Was ist bloß mit Ian los? Teil 80: Das „gefühlte“ Alter & John Fogerty live

Seid gegrüßt, meine lieben Freunde !

Tja, Wilfried, die Danksagung von Mrs. Bush an Dave Palmer ist ein weiteres Beispiel für meine selektive Wahrnehmung. Der durchschnittliche Homo Sapiens Sapiens hört und sieht das, was er kennt und / oder hören und sehen will. Ich freue mich natürlich für Mr. Del Palmer, dass er aus so berufenem Munde gewürdigt wird; eine Würdigung von Mrs. Bush in Richtung Dave Palmer wäre ja auch zu schön gewesen.

Der Vollrausch ist bei Shane McGowan seit vielen Jahren der Normalzustand. Jeden Tag besoffen ist auch ein geregeltes Leben. Kannst Du sagen, wie lange der Konzertbesuch Deines Schwagers zurückliegt ? Ich las irgendwo, dass Mr. McGowan eine neue Freundin habe und deshalb mit dem Alkohol etwas verantwortungsvoller umgehen wolle. Es waren sogar neue Zähne im Gespräch.

Ein betrunkener McGowan auf der Bühne ist eine Zumutung für Augen und Ohren. Wie so oft bei mir schätze ich bei ihm seine früheren Auftritte und seine Fähigkeiten als Songwriter. Durch den jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch ist er ziemlich aufgequollen; er sieht aus, als wäre er vier Wochen im Wasser getrieben. Ähnlich wie bei Mr. Anderson ist es die ruhmreiche Vergangenheit, die mich als Fan an seine Werke bindet.

Ach ja, Mr. Anderson: Ein Foto von den Auftritten im diesjährigen Sommer ziert bereits seine Wikipedia-Seite.

Gestern schauten meine Söhne im TV „Die Simpsons“, als sie mich plötzlich aufgeregt zum Fernseher riefen: Im Abspann der Sendung lief „Thick As A Brick“ ! Mr. Anderson begegnet uns an den unerwartetsten Stellen; zuerst im „Tatort“, jetzt bei den „Simpsons“.

Nun zu Deinem letzten Beitrag, liebe Kretakatze:
Dass Frauen in der Rockmusik unterrepräsentiert sind, kann ich mir nur so erklären: Rockmusik als solche ist für das schöne zarte Geschlecht zu grob, zu rau, zu laut, zu primitiv. Wenn in diesem Metier doch mal eine Frau eine bedeutende Rolle spielt, dann ist es ein so herber Typ wie Patti Smith.

Kate Bush würde ich nicht als Rock-Musikerin bezeichnen. Allgemein wird ihre Musik als Popmusik bezeichnet; dieses Etikett gefällt mir aber auch nicht. Popmusik klingt irgendwie nach Michael Jackson. Für ihre Musik habe ich noch keine passende Bezeichnung gefunden. (P. Smith / K. Bush – meine Gedankensprünge werden immer gewagter)

Vorschläge für Andersons neue Garderobe: Ich habe kein Bild greifbar, das ich Euch präsentieren könnte. Ich muss es mit einer verbalen Beschreibung versuchen. Ein schickes unifarbiges, nicht zu enges Hemd vom Designer, eine passende Weste hierzu, dunkle Hose, von mir aus eine Reithose mit Schaftstiefeln (die hat er in seiner Vergangenheit so gerne getragen). Wenn es denn unbedingt sein muss, kann er seinen breiten Scheitel mit einer angemessenen (!) Kopfbedeckung kaschieren. Es gibt sehr schöne Hüte, Kappen oder Baretts. Der Kerl kann, wenn er will. Auf dem Cover von „Rupi’s Dance“ zeigt er uns, dass er auch edlen Zwirn tragen kann !

Liebe Kretakatze, an dieser Stelle möchte ich Dir ein Kompliment machen: Du verstehst es, auf erfrischende Weise Kritik an Mr. Anderson anzubringen. Hier ist keine Spur von unkritischer Anbetung zu finden. Deine Urteile sind in einer Art „respektlos“, die ich gern häufiger lesen würde. Genau dazu sind wir in diesem Forum angetreten. Also, weiter so !!

Ein Wort zu Cat Steven’s „Tuesday’s Dead“: Das Liedchen ist ganz nett. Auf dem gelinkten Video fällt mir seine Gitarre auf. Sie ist ziemlich groß, die Zargen sind aus dem gleichen hellen Holz wie der Rest des Korpus. Von der Seite aus betrachtet sieht das Instrument aus wie ein Fichtensarg. Möglicherweise hat er sie gewählt, damit sie zum Titel passt.

Meinen Urlaub verbringen wir traditionsgemäß zu Hause. Das schont Nerven und Kasse. Ende Mai haben meine drei Söhne neue Fahrräder bekommen, richtig „große“, mit 28″ – Bereifung. Sie sind jetzt in der Lage, längere Strecken zu fahren als auf ihren Kinderrädchen. Dadurch habe ich meine verloren geglaubte Leidenschaft fürs Radeln wiederentdeckt. Ich habe mein altes Bike beim Händler zur Kur geschickt und nun hoffe ich, im Urlaub einige schöne Touren machen zu können. Mein altes Rad ist acht Jahre alt und ich habe geplant, bevor ich an Alterschwäche sterbe, ein Neues anzuschaffen. Ich bin in letzter Zeit viel im Internet unterwegs, um mir ein wenig Marktransparenz anzueignen. Aber diese Überlegungen sind noch rein strategischer Natur; das alte treue Rad muss noch ca. zwei Jahre halten.

Lieber Wilfried, falls wir nichts mehr von einander lesen sollten, wünsche ich Dir und den Deinen einen wunderschönen entspannenden Urlaub !

Bis bald
Lockwood

13.07.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

nun habe ich mir also doch noch das Kontrastprogramm zu „Jethro Tull auf Kreta“ gegönnt. Nicht Sonnenschein und 40°C im Schatten sondern wolkenverhangener Himmel bei 15°C. Nicht Samstag, Urlaub, Zeit en masse sondern Mittwoch, Arbeit, Hetze. Nicht bequemer Sitzplatz im Gartentheater an historischer kretischer Stadtmauer sondern ölsardinenmäßiger Stehplatz im Open Air zwischen deutschen Burgmauern. Und natürlich nicht zuletzt: Nicht Jethro Tull sondern – Ihr werdet’s schon ahnen – John Fogerty.

Ich hatte bis zuletzt geschwankt, ob ich mir dieses Konzert auch noch antun sollte, Gründe dagegen waren meine knappe Zeit, die nicht unbeträchtliche Entfernung und das miese Wetter. Von vornherein war für mich nur das letzte Konzert von Fogerty’s diesjähriger Deutschlandtour in Frage gekommen, der Open Air Auftritt am 11.07. auf der Burg Abenberg bei Nürnberg. Aber das sind von mir aus auch ungefähr 150 km Entfernung und knapp 2 Stunden Fahrzeit. Dazu herrschte bei uns am Montag und Dienstag praktisch Dauerregen. Das sah alles nicht besonders einladend aus.

Am Mittwoch erschien das Wetter aber etwas besser, es war zwar wolkig aber zumindest trocken, und so entschloss ich mich kurzfristig es doch zu wagen. Nachmittags um 16 Uhr verlies ich – für meine Kollegen unerwartet früh – meinen Arbeitsplatz und machte mich auf Richtung Nürnberg, natürlich mal wieder ohne Ticket. Die lange Autofahrt nutzte ich dazu bei voller Lautstärke Musik zu hören und mitzugrölen, und so war ich bereits leicht heiser, aber bester Stimmung, als ich exakt um 18 Uhr in Abenberg auf die als Parkplatz ausgeschilderte Wiese fuhr.

Abenberg ist wirklich ein romantisch gelegenes Dörfchen, in dessen Mitte malerisch die Burg tront – oder ist es eher eine romantische Burg, um die herum sich malerisch einige Häuser scharen? So genau kann ich das nicht sagen. Auf jeden Fall fiel mir beim Anblick der Burg sofort auf, dass ich meine Kamera vergessen hatte. Ihr werdet also keine selbstgemachten Bilder von mir zu sehen bekommen. Dabei hätte ich diesmal vielleicht wirklich brauchbare Bilder schießen können, denn Fogerty trat noch bei Tageslicht auf – das hätte vielleicht sogar meine Kamera geschafft. Stattdessen habe ich mir erlaubt einige Bilder von der Website www.creedence-choogle-rockers.de zu verlinken. Sie stammen alle vom Abenberg-Konzert und sind besser als ich es je hinbekommen hätte. Aber machen wir mal der Reihe nach.

Es hatte sich bereits eine nicht unerheblich lange Schlange vor der Burg gebildet, deren genaue Länge ich nicht abschätzen konnte, da der Eingang der Burg nicht zu sehen war. Die Suche nach einer Abendkasse blieb mir erspart (es gab wohl auch gar keine, jedenfalls habe ich nirgends eine gesehen – vermutlich war ausverkauft), da an der Schlange ein Mann entlang lief der fragte, wer noch Karten brauchen könnte. Ich meldete mich sofort. Er meinte die Karten hätte sein Freund, der demnächst vorbei käme. Ich solle mich schon mal in die Schlange stellen. Ich tat wie mir geheißen war.

30 Minuten später stand ich immernoch an gleicher Stelle in der Schlange und hatte immernoch kein Ticket. Was wäre doch so ein Konzert ohne den Nervenkitzel der Unsicherheit, ob man reinkommt oder nicht? Inzwischen hatte ich erfahren, dass eigentlich ab 18 Uhr Einlass sein sollte. Es war 18:40 Uhr und bis jetzt hatte sich die Schlange noch nicht einen Zentimeter bewegt. Andererseits war ich gottfroh darum. Hätte sie sich in Bewegung gesetzt, solange ich kein Ticket hatte, wäre ich vermutlich wirklich ein wenig nervös geworden.

Um 18:45 Uhr erschien schließlich tatsächlich der Kerl mit den Karten. Werden solche Eintrittskarten eigentlich manchmal auch gefälscht? Es war ein „Eventim“-Ticket, das er mir in die Hand drückte, und es stand 50 EUR darauf. Mehr wollte er auch nicht dafür. Ich hatte bei Eventim im Internet schon nach Karten geschaut, dort sollten sie 52,50 EUR zuzüglich Versand kosten. Das kam mir irgendwie komisch vor. Aber ich hatte weder Zeit noch Lust länger darüber nachzudenken, denn inzwischen war Leben in die Schlange gekommen. Meine dumpfe Befürchtung, mein Ticket könnte am Einlass als Fälschung erkannt werden, erwies sich als unbegründet, und so stand ich ca. 19 Uhr im Burghof und stellte fest, dass mir der Magen knurrte. Ich hatte nichts zu essen dabei.

Zum Glück hatte man auf diesem Open Air Event offensichtlich mit gedankenlosen Menschen wie mir gerechnet, der Burghof war mit Getränke- und Imbissbuden gesäumt. Ich entschied mich für eine labbrige Pizzaschnitte und versuchte dann mir einen günstigen Platz vor der Bühne zu sichern. Da ich auch in kleinere Lücken passe, konnte ich mich noch bis auf etwa 3 oder 4 Meter an die Bühne heranarbeiten. Im Prinzip war ich vermutlich näher an der Bühne als in Iraklio. Allerdings ist halt die Übersicht bei solchen Steh-Veranstaltungen deutlich schlechter. Ein bzw. zwei Reihen vor mir standen zwei Männer, denen ich gerade mal knapp über die Schulter schauen konnte. Meistens hatte ich allerdings einen ganz guten Blick zwischen beiden hindurch direkt aufs Mikrophon. Auch nach rechts hatte ich freien Blick auf die Bühne.

Im Publikum waren nahezu alle Altersklassen vertreten, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt bei Männern über 40. Frauen waren in der Minderzahl und wenn dann nur in Begleitung von Männern anzutreffen. Jugendliche konnte ich nicht entdecken, was allerdings an der Location liegen könnte. Abenberg liegt 30 km von Nürnberg entfernt und ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Wer kein Auto hat ist aufgeschmissen. Das schließt Jugendliche unter 18 praktisch von der Teilnahme aus.

