„Im Mittelpunkt der Ernährungssoziologie stehen nicht die Lebensmittel und ihre Verarbeitung wie die Geschichte der Kartoffel oder des Kaffees in Europa, sondern die soziale Verzehrsituation (Tischordnung, Anlass, Brauch, Ritual), der gesellschaftliche Stand und die jeweils unterschiedliche Ernährung (Bier oder Wein, Lammbraten oder Innereien) und die regionale oder internationale Verbreitung (Diffusion) von Lebensmitteln und ihre Popularität.“ (Quelle: de.wikipedia.org)
Den Begriff Verzehrsituation habe ich neulich zum ersten Mal gehört. Es war im Radio und zudem auf Plattdeutsch und wenig ernst gemeint. Es ging dabei um den Verzehr ‚zwischen Tür und Angel’, wie ich es nennen möchte, um Fast Food im weiteren Sinne.
Man macht sich bei solchen Begriffen so seine eigenen Gedanken. Und recherchiert vielleicht wie ich auch etwas im Internet. Nun, Tischordnung, Anlass, Brauch und Ritual war in dem Beitrag nur beiläufig gemeint. Denn wer seine Mahlzeit nicht im gewohnten Rahmen (z.B. zu Hause am Essenstisch) einnimmt, sondern unterwegs, vielleicht noch in der Bahn, der hat keine Tischordnung, der Anlass ist lediglich Hunger, von Brauch und Ritual kann keine Rede sein, außer dass der Essende sich das Essen ‚rituell’ gedankenlos, da nicht anders gewohnt, in den Mund stopft.
Ich bin dabei auf ein Modell zur Nahrungsforschung von Ulrich Tolksdorf gestoßen: Seine Grundeinheit ist die „Mahlzeit“. Er zerlegt sie in einem Baumdiagramm in „Speise“ und „Verzehr-Situation“ (da haben wir wieder das Wort). Den Speisekomplex wiederum sieht er zusammengesetzt aus Nahrungs-Mittel und kultureller Technik. Die Verzehr-Situation spaltet er auf in soziale Zeit und sozialen Raum.
Das mit Zeit und Raum, zu dem sozial definiert, kommt der Sache schon etwas näher. Der, um den es mir hier geht, der also z.B. im Zug zwischen Hamburg und Bremen seine Nahrung zu sich nimmt, scheint mir jeden sozialen Bezug zu Raum und Zeit (und damit zu seinen Mitmenschen) verloren zu haben. Wenn z.B. in Zügen des Metronom sehr schnell Brühe als Heißgetränke aus Automaten aus dem Angebot gestrichen wurde (siehe meinen Beiträge: Es ist noch Suppe da), so ist das nicht verwunderlich. Wer mag schon Fettaugen auf seinem Kaffee. Außerdem stank es im ganzen Zug erbärmlich. Pommes und Hamburger, die nach ranzigem Frittenfett stinken, von nach Hause eilenden Mitfahrern verzehrt, duften nicht gerade angenehmer. Wahrscheinlich hilft tatsächlich nach Rauch- und Alkoholverbot nur ein Verzehrverbot, zumindest von warmen Speisen, bei den Bahnen im Nahverkehr (Der bahnreisende Querulant meldet sich wieder zu Wort).
Ein Wort – und eine ganze Wissenschaft! Die muss es wohl geben, um den Menschen zu zeigen, dass der Verzehr von Speisen nicht nur der Sättigung dient, sondern auch einen sozialen Aspekt besitzt. Ich gestehe, auf der Arbeit auch oft meine Stullen oder was auch immer so gedankenlos ‚zwischen Tür und Angel’ zu essen. Im Grunde schmeckt mir das dann gar nicht. Wie schön ist es dagegen gemeinsam zu Hause mit seinen Lieben zu speisen.
Essen ist ein Teil unserer Kultur. Und die sollte man pflegen. Von Massentierhaltung, Gen-Technik bei Lebensmitteln sowie dem Spekulieren damit usw. will ich lieber schweigen …
Übrigens: Die Verzehrsituation spielt auch eine Rolle bei der Mehrwertsteuer: Für die meisten Lebensmittel in Deutschland gilt ein Mehrwertsteuersatz von 7 %. Abhängig von der Verzehrsituation können aber auch 19 % Mehrwertsteuer fällig werden, z.B. wenn ein Essen zubereiten und im Verkaufsraum zum Konsum angeboten wird, so entfällt darauf der volle Mehrwertsteuersatz. Die Zubereitung, Portionierung und Ausgabe der Speisen und Getränke, die Bereitstellung und Reinigung der Räumlichkeiten und des Geschirrs wird als Dienstleistung eingestuft und deshalb mit 19 % besteuert. Man könnte jetzt sagen: Um so kultivierter man die Speisen zu sich nimmt, um so teurer wird es. Danke, Herr Finanzminister!