Ich mag Borowski, den Kieler Kriminalhauptkommissar der ARD-Tatort-Reihe. Ich mag seine nordische Brummigkeit, seine Distanz und Sturheit. Sein „Ich höre …“, wenn er sich am Telefon meldet, erweitert er jetzt schon auf den Tatort, wenn er seine Kollegin Sarah Brandt nach dem Stand der ersten Ermittlungen fragt und die ihm in ihrer akribischen Art bis hin zum möglichen Tatmotiv alles haargenau erläutert.
Borowski wird kongenial dargestellt von Alex Milberg. Manchmal frage ich mich, wer eigentlich wer ist: Milberg Borowski oder umgekehrt? Seine Kollegin Sarah Brandt, dargestellt von Sibel Kekilli, die Milberg höchst persönlich für die Rolle ausgesucht haben soll, ergänzt sich auf eine wundersame Art mit ihm.
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Frieda Jung (Maren Eggert)
Klaus Borowski hat so seine Probleme mit Frauen (mit Sicherheit später einmal noch etwas mehr dazu). Er ist geschieden und hat eine Tochter, die in den ersten Folgen mit ihm öfter zu sehen war. Gleich in seinem ersten Fall (Tatort Nr. 549) Väter aus dem Jahr 2003 hat Borowski Ärger mit seinen Vorgesetzten, weil er eine anerkannte Lokalgröße in der Rotlichtszene nackt auf dem Dach eines Bordells angekettet hat. Er entgeht gerade noch einer Suspendierung, muss dafür aber ein Gespräch mit der Betriebspsychologin Frieda Jung führen. Mit Frieda Jung entwickelt sich so über viele Folgen eine Hassliebe, die in der Tatort-Episode 741 Borowski und die Sterne (2009) sogar in einer gemeinsamen Übernachtung in einem Hotelzimmer (mit allem Drum und Dran?) endet. Diese krisenreiche Beziehung endet dann tatsächlich in Folge 761 Tango für Borowski (2010) in Finnland. Es stellt sich die Frage, was aus den beiden werden soll. Darauf sagt Frieda Jung, dass sie beide doch heiraten könnten. Borowski antwortet sinngemäß mit der Frage: Aber wen denn? Am nächsten Morgen ist Frieda Jung für immer verschwunden. Ach, Borowski, diesen dummen Spruch verzeiht keine Frau. In Folge 873 Borowski und der brennende Mann gibt es ein typisch Borowski‘sches Missverständnis mit der dänischen Kollegin, Kommissarin Einigsen. Und in Folge 892 Borowski und der Engel (2013) scheint es gar, als habe sich unser Kieler Ermittler in eine Tatverdächtige verliebt. Zu seiner jungen Kollegin Sarah Brandt hat Borowski ein eher väterliches Verhältnis. Man kommt halt in die Jahre.
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli)
Auch wenn es nicht groß gefeiert wurde, aber Borowskis neuester Fall, der am vergangenen Sonntag ausgestrahlt wurde, war sein inzwischen 25. Glückwunsch!
In einem Kieler Arbeiterbezirk wird der 60-jährige Alkoholiker Onno Steinhaus erschlagen aufgefunden. Steinhaus war wegen Pädophilie vorbestraft und lebte, wie Borowski und Brandt schnell herausfinden, völlig isoliert. Ausgerechnet eine Gruppe Kinder jedoch schien bei dem Toten ein- und ausgegangen zu sein. Anscheinend haben sie das Begehren des Toten ausgenutzt, aber – wie sie zumindest behaupten – dessen Wünschen nie entsprochen. Der für den Bezirk zuständige Polizist Thorsten Rausch scheint angesichts der sozialen Verwahrlosung seines Viertels kapituliert zu haben.
Sarah Brandts Ermittlungen bringen ein Video zu Tage, dass einen Jungen – Timo Scholz – in einer verfänglichen Situation mit Onno Steinhaus zeigt. Timo bestreitet, missbraucht worden zu sein. Borowski muss beobachten, dass Sarah Brandt auffällig häufig die Nähe zu dem Polizeikollegen Rausch sucht … (Quelle: tatort-fundus.de)
Ohne Zweifel war dieser Fall, der im Kieler Problemstadtteil Gaarden spielt, nicht der beste der jetzt also bereits 25 Tatortfolgen mit Borowski aus Kiel (übrigens gab es bereits 2002 eine Borowski-Folge in der damals neu aufgelegten TV-Serie Stahlnetz mit dem Titel PSI, in der ein fast unglaublicher Entführungsfall gelöst wird – und der damals noch in Hannover spielte). Das oft sehr hohe Niveau der Kieler Fälle (z.B. in Borowski und der Engel) lässt sich nicht auf ewig durchhalten. Und doch ist der Fall nicht nur sehenswert, sondern auch von seiner Konstellation her äußerst interessant, ist es ein Krimi aus dem Geiste eines realistischen Sozialdramas. Allerdings ist diese soziale Enge offensichtlich nicht der Raum, „in dem einer wie Borowski zur ganz großen Form aufläuft. Dieser Kommissar, der undenkbar ist ohne seinen Darsteller Axel Milberg, bleibt einer für das Weite im weitesten Sinne: für die Freiheit der Gedanken, für (kranke) Phantasien, für merkwürdige Interaktionen, für (nordische) Landschaft. Unrecht, Ignoranz oder Dummheit können Borowski ungeheuer wütend machen, aber Moral & Betroffenheit stehen anderen Kommissaren besser.“ (Quelle: tittelbach.tv)
So bekommt Borowski „zu spüren, dass seine Beamtenautorität hier nichts zählt; schon gar nicht im Umgang mit strafunmündigen Kindern.“ Borowski hat also auch ein Problem mit Kindern. Erstaunlich dann aber doch, wie er in diesem Fall das Problem löst: Er lässt sich mit den Kindern in einen mit Drahtverhau vergitterten Sportplatz einsperren, zeigt Geduld und kommt so am Ende doch zu den Antworten auf seine Fragen. Und auch mit dem jugendlichen Timo Scholz, von dem alle glauben, dass er der Täter ist, kommt der Kommissar überraschend klar, „ist er vor allem einer, der sich Gedanken macht: ‚Du kannst entweder alles falsch oder ganz falsch machen; richtig gibt’s hier nicht.‘ Dieser ‚kleine Philosoph‘ imponiert Borowski. Kann so einer ein Mörder sein?!“ Am Ende hält er sogar ein Kind im Arm. Nur gegenüber seiner Kollegin Sarah Brandt geht er auf leichte Distanz, als auch sie sich an seine Schulter anlehnt: „Ich ruf Ihnen jetzt ein Taxi und dann schlafen Sie Ihren Rauschi aus.“
Ja, ich liebe diesen Borowski!
Tatort (941) aus Kiel: Borowski und die Kinder von Gaarden