Die Vorband betrat um 19:29 Uhr die Bühne – das nenne ich deutsche Pünktlichkeit. Die sechs Jungs nennen sich Stanfour und kommen von der Insel Föhr. Der Ausdruck „Jungs“ war hier mehr als gerechtfertigt, mindestens 3 der 6 Bandmitglieder sind mit Sicherheit noch keine 20, der Jüngste könnte 16 sein. Nette Jungs, die mich an meinen eigenen in der Altersklasse erinnerten, der zu diesem Zeitpunkt gerade zuhause eine Mandelentzündung auskurierte. Da kam ein bißchen schlechtes Gewissen bei mir auf. Das hätte es früher auch nicht gegeben, dass Muttern sich auf Rock-Konzerten rumtreibt, während das Kind zuhause krank im Bett liegt – na ja, das Kind ist 20 und liegt wahrscheinlich eher auf dem Sofa vor dem Fernseher. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen.

Stanfour boten geradlinigen Rock, der für meine Begriffe durchaus anhörbar war – nichts Sensationelles, aber auch nicht schlecht. Beim Anblick des Sängers wurde mir wieder bewußt, wie unterschiedlich doch verschiedene Sänger mit ihrem Mikrophon umgehen. Mark Knopfler stellt es sich immer so hoch ein, dass er von unten nach oben singen muss, teilweise hat man den Eindruck er stellt sich auf die Zehenspitzen, damit er es noch erreicht. Im exakten Gegensatz dazu bevorzugt Mr. Anderson offensichtlich ein Mikrophon, das so niedrig eingestellt ist, dass er sich hinunterbücken und von oben hineinsingen muss. Gerne stürzt er sich auch von oben auf sein Mikrophon wie eine Raubkatze auf die Beute. Dieser Sänger dagegen klammerte sich ständig mit beiden Händen am Mikrophon fest, es sah aus als ob er in jeder Bedeutung des Wortes „an seinem Mikrophon hängt“. Mr. Fogerty geht mit dem Mikrophon eher achtlos um, es kommt schon mal vor dass er nicht ständig den richtigen Abstand einhält oder den Kopf zur Seite dreht und dadurch der eine oder andere Ton etwas leiser kommt. Es scheint für ihn nicht den Mittelpunkt des Universums darzustellen. Das könnte man sicher alles auch noch tiefenpsychologisch deuten. Aber ich denke damit verschone ich Euch jetzt besser.

Stanfour spielten bis 20 Uhr, dann wurde auf der Bühne umgebaut – und das zog sich hin. Nach einer halben Stunde wurde das Publikum langsam unruhig, es gab Pfiffe, Gegröle und „John, John“-Rufe. Dabei lag die Verzögerung vielleicht auch daran, dass zu diesem Zeitpunkt die Sonne tief unter den Wolken stand und direkt von vorne auf die Bühne schien. Die Roadies, die die 25 oder wieviel Gitarren des Mr. Fogerty nochmals durchcheckten waren offensichtlich von dem Licht geblendet. Ein Auftritt war so vermutlich garnicht möglich. Meiner Meinung nach ein Mangel der Organisation, denn dass im Sommer die Sonne scheint und wo sie um wieviel Uhr untergeht sollte eigentlich bekannt sein. Da muss man halt ggf. die Bühne an anderer Stelle aufbauen. Interessant auch, was zur Überbrückung der Wartezeit aus den Lautsprechern tönte. Nach „Sultans Of Swing“ war auch noch John Fogerty selbst mit „Almost Saturday Night“ zu hören, was vom Publikum mit Beifall und „Zugabe, Zugabe“-Rufen quittiert wurde.

Dann, um 21 Uhr endlich, betrat die Band die Bühne und nahm die Plätze ein. Fogerty erschien nicht lang danach in einem seiner besten blaukarierten Hemden – damit war der Abend für mich gebont! Nach kurzer Begrüssung legte er auch ohne Umschweife gleich richtig los mit „Travellin‘ Band“. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Anlage seit der Vorband noch einmal um einige Watt aufgedreht worden war. Das alte Burggemäuer erbebte und das Erdreich vibrierte. Das war deutlich lauter als Jethro Tull in Iraklio, aber doch nie so laut, dass ich befürchtet hätte bleibende Gehörschäden davonzutragen.

