In den 70er Jahren galt Martin Walser als Kommunist, zwanzig Jahre später dann fast schon als Nationalsozialist, zumindest als einer, der den Rechten zuspielt (so mit seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte). Wer viel schreibt und auch viel in der Öffentlichkeit sagt, bietet genügend Angriffsfläche.
Walser ist eloquent, in seinem Schreiben wortreich und ausdrucksvoll, geradezu wortgewaltig. Er lädt dazu ein, missverstanden zu werden. In seiner Beharrlichkeit, auf Begriffe zu bestehen, gelingt es ihm dann nicht immer, diese Missverständnisse auszuräumen.
Was mich lange stutzig gemacht hat, ist die nachgesagte Nähe Walsers zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Es galt als deren Sympathisant. Er war nach Moskau gereist, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und hatte keine ‚Skrupel’ – die ‚Krönung’ aus der Sicht konservativer Kreise -, auch in der UZ, der Zeitung der DKP zu publizieren.
War nun Walser ein Kommunist? Antwort erhoffte ich mir aus Jörg Magenaus Martin Walser-Biographie (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo 24772 – aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Oktober 2008).
Es ist nicht ganz leicht, ein halbwegs genaues Bild vom politischen Weg Walsers zu bekommen. 1969, als sich linke Intellektuelle (Günter Grass u. a.) für die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler einsetzten, empfahl Walser die ADF – Aktion Demokratischer Fortschritt, ein linkes Bündnis. Das sollte dann aber auch seine letzte Wahlempfehlung für eine linksgerichtete Partei sein. Die DKP lehnte er deshalb ab, weil sie von Ost-Berlin gesteuert und moskautreu war. Ihm fehlte (schon damals) das nationale Element. Walser schwebte dagegen ein demokratischer Sozialismus vor, wie er vor allem von den kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs vertreten wurde, dem so genannten Eurokommunismus; auf Walser bezogen könnte man seine Vorstellung auch einen ‚demokratischen Nationalkommunismus’ nennen.
„Neue Freunde bringen Rettung und Heilung. Mit ihnen erlernt er soziale Verhaltensweisen. Das kranke bürgerliche Individuum gesundet im kraftvollen Kollektiv der Genossen. Walser demonstriert an Gallistl [Die Gallistl’sche Krankheit, Roman 1972] die Einübung in den Sozialismus und tastet sich voran zu ‚Tonarten der Hoffnung’“, heißt auf Seite 301 der Biographie und weiter: „Die Erlösungshoffnung ist brüchig, aber sie besteht.“
Zum angesprochenen Roman schrieb Paul Konrad Kurz im Spiegel: Gesundung in der Partei?:
„Der Ich-Erzähler Josef Georg Gallistl beschreibt sein Krankheitsbild. Da die zu beschreibende Krankheit noch keinen Namen hat, leiht er ihr den eigenen. Gallistls Fall ist in Kürze dieser: Es ist ihm völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, Lust zu empfinden, Sinn zu erfahren, Zukunft vor sich zu sehen, menschliche Kontakte nicht der Lüge, die Gesellschaft nicht der Unmoralität zeihen zu müssen. Es ist die Krankheit des Intellektuellen, vorab des Schriftstellers in dieser Zeit und Gesellschaft. […]
Gallistls ‚Vorstellung von einer besseren Welt’ und dem ‚Leben einen Sinn geben’ mündet in die ‚Partei’. Die im Roman anvisierte sozialistische Idee meint nicht einen bereits vorhandenen Staatsmarxismus oder eine einfach übernehmbare Parteivorstellung. In der neuen Hier-und-Jetzt-Partei darf und muß man selber denken.“
Die Betonung liegt auf ‚selber denken’.
Um diese Art von Utopie zu verstehen, muss man den gesellschaftlich-politischen Hintergrund eingeziehen. 1968 wurden von der großen Koalition von CDU/CSU und SPD die Notstandsgesetze verabschiedet. 1972 erfolgte ein Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer und Bundeskanzler Willy Brandts, der so genannte Radikalenerlass, der insbesondere auf die Deutsche Kommunistische Partei zielte.
Ähnlich wie es viele heute sehen, so sah Walser keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen den Konservativen und den Sozialdemokraten, zwischen CDU/CSU und SPD. Was damals die DKP war, findet sich heute vielleicht in der Linken wieder – eine Position links der verbürgerlichten SPD. Wählbar aber waren bzw. sind beide kaum. So muss eine eigene Alternative her, wenn auch nur eine vorstellbare.
Ich kann Martin Walser sehr gut verstehen. Seine so genannte Nähe zur DKP war eine Ausschau nach dieser Alternativen – spätestens mit dem Besuch eines internationalen Schriftstellerkongress 1971 in Moskau, war ihm bewusst, dass es diese Partei wohl nicht sein kann: „Auf das pathetische öffentliche Bekenntnis zum Sozialismus folgte dort postwendend die Ernüchterung. Der Besuch in Moskau war, so sagte er rückblickend, ‚Tödlich für jede Hoffnung.’“ (S. 295)
Als die Grünen gegründet wurden, sah Walser in ihnen eine mögliche Alternative. Heute hat sich seine Ansicht da sicherlich relativiert, auch wenn sein Lebensgefühl eigentlich grün ist, wie er sagt. Immerhin ist er von Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs, ganz angetan.
In der Biographie auf S. 369 steht geschrieben: „Er bekennt, daß seine Meinungen von früher ihm fremd geworden sind. Oder genauer: Nicht die Meinungen sind ihm fremd, sondern das Meinen. Er ist immer weniger dazu in der Lage, die dafür erforderliche Eindeutigkeit und Entschiedenheit herzustellen. Er sieht, was er dafür alles weglassen muß, und entwickelt das Bedürfnis, nur noch das zu sagen, was ihn ganz enthält. Das ist seine neue Utopie: eine so umfassende Ausdrucksfähigkeit, daß kein ungesagter Rest zurückbleibt. Meinungen dagegen hinterlassen immer das Gefühl, etwas Wesentliches zu verschweigen: sich selbst.“
Wer das als mögliche politische ‚Trendwende’ versteht, liegt falsch. Walser ging es nie um Allgemeingültiges, um Öffentlichkeit, „deren Sprechen Gefahr läuft, zum Ritual zu verkommen“ (so heißt es nämlich weiter). Es geht ihm um sich selbst, Integrität oder wie immer man es nennen will. Sein Problem: Was er einmal gesagt (oder geschrieben) hat, bleibt beharrlich missverstanden, wenn es erst einmal missverstanden wurde. Die Worte lassen sich nicht mehr löschen (und das Ungesagte bleibt ungesagt), wohl auch nicht das Missverständnis ….
siehe auch: Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser