- Machten die Staatsmänner die Fehler, die sie auf der Bühne der Politik machen, als Menschen, in der Familie oder in der Gesellschaft, würde man sie einsperren.
- Die Tagebücher von Edmond & Jules de Goncourt: „Journal – Erinnerungen aus dem literarischen Leben 1851-1896“
Am Sonntag, den 15. Juni, findet in Tostedt die Stichwahl zwischen Dirk Bostelmann und Dr. Peter Dörsam zur Wahl des neuen Bürgermeisters für die Samtgemeinde Tostedt statt. Im ersten Wahlgang erreichten
Dirk Bostelmann (CDU): 39,4 %
Reinhard Riepshoff (SPD): 15,8 %
und Dr. Peter Dörsam (unabhängiger Einzelkandidat): 44,7 %.
Damit hatte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit. Die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen treten bei der Stichwahl gegeneinander an. Zünglein an der Waage könnten die 1820 Wähler des SPD-Kandidaten, Reinhard Riepshoff, sein. Wie entscheiden die sich? Geht es nach der Aussage von Riepshoff, der „echte Bürgerbeteiligung“ forderte (im Wochenblatt-Interview – Ausgabe 21. Mai 2014, S. 15: „Für mich reicht es nicht, die jetzt mangelhafte Bürgerinformation nur zu verbessern. Das ist aus meiner Sicht eine selbstverständliche Pflicht des Samtgemeindebürgermeisters.“) und damit eindeutig Kritik am Amtsinhaber Bostelmann übt, dann können seine Wähler bei der Stichwahl nur Dörsam wählen.
Bürgernähe und Bürgerbeteiligung
Für mich scheiden sich im Punkt Bürgerbeteiligung und Transparenz die Geister zwischen Dirk Bostelmann und Peter Dörsam. Während Dörsam ausdrücklich für einen neuen Politikstil und damit für Information, Beteiligung und offene Diskussion mit den Bürgern wirbt, vertritt Bostelmann die ‚alte Schule’ kommunaler Politik: „Entscheidungen wurden von einigen wenigen getroffen […] und der Rat sollte diese dann nur noch abnicken“. (O-Ton Dörsam). Herr Bostelmann hatte dazu die notwendige Mehrheit (Gruppe CDU/FDP- WG Tostedt mit 19 Mitgliedern + 1 Stimme Bostelmann gegenüber 16 Mandaten SPD, Grüne und Einzelratsmitglied Allwardt). Es ist tatsächlich nicht so, dass der Samtgemeindebürgermeister „Beschlüsse im Alleingang durchsetzen kann.“ Der Samtgemeinderat muss zustimmen. Wenn man aber über die notwendige Mehrheit verfügt, dann ist es ein Leichtes, ‚Entscheidungen … abnicken’ zu lassen.
Genau das ist ein Problem, das die Bürger in Tostedt erkannt haben und weshalb eine Mehrheit im ersten Wahlgang Dörsam gewählt hat. Dirk Bostelmann ist äußerst präsent. Wenn es etwas einzuweihen gibt (und es gab einiges einzuweihen: vom Polizeihaus über das Parkhaus am Bahnhof und dem Krippen-Neubau der evangelischen Johannes-Kindertagesstätte „Im Stocken“ bis hin zum neu gestaltete Platz Am Sande), dann ist er dabei. Natürlich ist es sein gutes Recht, es wird vom Samtgemeindebürgermeister erwartet, dass er sich zeigt und einige Worte sagt. Aber diese Art von ‚Bürgernähe’ hat leider wenig mit der Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen zu tun.
Nach der Niederlage im ersten Wahlgang hat bei Herrn Bostelmann sicherlich ein Umdenken stattgefunden. So zeigt er sich wenige Tage vor der Stichwahl zur Bürgerfragestunde an vier Treffpunkten in der Samtgemeinde. Allerdings hat sein ‚direkter Draht vor Ort’ für mich auch etwas Bedenkliches. Benutzt Herr Bostelmann einen Telefonanschluss des Rathauses allein als amtierender Samtgemeindebürgermeister oder doch in erster Linie als Kandidat für dieses Amt? Gleiches gilt für die dienstliche Mailadresse. Zwischen Amt und erneuter Kandidatur sollte nämlich unterschieden werden. Genau das ist das Problem, als Herr Bostelmann seine Wahlkampfflyer durch „Bufdis“ (Ableistende des Bundesfreiwilligendienstes) verteilen ließ (siehe abendblatt.de). Sicherlich ist das nicht verboten, aber „Er mag die beiden kennen, sie mögen gerade im Urlaub sein und ihm von Herzen gern einen Gefallen tun: Nur, ein Bürgermeister sollte wissen, dass er seinen Wahlkampf nicht mit dem Tun von Helfern verquicken darf, die in seiner Verwaltung beschäftigt sind.“ (Kommentar von Rolf Zamponi, siehe abendblatt.de) Und: „Schließlich muss ein Bürgermeister wissen, was er tut. Er muss die Folgen seines Tun kalkulieren können.“
Herr Bostelmann ist sich wieder keiner Schuld bewusst. Ich fürchte, auch das gehört zur ‚alten Schule’ kommunaler Politik, wo Privates und Amtliches nicht immer säuberlich getrennt werden kann.