Bei Jethro Tull war mir seinerzeit der glasklare Sound aufgefallen, in dem jeder Ton einzeln aus der Anlage perlte und jede Nuance des Flötenspiels und der Stimme detailgenau wiedergegeben wurde (wobei das in Bezug auf die Stimme nicht unbedingt nur von Vorteil war). Von glasklarem Sound war bei Mr. Fogerty nichts zu hören, der ist für seine Musik aber auch nicht notwendig. Hier geht’s um’s Eingemachte, die Basics des Rock, auf das Wesentliche reduziert, ohne Schnörkel und Verzierungen, ohne facettenreiche Arrangements und ohne den Anspruch mit Bach oder Beethoven konkurrieren zu wollen. Es standen nicht weniger als 5 Gitarristen (einschließlich Bass) auf der Bühne, wobei der eine gelegentlich auch Keyboard spielte. Dazu noch Schlagzeug (auf das eingedroschen wurde, als ob man es ermorden wollte), das war’s mit der Instrumentierung. Solche Musik muss nicht filigran aus der Anlage rieseln sondern einem wuchtig und satt um die Ohren donnern. Und das tat sie auch.

Nach dem ersten Titel meinte Mr. Fogerty, das wäre das erste Mal, dass er auf einer Burg spiele, und er hoffe er wecke den König nicht auf. Falls es auf dieser Burg je einen König gegeben haben sollte, war der aber vermutlich bereits bei den ersten Takten von „Travellin‘ Band“ vor Schreck aus dem Grab gefallen und an Herzinfarkt gestorben. Das hat sich sicher auch Mr. Fogerty gedacht, denn er machte auch im weiteren Verlauf des Abends nicht den Eindruck als ob er sich bemühen würde leise zu sein.

Natürlich habe ich versucht bei YouTube ein paar passende Videos zu finden, die den einen oder anderen Eindruck des Konzerts vermitteln können, aber leider gibt es kaum ein brauchbares Bootleg von der Europa-Tour. Die Amateurkameras (oder waren es Handys?) scheinen alle von der Lautstärke des Fogerty’schen Sounds überfordert zu sein – es schäppert, knistert, knackt, drönt und jault zum Steinerweichen, das kann man sich wirklich nicht anhören. Zur Einstimmung daher erst einmal eine Aufnahme aus New York vom letzten Dezember: Good Golly Miss Molly. Sie zeigt wie es aussieht, wenn ein wildgewordener 62-Jähriger keine Lust hat sich mit dem Pfeifchen hinter den Ofen zurückzuziehen.

Kleiner Einschub zu diesem Video: Diesen Song konnte ich eigentlich noch nie leiden, aber was Fogerty hier aufführt hat mich glatt umgepustet. Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe worum es in dem Lied geht, und von dem was er singt verstehe ich kein Wort, aber er scheint ziemlich wütend zu sein. Wie er wild mit den Armen herumfuchtelt erinnert mich bereits stark an Mr. Andersons Auftritt in Witch’s Promise anno 1970. Leider hat Mr. Fogerty keine so schöne Flöte, die er drohend schwingen könnte, und das Gitarren-Plektrum ist ein etwas mickriger Ersatz, aber dafür haut er anschließend damit umso wilder in die Saiten. Bisher habe ich bei diesen Bildern noch jedesmal lachen müssen, und solche Videos stehen auf meiner Hitliste ganz oben.

Für einen der ersten Songs griff Mr. Fogerty zu einem türkisgrünen Instrument, und als er kurz über die Saiten strich um zu testen, ob es auch funktioniert, da fuhr es mir durch Mark und Bein. Ich musste sofort an Dich denken, lieber Lockwood, und an Brian May – das war der Düsenjet. Ich glaube ich schrieb schon nach dem Jethro Tull Konzert, dass live so ein Düsenjet nicht unbedingt zu verachten ist, und der von Mr. Fogerty geht noch ganz anders ab als der von Mr. Barre. Seither habe ich ein Auge auf dieses grüne Maschinchen geworfen, zumal es dieselbe Farbe hat wie mein Auto. Allerdings ist mein Auto bedeutend leiser. Ich habe auch nur einen kleinen Toyota. Dieses Modell schien mir eher ein Porsche zu sein. Der zugehörige Titel heißt – passend zum Düsenjet – It Came Out Of The Sky (hier auch eine Version aus New York).

