Menschenjagd und Selbstradikalisierung

Das Internet ist Segen und Fluch zugleich. Mit Hilfe des Internets und besonders dank der ausgewerteten Videokameraaufzeichnungen konnten die mutmaßlichen Bombenleger vom Boston-Marathon schnell ausfindig gemacht werden, die Brüder Tamerlan, 26, und Dschochar A. Zarnajew, 19 Jahre alt. Tamerlan Zarnajew starb bei einem Schusswechsel mit der Polizei am 19. April. Sein Bruder Dschochar wurde am 20. April 2013 mit einem Halsdurchschuss verletzt in Watertown gefasst, nachdem der Vorort von Boston hermetisch abgeriegelt und von bis zu 9000 Polizisten systematisch durchsucht worden war. Die Suche war zunächst erfolglos. Nach fast 15-stündiger Flucht konnte man Dschochar um 19:30 Uhr Ortszeit in einem Boot in einem Garten in der „Franklin Street“ in Watertown ausfindig machen. Dem Besitzer waren Blutspuren und die flatternde Abdeckplane aufgefallen. Um 20:44 Uhr Ortszeit gab Dschochar Zarnajew nach zwanzigminütigen Verhandlungen mit der Polizei schwer verletzt auf:

Die Jagd (Manhunt) auf Dschochar A. Zarnajew konnte man nach US-amerikanischer Art auch in Deutschland live miterleben. Zum einen berichtete am letzten Freitag und danach der ZDF-Reporter Christoph Röckerath auf seinem Twitter-Account laufend von den weiteren Entwicklungen. Ebenso konnte man sich über das Twitter-Konto der Bostoner Polizei informieren. Die ARD berichtete über eine Art Live-Ticker. Live-Bilder sendete u.a. der US-amerikanische Sender CNN. Auf Youtube sind seither diverse Videos (auch auf Deutsch) zu sehen.

CNN Live: Manhunt

Inzwischen wurden viele Details zu den Brüdern Zarnajew bekannt. Sie sind tschetschenischer Abstammung und wuchsen in Kirgisistan auf, bevor die Familie 1999 nach Dagestan zog. 2002 reisten die Brüder mit ihrer Familie in die USA ein. Seit 2012 ist der jüngere der Brüder, Dschochar, US-amerikanischer Staatsbürger. Sein Bruder Tamerlan war bei der Bostoner Polizei aktenkundig wegen Gewalttätigkeit gegenüber seiner Lebensgefährtin gewesen. 2011 hatte die russische Regierung beim FBI um Informationen über Tamerlan Zarnajew gebeten, weil man eine Radikalisierung seiner islamistischen Einstellungen vermutete. Zwei Beamte des FBI suchten daraufhin die Familie Zarnajew auf, fanden jedoch keine Hinweise auf terroristische Aktivitäten. Das Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten lehnte eine Einbürgerung Tamerlans mit der Begründung ab, FBI-Beamte hätten ihn befragt.

Im Jahr 2012 besuchte Tamerlan sechs Monate lang seine Heimat Dagestan und Tschetschenien. Einen Monat nach seiner Rückkehr erschien unter seinem Namen eine Webseite auf Youtube, die auf verschiedene Dschihadistische Videos verwies, unter anderem auf die radikal-islamistischen Prediger Abdul al-Hamid al-Juhani und Feiz Mohammed, sowie auf islamistische Lieder des Sängers Timur Muzurajew. Von Dschochar Zarnajew ist unter der Schreibweise Djohar Tsarnaev ein Account bei VK bekannt, einem Facebook-ähnlichen Online-Netzwerk, das vorwiegend in den GUS-Staaten genutzt wird. Es wird vermutet, dass Dschochar durch seinen älteren Bruder Tamerlan radikalisiert wurde, denn Dschochar galt eigentlich als in die US-amerikanische Gesellschaft integriert, wie ehemalige Schulkameraden von ihm bekunden.

Was veranlasst zwei junge Männern sich zu solch unsinnigen Taten hinreißen zu lassen? Tamerlan, der ältere der Brüder, fühlte sich in den USA allein gelassen. Er verstehe sie (die US-Amerikaner) nicht. So in einem Post auf seiner Google-plus-Seite. Man spricht von einer Selbstradikalisierung. Hier ist der Fluch des Internets, der Hasspredigern die entsprechende Plattform liefert und junge Leute gewissermaßen infiziert. Aber es sind immer viele Gründe, die Auslöser zu solchen Taten sind.

Wir wissen längst, dass sich auch in Deutschland junge Muslime radikalisiert haben. Bereits mehrfach konnten seit 2002 islamistische Terroranschläge in Deutschland vereitelt werden (u.a. die Sauerland-Gruppe). Aber auch von anderer Seite droht Gefahr. Besonders aus dem rechtsextremistischen Lager kennen wir zunehmend Straftaten, die ihren bisherigen Höhepunkt in den terroristische Akten der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) hatten.

Islamisten und Rechtsradikale gehen heute nach ähnlichem Schema vor. Es sind meist keine größeren Vereinigungen mehr, sondern kleine Gruppen, ja sogar Einzeltäter, die sich selbst radikalisiert haben. Waffen lassen sich in den USA leicht beschaffen. Aber auch bei uns dürfte das inzwischen deutlich erleichtert sein. Und zum Bombenbau gibt es Anleitung im Internet.

Ohne hier Panik verbreiten zu wollen, so denke ich, dass man radikale Gruppen welcher Couleur auch immer nicht unterschätzen darf. Leider lassen sich durch gruppendynamische Prozesse auch zuvor harmlose Menschen zu unsinnigen Taten hinreißen. Verharmlosung ist auf jeden Fall das falsche Mittel. Aber natürlich darf das z.B. auch nicht zu einem Generalverdacht gegen alle Muslime führen. Wir als einzelne Menschen können nur versuchen, ein Klima der Verständigung und Toleranz zu schaffen. Dem Entstehen von Terrorismus muss der Nährboden entzogen werden.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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