vorn bis hinten der reinste Schrott ist. Ihre Stimme empfinde ich auch nicht immer als angenehm. Stellenweise, wenn sie gar zu engagiert singt, klingt ihre Stimme hysterisch. Aber es sind die in meinen Ohren „guten“ Alben, die dafür gesorgt haben, dass ich Mrs. Bush seit über 25 Jahren nie ganz aus den Augen verloren habe. Wie bei anderen Künstlern auch sind es ihre Frühwerke, die es mir besonders angetan haben. Eben jene Werke, die ihren Ruf als Elfe begründet haben. Bei näherem Nachdenken sind es vielleicht nur 15 bis 20 Titel von ihr, die mir besonders gefallen. Aber die eben ganz besonders. Einen Vergleich zwischen Kate Bush und Aguillera, Spears, Madonna, Minogue, Anastacia oder wie sie alle heißen lehne ich ab. Nicht nur wegen der Musik. Es sind ganz verschiedene Welten. Auf der einen Seite Mrs. Bush, bei der sich Singstimme, Kompositionen, Performance, Texte, Talent, Körperbeherrschung zu einem fantastischen Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Auf der anderen Seite Diseusen, die versuchen, mangelnde künstlerische Qualitäten durch auffällige Bühnenoutfits zu kompensieren.
Schon sind wir wieder beim Thema Erotik. Selbst wenn Madonna und Co. Kostüme tragen, deren Stoff nicht ausreichen würde, um eine Krawatte zu schneidern, werden sie nie die Ausstrahlung einer Kate Bush erreichen. Ich finde Kate Bush in einer fleckigen Küchenschürze anziehender als Mrs. Spears im Stringtanga. Nur so als Beispiel. Eines kann das beste Bühnenoutfit der Welt nicht ersetzen: Persönlichkeit. Und die, lieber Leser, hat Kate Bush ! Ich denke, in diesem Punkt wirst Du mir zustimmen.
Soviel zur Popmusik, zurück zu seriösen Themen, zu Jethro Tull: Dass die Mannen um Mr. Anderson in ihren Strumpfhosen Dich nicht anmachen, beruhigt mich irgendwie. Anders wär‘ s nämlich schlecht. Falls diese Beinkleider wirklich, wie von mir vermutet, so etwas wie eine sexuelle Signalwirkung haben sollten, dann wohl eher auf eine weibliche Zielgruppe. Bei strenger Betrachtungsweise haftet Mr. Anderson etwas Laszives an: Die unsittlichen Hosen, die obszönen Gesten mit der Flöte, die mehrfache Verwendung der Vokabel „sperm“. Ich kenne nicht alle Tull-Texte, aber ich bin sicher, dass sich hier noch mehr Ausdrücke finden ließen, die ein Kirchenchor nicht verwenden würde. Bevor wir uns falsch verstehen: All das stört mich nicht, ich stelle lediglich fest.
Das Heavy Horses – Video habe ich mir noch einmal angeschaut. Eine wirklich gute Qualität und ein wirklich starkes Lied. Gutes Thema, guter Text, sehr gute Stimme und natürlich sehr gute Musik. Mann, waren das Zeiten ! Der große Ohrring, den der Meister in diesem Video trägt, steht ihm übrigens sehr gut. Passt zum Outfit und zum situativen Kontext des Songs.
Das bringt mich zur heutigen Schmähung:
Endlich ! Endlich habe ich etwas gefunden, das noch lächerlicher und peinlicher wirkt als ein älterer Millionär mit Kopftuch: Mick Abrahams mit langen Hängeohrringen ! Das habe ich auf seiner Homepage gesehen, deren Link in Deiner letzten mail zu finden war. Du kannst es ruhig zugeben: Genau deswegen hast Du mir den link gesandt.