Bei solcherlei Klängen kam im Publikum schnell Stimmung auf. Die sichtlich gute Laune, mit der Mr. Fogerty während der Instrumentalpassagen über die Bühne stapfte, hüpfte wie ein Gummiball und sich wie ein Kind über den selbsterzeugten Lärm freute, übertrug sich mühelos auf die Menge. Bei fast jedem Song schallte ihm aus dem Zuschauerraum zumindest der Refrain entgegen. Mehrfach dirigierte er auch vom Bühnenrand aus das Publikum und ließ es alleine singen. Er mußte sich nicht über mangelnde Mitwirkung beklagen. Nach kürzester Zeit war – zumindest vorne an der Bühne – Party angesagt.

Bei Fogerty gibt es praktisch nach jedem Titel Gitarrenwechsel (wobei die eine oder andere Gitarre im Laufe des Abends schon auch mehrfach zum Einsatz kam). Bei dieser Gelegenheit überreicht er seinen ausgebrauchten Gitarren-Pick jemandem aus dem Publikum. Einmal holte er auch eine ganze Hand voll neue Picks aus der Hosentasche um sie zu verteilen. Auch ausrangierte Drumsticks wurden in die Menge geworfen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, die Veranstaltung nahm immer mehr den Charakter einer größeren Familienparty an. Einen kleinen Eindruck von der Atmosphäre vermittelt vielleicht dieses Video aus Paris, das mit einem Halstuch-Tausch beginnt. Fogerty’s Markenzeichen ist ein rotes Halstuch, er tritt nie ohne auf. Hier tauscht er es gegen das Halstuch eines Zuschauers ein.

Vor dem Titel „Down On The Corner“ schlich sich ein siebter Musiker auf die Bühne, und da ich schon Setlists von anderen Konzerten gelesen hatte, ahnte ich bereits wer das sein musste: Tyler Fogerty. Der Junge ist höchstens 14, das Hemd ist natürlich kariert und die Frisur erinnert stark an Papa anno 1970. Es gibt da auch noch einen Shane Fogerty, der vielleicht zwei Jahre älter ist und im Prinzip genauso aussieht, in Abenberg aber nicht mit von der Partie war. Tyler durfte gleich neben Daddy zu „Down On The Corner“ die Gitarre spielen (Bild), aber so richtig locker und gutgelaunt wie der Herr Papa wollte er auf mich nicht wirken. Er schien mir eher etwas angestrengt. Es muss auch ziemlich hart sein für einen 14-Jährigen, wenn er nach seinem Auftritt auf offener Bühne vor versammeltem Publikum von Old Daddy abgeknutscht wird. Der Kleine tat mir fast ein bißchen leid. Andererseits sagte ich mir, dass man nicht früh genug lernen kann, dass das Leben hart ist, und ich denke mal er wird keine bleibenden psychischen Schäden davontragen.

Um gleich bei den Kindern zu bleiben: Schräg vor mir trug jemand während des ganzen Konzerts ein etwa fünfjähriges, blondes Mädchen auf den Schultern, und dieses Kind stach auch Mr. Fogerty ins Auge. „Baby“ wurde eigens begrüßt, wobei die Reaktion eher schwach war – vermutlich hat sie sein Englisch nicht verstanden. Fogerty erklärte sie erinnere ihn stark an seine fünfjährige Tochter Chelsea, für die er das folgende Lied geschrieben habe, es war „I Will Walk With You“. Ich begann langsam die Übersicht über die zahlreiche Nachkommenschaft des Mr. Fogerty zu verlieren, wobei ich eine diesbezügliche Übersicht eigentlich noch nie besessen habe. Ich meine er habe schon Ende der 60er Jahre einen Sohn gehabt, und auch aus den 70ern oder 80ern müsste es noch mindestens eine Tocher geben. Jedenfalls scheint Mr. Fogerty nicht nur seit bald 50 Jahren in der Rockmusik aktiv zu sein, sondern sich außerdem seit 40 Jahren unermüdlich und erfolgreich in der Arterhaltung zu betätigen. Das sollte vielleicht auch einmal die gebührende Anerkennung finden.

