Neulich lief im Fernsehen zum wiederholten Male ein US-amerikanischer Thriller aus dem Jahr 2004 mit Tom Cruise als Auftragskiller, der – von einem Taxifahrer chauffiert – von einem Mord zum anderen zieht. Dabei kommt es auch zu Kollateralschäden, d.h. zu an sich unbeabsichtigten, aber „in Kauf genommenen“ Opfern. Der Film heißt Collateral als Abkürzung für collateral damage, also Kollateralschaden, Begleitschaden.
Vor einer Woche, am 17. Juli, stürzte bekanntlich eine Boeing 777-200ER der Malaysia Airlines nach Raketenbeschuss, wahrscheinlich durch eine Buk-Flugabwehrrakete getroffen, die eine Höhe von bis zu 25.000 Meter Höhe erreichen kann, in der Ostukraine ab. Alle 298 Insassen – 283 Passagiere (davon 80 Kinder) und 15 Besatzungsmitglieder – kamen dabei ums Leben. Das Absturzgebiet wird von pro-russischen Separatisten kontrolliert.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko machte pro-russische Separatisten für den Absturz verantwortlich. Diese dementierten: Nach Aussage der Separatisten sei der Abschuss eine Provokation der ukrainischen Luftwaffe, sie selbst besäßen keine Abwehrwaffen, um Maschinen in einer Höhe von 10.000 Metern abzuschießen. Die Separatisten hatten allerdings am 29. Juni auch gemeldet, sie hätten eine Buk-Einheit übernommen.
Nach Auswertung der bisherigen Informationen scheint klar zu sein dass die Separatisten für den Abschuss von Flug MH17 verantwortlich sind. Der US-Geheimdienst hat nach Regierungsangaben bislang keine Beweise für eine direkte Beteiligung Russlands an dem mutmaßlichen Abschuss des Passagierflugzeuges MH17. Die Maschine sei vermutlich versehentlich von pro-russischen Separatisten abgeschossen worden. Also nur ein Kollateralschaden?
Inzwischen fordert die Gaza-Krise immer mehr Todesopfer auf beiden Seiten, eine Einigung ist nicht in Sicht. Der gewaltsame Tod dreier jüdischer Jugendlicher und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen waren Auslöser für eine erneute Eskalation im Juli 2014. Nach Verhaftungen von Verdächtigen intensivierte sich der Raketenbeschuss auf Israel. Als Antwort startete das israelische Militär die Operation Protective Edge, bei der vermeintlich mit dem Raketenbeschuss in Zusammenhang stehende Ziele in Gaza aus der Luft angegriffen wurden. Vorrangiges Ziel der Israelis: die Hamas, der sunnitisch-islamistische Palästinenser-Organisation, die den Staat Israel mit terroristischen Mitteln beseitigen und einen islamisch-theokratischen Staat errichten will. Vorrangige Opfer: die Zivilbevölkerung, besonders auf Seiten der Palästinenser. Kollateralschäden?
Fast vergessene, eher verdrängte Konflikte gibt es im Irak, wo die dschihadistisch-salafistische Terrororganisation Islamischer Staat, deren Ziel die gewaltsame Errichtung eines Kalifats ist, welches Syrien und den Irak, aber auch den Libanon, Israel und Jordanien umfasst, inzwischen weite Teile kontrolliert. Die Extremisten sind auch deshalb so stark, weil sie sich mit sunnitischen Stämmen und Anhängern des früheren Machthabers Saddam Hussein verbündet haben. Sie eint der Hass auf die von Schiiten dominierte Regierung. Oder Syrien, wo seit März 2011 ein blutiger Bürgerkrieg tobt. Inzwischen hat der „Islamische Staat“ auch hier rund ein Drittel des Landes unter Kontrolle. Oder Libyen, wo Brigaden, die sich 2011 gegen Gaddafi erhoben hatten, ihre Waffen behielten und heute in verschiedenen Ecken des Landes ihr Unwesen treiben. Längst kämpfen sie für eigene Ziele. Oder Afghanistan, wo es weiterhin Anschläge und Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und den islamistischen Taliban gibt. Oder Nigeria, wo die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ihren Kampf für einen Gottesstaat im Norden des Landes mit unverminderter Härte fortsetzt. Oder die Zentralafrikanische Republik: hier kam es erneut zu schweren Übergriffen im Konflikt zwischen muslimischen Seleka-Rebellen und christlichen Bürgermilizen (Anti-Balaka) im Osten des Landes. Südsudan: Die blutigen Übergriffe seit mehr als sechs Monaten haben auch ethnische Hintergründe: Kiir, der Präsident, ist ein Dinka, Machar, sein Widersacher, ein Nuer. Mali: In der Wüste von Nord-Mali ist es in der vergangenen Woche zu heftigen Gefechten zwischen der Armee und Tuareg-Rebellen gekommen. Somalia: Hier ist es die gefürchtete Al-Shabaab-Miliz, die dort weiter ihren blutigen Terror verbreitet. Zudem ist die Al Shabaab auch im Nachbarland Kenia aktiv, wo es vor allem in der Küstenregion zu Anschlägen kommt. Die Islamisten fordern den Abzug kenianischer Truppen aus Somalia.
Hier wie dort ist es die zivile Bevölkerung, die unter den Kämpfen und Anschlägen zu leiden hat. In Länder wie Südsudan oder Zentralafrikanische Republik herrschen zudem verheerende Hungersnöte. Es ist eine humanitäre Katastrophe. Alles nur Kollateralschäden?