Ich wünsche Dir den inneren Frieden
Lockwood
PS: Ich würde sehr gerne etwas zu Mr. Barre schreiben. Selbstverständlich bin ich wie Du der Meinung, dass der alte Knabe jede Würdigung verdient hat. Aber leider fällt mir auf Anhieb nichts zu ihm ein. Der Kerl ist einfach zu unauffällig, ohne Ecken und Kanten. Tu‘ mir einen Gefallen: Erwähne ihn irgendwie in Deiner nächsten mail; ich werde das Stichwort aufgreifen und versuchen, ob ich etwas daraus machen kann.
Seine Soloplatten kenne ich nicht. Reine Rockmusik, vermute ich. Singt er ?
07.11.2006
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Hallo Lockwood,
leider weiß ich nichts Genaueres zu Ian Anderson in seiner Eigenschaft als Multiinstrumentalist. Ich denke mir aber, dass man zum Spielen verschiedenster Instrumente nicht unbedingt eine musikalische Ausbildung im weitesten Sinne benötigt. Eigentlich sind es ja nur zwei Instrumente, die er spielt: Querflöte und akustische Gitarre. Nach eigener Aussage (wohl im Interviewteil zur DVD: Nothing is Easy: Live at the Isle of Wight 1970) hatte Anderson sich zunächst an der Gitarre versucht, wie fast alle Jungs, die einmal als millionenschwere Rockstars herauskommen wollen. Als er dann merkte, dass er z.B. einem Jimi Hendrix nicht das Wasser reichen könne, ist er auf Querflöte umgestiegen. So oder so ähnlich. Du weißt, man darf die Aussagen des Meisters nicht auf die Goldwaage legen.
Wer nun Gitarre spielen kann, kommt auch schnell mit anderen Zupfinstrumenten klar (Mandoline, Balalaika). Ähnlich ist es dann mit Querflöte und Saxophon (allgemein wohl als Holzblasinstrumente bezeichnet). Die Grifftechnik ist ähnlich (statt horizontal eben vertikal), nur der ‚Ansatz’, also die Blastechnik, ist anders, aber bei einem Talentierten schnell umzusetzen. Klavier hat er eigentlich nie gespielt. Auch keine Blechblasinstrumente. Oder wüsste Du, bei welchem Stück? Die Liste der Instrumente, die Anderson halbwegs gut beherrscht, ist sicherlich lang, lässt sich aber meines Erachtens auf diese zwei Instrumentarten beschränken.
Ich will hier keine der besagten Damen (Madonna usw.) in Schutz nehmen. Deren Musik und Bühnengetue gefällt mir auch nicht. Und der erotische Reiz hält sich auch bei einem alten Herrn wie mir in Grenzen. Aber wenn die Damen nichts auf der Rolle hätten, wären sie sehr schnell weg vom Fenster. Ob einem dabei der Gesang usw. gefällt, ist ein anderes Thema. Aber lassen wir das.
Mir würde sicherlich Ian Anderson und seine Musik auch gefallen, wenn er brav auf einem Barhocker sitzend im Stresemann seine Lieder vortrüge. Okay, damals vor nun über 37 Jahren fand ich sein Aussehen mit langer Mähne, Bart und abgelatschten Klamotten ganz stark. Und so bin ich dann auch herumgelaufen. Aber es war, da bin ich mir heute sicher, nicht sein Outfit, was mich begeisterte, sondern … seine Musik! Spätere Wandlungen im Äußeren konnte ich dann weniger nachvollziehen (am wenigsten am eigenen Leib). Manches sah eher bescheuert aus. Wenn ich hier und da meinen Söhnen ein altes Video von Anderson und Co. zeige, dann sind mir die Klamotten eher peinlich und ich sehe mich, wie ich ausdrücklich auf die Musik verweise.
