Den neuen Schimanski (Loverboy) habe ich mir verspätet angeguckt mit dem inzwischen 75 Jahre alten Götz George. Und endlich auch die neuen Ermittler aus Erfurt im ARD-Tatort, Funck, Schaffert und Grewel (Kalter Engel). Die drei aus Erfurt wirken zusammen so alt zu sein wie Schimanski allein (okay, zusammen bringen sie es tatsächlich zz. auf 92 Jahre). Das tut der Sache aber keinen Abbruch: beide Kriminalfilme haben mir auf ihre Art ganz gut gefallen.
In der Nachbetrachtung gab es in den Kritiken einigen Hohn zu beiden Filmen.
Zum Erfurter Krimi hieß es u.a. bei spiegel.de: „Die Generation Praktikum im Energydrink-Rausch: Mit dem neuen Erfurter ‚Tatort’ will der MDR einen extrem jungen Krimi an den Start bringen – und liefert einen verworrenen Highspeed-Studentenkrimi. Liebe Leute, Finger weg von den Drogen!“ Und in die gleiche Kerbe schlägt n-tv.de mit: „So stellt sich der MDR also die neue Generation der ‚Tatort’-Ermittler vor. Sie trinken Energydrinks statt Kaffee und können Bierflaschen an der Tischkante öffnen. Gelungene Premiere in Erfurt? Selten sah der ‚Tatort’ so alt aus.“
Also anfangs dachte ich auch, was sind das für seltsame Jungspunde. Sympathisch sind die nicht. Und die Chefin, eine Kriminaldirektorin, wirkt aufgesetzt steif. Dann auch noch eine neunmalkluge Praktikantin. Aber mit jeder Sendeminute wurden mir die Drei immer sympathischer (die Chefin ausgenommen). Das mag an den Schauspielern liegen, die das noch möglich Optimale aus ihren Rollen herausgeholt haben. Sicherlich wird hier manches Klischee bedient, das ‚die ältere Generation’ von der ‚heutigen Jugend’ hat. Dass die Praktikantin einen ‚geilen Arsch’ hat, dass es im Hotelzimmer fast zum ‚Fuck and go’ kommt und überhaupt alles ganz schön ‚krass’ ist, Alter. Gefühlte hundertmal ‚Scheiße’ oder ‚fuck’. Aber liegt nicht selbst in der größten Übertreibung viel Wahrheit? Ich selbst bin ein alter Knochen (siehe weiter unten zu Schimanski), habe aber zwei Söhne im Alter von Anfang zwanzig und kenne etwas das Umfeld junger Menschen aus eigener Anschauung. Natürlich gibt es da Stress in der Ausbildung und den Wunsch, dem Ganzen zu entgehen. Hatten wir auch, klar, aber irgendwie ist das heute alles anders. Die Kritiken an dem Erfurter Tatort scheinen mir wie aus der Sicht abgeklärter Schlauberger geschrieben zu sein. Sicherlich haben sie Recht – und auch wieder nicht. Und wie sieht’s mit dem Schimanski aus? Da scheinen jugendliche Schreiberlinge übers Alter herzuziehen:
„Schimanski kramt aus einem Pappkarton zwei Schimanski-Jacken raus und wirft sich dann die weniger verdreckte über. Wie ein Veteran, der sich noch einmal aufmacht. Er tritt die Türen nicht mehr selber ein, Schimanski lässt jetzt treten. Aber er ist im Auftrag des Guten unterwegs, er rettet das Mädchen, ohne selbst gerettet werden zu können.
Der frühere Schimanski kämpfte wie besinnungslos für Gerechtigkeit, der Schimanski von heute leidet unter seiner Gebrechlichkeit. Es zwickt im Schritt, er bräuchte langsam eine Brille, und er nuschelt Begriffe, die keiner mehr kennt, Festnetz zum Beispiel.
Inzwischen lässt er sich allerdings Fahndungsbilder aufs Handy schicken. ‚Kennen sie sich mit solchen Dingern aus – da drin soll ein Foto sein’, sagt Schimanski, der andererseits weiß, dass ‚der Pott jetzt iPod heißt’.“ (Quelle: sueddeutsche.de)
Bis ich so alt bin wie Schimanski aka Götz George, muss noch viel Wasser das Rinnsal namens Töste hinunterlaufen. Aber ich kann schon nachempfinden, wie es mit jedem Tag längst nicht mehr bergauf, sondern nur noch bergab geht. Für seine 75 Jahre hat sich Schimanski ganz gut gehalten. Leider ist es wirklich so, dass sich viele in seinem Alter nicht mehr mit moderner Technik auskennen. Das sollte aber kein Grund zum Spotten sein (wenn sich CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier rühmt, ein E-Mail-Abstinenzler zu sein, so ist das sein Bier). Vielleicht sollten gerade wir, die sich auskennen, hilfreich den alten (älteren) Menschen zur Seite stehen.
Schimanski mag schwer ins Alter gekommen sein. Aber irgendwo ist er immer noch der Alte. So wie sich die Charaktere der Erfurter Ermittler noch ‚entwickeln’ müssen, so ist Schimanski lange schon zu dem Typen geworden, den er heute noch darstellt. Kein Wunder nach 29 Tatort– und weiteren (jetzt) 17 Schimanski-Folgen.
Neue Tatort-Kommissare haben es schwer (siehe Schweiger, den Rächer oder den Tatort Saarbrücken). Aber wie gesagt, die Erfurter müssen sich erst noch ‚entwickeln’. Wenn man sie nicht zu angestrengt beim MDR auf jung zu trimmen sucht, dann kann das durchaus etwas werden. Wie beim Schimanski …