„Wechsel um des Wechsels Willen?“
Nein, Herr Bostelmann, es ist ein notwendiger Wechsel. Wenn selbst Ihre Parteifreundin Ursula Alexander (Vorsitzende der CDU Handeloh) sagt: „Mittlerweile haben viele Tostedter Kollegen der CDU erkannt, dass der Zeitpunkt zum Wechsel gekommen ist“, dann wirft das kein gutes Licht auf Sie. Leider hat Ihre Partei versäumt, einen Wechsel ‚aus eigener Kraft’ zu tätigen.
Aus der politischen Mottenkiste
Auf der Website von Dirk Bostelmann warnt dieser vor grünen Experimenten. Keine grünen Experimente!!! Das ist ein Slogan, ich weiß es nicht anders zu benennen, aus der finstersten politischen Mottenkiste. Sie, Herr Bostelmann, wissen und betonen es besonders, das der Gemeinderat das letzte Sagen hat, also Entscheidungen beschließt. Warum versuchen Sie nun den Bürgern ‚Angst’ zu machen? Sollte Herr Dörsam Bürgermeister werden, dann wird dieser niemals vorbei am Samtgemeinderat, in dem Ihre Partei mit FDP und WG Tostedt die Mehrheit hat, Beschlüsse durchsetzen können.
Noch einen Hinweis zur unabhängigen Kandidatur von Peter Dörsam:
Die Stadlander Variante
Peter Dörsam ist nicht der Einzige, der sich als unabhängiger Kandidat hat aufstellen lassen. In Stadland, Landkreis Wesermarsch, kandidiert Christian Säfken, Mitglied der CDU, für die Bürgermeisterwahl der dortigen Gemeinde am 28. September 2014 als Einzelkandidat: „Ich trete als Einzelbewerber an, weil ich denke, dass der Bürgermeister Kandidat der Bürger sein und nicht von Parteien abhängig sein sollte“, sagt Säfken. „Der Bürgermeister steht und fällt mit dem Bürger. Was der Bürger will, ist für ihn oberste Prämisse, sonst ist er der falsche Bürgermeister.“ Im Falle seiner Wahl strebe er eine faire Zusammenarbeit mit allen Ratsmitgliedern an. Es gebe zwar politische Gegnerschaft, aber daraus dürfe keine Feindschaft werden. (Quelle: nwzonline.de).
In Stadlander Rat ist die CDU mit den Grünen verbündet. Übrigens ist Säfken für Dirk Bostelmann kein Unbekannter. Bei der Kommunalwahl am 11.09.2011 wurde sein Parteifreund Säfken über die Liste in den Rat der Gemeinde Tostedt gewählt.
Erstaunt und enttäuscht, aber auch selbstkritisch?
Dirk Bostelmann findet das Ergebnis des erste Wahlgangs unbefriedigend und zeigt sich „ganz schön erstaunt und auch enttäuscht!“ (Tostedter Wochenblatt Nr. 23/7. Jahrgang vom 4. Juni 2014, S. 1). Im genannten Artikel des Tostedter Wochenblatt übt Dirk Bostelmann „auch Selbstkritik“. So spricht er von Baumaßnahmen, die notwendig waren, „lediglich über die Standorte ließ sich streiten.“ Und weiter: „Wir sind bei den Grünen immer angeeckt, die waren sauer über die Beschlusslage und gründeten daraufhin eine Bürgerinitiative.“
Genau, über Standorte wurde gestritten und Alternativen aufgezeigt. Mit dieser Aussage versucht Dirk Bostelmann erneut zu suggerieren, dass die Grünen grundsätzlich z.B. gegen einen Neubau einer Kita wie die jetzt in der Dieckhofstraße waren (darum geht es doch), was nicht stimmt. Kita: ja – Dieckhofstraße: nein! Und die Bürgerinitiative, auch das weiß Herr Bostelmann, wurde nicht von den Grünen gegründet.
Zuletzt:
Ich gehöre nicht zum Wahlkampfteam von Herrn Dörsam. Ich kenne Herrn Dörsam lediglich durch ein Gespräch, das ich im letzten Jahr anlässlich einer Veranstaltung der ersten Töster Kulturtage am 24. August 2013 mit ihm geführt habe. Dieses Gespräch empfand ich als sehr inspirierend. Herrn Bostelmann bin ich auch schon über dem Weg gelaufen. Leider hatte er nicht die Zeit für ein ausführlicheres Gespräch.
Offene Ohren | Offene Türen?
Seltsam: Wenn ich die letzten Meldungen zum noch amtierenden FIFA-Präsidenten (FIFA = Weltfußballverband), Herrn Blatter, lese, da muss ich immer auch gleich an Herrn Bostelmann denken. Warum eigentlich?
Da hat Herrn Blatter die Kritik der UEFA-Funktionäre (UEFA = Europäischer Fußballverband) vor dem Kongress in Sao Paulo offenbar extrem getroffen, hatten diese ihn unmissverständlich zum Abschied aus dem Amt im kommenden Jahr aufgefordert. Blatter kündigte beim Kongress jedoch an, die FIFA in die Zukunft führen zu wollen. Auch Herr Bostelmann ist, was die Einsicht angeht, Fehler gemacht zu haben, ähnlich immun. Und da wettert Blatter jahrelang gegen jede Art von modernen technischen Hilfsmittel, um plötzlich nicht nur die Torlinientechnik zuzulassen, sondern neuerdings auch für den Videobeweis zu plädieren. Analog Herr Bostelmann: Plötzlich predigt er ‚offene Ohren‘ und ‚offene Türen‘, als hätte er Transparenz und Bürgerbeteiligung erfunden: die Bostelmann’sche Mimikry, da steht mir ‚das Maul offen‘ …