Wie schon so oder ähnlich gesagt: Als junger Mensch sieht man das alles etwas anders. Da legt man mehr Wert aufs Aussehen. Und je auffälliger, desto besser. Das Ganze hat dann sicherlich auch etwas mit Gewöhnung und Zuordnung zu tun. Rockmusiker sind eben auffällig in jeder Beziehung (Sex, Drugs & Rock ‚n’ Roll). Und wenn man schon nicht durch Sex- und Drogenexzesse auffällt, dann eben durch entsprechende Klamotten. Je einfältiger ein Rockmusiker ist, um so mehr vermischt dieser Öffentlichkeit und Privatleben. Genau hier ist es bei Anderson und Co. alles anders. So auffällig sie beim öffentlichen Auftritt sein mögen, um so normaler waren und sind sie es im privaten Leben: Keine im Suff zerstörten Hotelzimmer und kein Lotterleben mit Groupies. Sobald sie die Bühne verließen, kehrte die Normalität wieder ein. Wenn es Exzesse gab, dann verbal, indem Anderson den Journalisten Märchen erzählte. Vielleicht ist das auch ein Grund, dass Jethro Tull noch heute ständig über den Globus tourt. Wenn die Stones nach langer Zeit zu einer Tour aufbrechen, dann muss ein Keith Richards zunächst für Wochen in ein Schweizer Sanatorium zur Dialyse.
Mick Abrahams und die Schweine. Das grenzt wohl an eine Manie, wie der gute Mick immer wieder auf seine Schweine (in jedem 2. Songtitel) zurückkommt. Dann darf man sich nicht wundern, wenn er zunehmend selbst das Aussehen eines Schweines erlangt. Dazu gehören dann auch große Hängeohrringe, die Schweine bekanntlich in der Nase tragen. Dazu ist aber sein Näschen leider etwas zu klein geraten. Aber genug der Schmähungen auch von meiner Seite. Ich finde, Abrahams ist ein sehr passabler Gitarrist. Und er hat einige Stücke geschrieben (ich denke da an die ersten zwei Original-Blodwyn Pig-Scheiben), die es verdienen, in den Rock-Olymp aufgenommen zu werden. Immerhin hat er es ja auch geschafft, mit Musikern wie Ian Anderson und Jack Lancaster zusammen zu arbeiten. Was er heute noch so spielt, wird die Erde nicht mehr in ihren Grundfesten erschüttern. Wer Blues mag, der wird Abrahams mögen.
Für den 17. November bereite ich einen kleinen Beitrag zu Martin Barres 60. Geburtstag vor. Ich habe ein Video, in dem er während eines Tull-Konzertes auch einen eigenen Titel spielen durfte. Ist übrigens seit vielen Jahren so Usus. Zwei seiner drei Scheiben habe ich mir gekauft. Das ist technisch wohlfeile Gitarrenmusik, allerdings manchmal etwas verworren. Martins Gesang? Auf der ersten Scheibe (A Trick of Memory) singt er auch zweimal. Sonst lässt er singen. Und Mitstreiter sind Maartin Allcock, Andrew Giddings, Jon Noyce bzw. Matt Pegg (Dave Peggs Sohn) und andere aus dem Tull- und Fairport Convention-Umfeld.
Im Anhang ein Lied, nicht ganz so repräsentativ für das Barre’sche Musikschaffen, dafür sind die Stücke insgesamt zu unterschiedlich (’mal rockig mit E-Gitarre, dann wieder fast klassisch mit akustischer Gitarre): den Titelsong „A Trick of Memory“ des ersten Albums (Martin singt auch). Fröhliches Lauschen.
Martin Lancelot Barre: A Trick of Memory
Es reicht oder wie der Franzose sagt: ça suffit!
Am Ende des Tunnels erblicke ich wieder Licht: Das nächste Wochenende naht!
Also ein schönes solches.
Wilfried
P.S. Ich habe noch viele alte und neue Videos von Jethro Tull, die bisher bei youtube.com noch nicht zu finden sind (das „Heavy Horses“-Video gab es zwar schon in der Version, aber bisher nur in Kurzfassung). Da youtube.com nichts kostet, werde ich so nach und nach diese dort ‚einspeisen’. Ich habe auch einen eigenen Channel, wie sich das dort nennt, über den man auf alle meine Videos Zugriff erhält. Gestern habe ich allein 5 Videos (u.a. auch das mit Martin Barre) aufgearbeitet und überspielt.
09.11.2006