Gegen Ende des Konzerts kam mir in den Sinn, dass man manche Menschen einfach für alle Zeiten so konservieren können sollte, wie sie gerade sind. Wenn ich wüsste wie, dann würde ich gleich mit John Fogerty anfangen. Nicht, dass ich jetzt missverstanden werde: Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, dass Mr. Fogerty so wirkt als ob er dringend konserviert werden müsste – das klingt so nach Mumie. Ich will damit nur sagen, dass ich ihn gerne noch ein paar Jahre in alter Frische wiedersehen würde, am besten nächstes Mal ein bißchen näher bei Stuttgart – da gibt es auch sehr schöne Burgen. Wenn er kommt bin ich bestimmt wieder dabei!

Mein einziger Kritikpunkt: Das Konzert war zu kurz, viel zu kurz! Nur 1:36 Std Spielzeit, das finde ich für einen Eintritt von 50 Mäusen doch ziemlich mickrig. Und es ist ja nicht so, dass Mr. Fogerty keine Songs mehr auf Lager gehabt hätte. Er hat nicht einmal alle seine Top Ten Hits gespielt, er hat nicht einmal alle seine No. 1 Hits gespielt. Mir persönlich haben jetzt „Hey Tonight“ und „Sweet Hitch-Hiker“ nicht gefehlt, aber „Up Around The Bend“, „I Put A Spell On You“ und „Deja Vu“ schon. In Hamburg standen die alle noch auf der Setlist. Oder wie wär’s noch mit „Lodi“, „Rock and Roll Girls“, „Walking In A Hurricane“, „Premonition“ und und und….

Überhaupt ist mir aufgefallen, dass Fogerty’s Konzerte offensichtlich unterschiedlich lang sind. In Abenberg standen 23 Titel auf der Setlist, in Berlin sogar nur 22, in Hamburg waren es 24, in Dänemark 25, in Paris 26 und in Mainz 27 (anscheinend 3 extra Zugaben!). Nach was entscheidet er das? Wenn er keine Lust mehr hat und früher ins Bett will, lässt er einfach ein paar Songs weg? So geht’s aber auch nicht! Ich würde ihm ja die Kürze seines Auftritts nachsehen, wenn man nach anderthalb Stunden Spielzeit befürchten müsste, dass er demnächst auf der Bahre rausgetragen wenn muss, wenn er nicht bald aufhört. Aber den Eindruck hatte ich wirklich nicht. Er ist so locker-flockig und frisch von der Bühne gegangen, wie er angefangen hat, ich glaube er war während des ganzen Abends nicht einen Moment außer Atem und hat nicht eine Schweißperle verloren (es war allerdings auch nicht besonders warm…). Der ganze Auftritt sah aus als wär’s für ihn ein Spaziergang. Also 2 Stunden könnte er gut durchstehen, und die fände ich für den Preis auch angemessen.

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Eines ist mir im Anschluss an dieses Konzert erst so richtig bewusst geworden, und um näher zu erläutern, was ich meine, werde ich jetzt gar noch mich selbst als krasses Extrembeispiel anführen. Ich muss zugeben ich war ziemlich überrascht, als ich zum ersten Mal dieses Photo gesehen habe. Wenn ich nicht wüsste, dass ich das selbst bin, dann würde ich sagen das ist ein 14- bis 15-jähriger Junge. Nun war mir schon länger klar, dass ich nicht gerade so aussehe, wie man sich üblicherweise eine 48-jährige Frau vorstellt. Dass der Eindruck aber so weit davon entfernt liegen könnte, hätte ich dann doch nicht erwartet. Nach kurzem Nachdenken bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass es vermutlich genau das ist, was ich im Grunde meines Wesens tatsächlich bin: Ein 14- bis 15-jähriger Junge. Das Bild passt, ich fühle mich auch in keinster Weise unwohl damit. Sonst hätte ich mich auch von vornherein garnicht in diese Klamotten geworfen.

Nicht jeder ist das, was er aufgrund von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft oder sonstigen Umständen nach herkömmlicher Meinung sein sollte. Darauf kommt es auch garnicht an. Das Einzige das zählt ist, dass das äußere Erscheinungsbild mit dem übereinstimmt, was man tatsächlich ist. Wenn das nicht zusammenpasst, hat man wirklich ein Problem. Das Aussehen ist wie eine Visitenkarte, die man ständig vor sich herträgt, und die 99,9% aller Menschen, denen man begegnet und die einen nicht näher kennen, Aufschluss darüber gibt, wie sie einen behandeln sollten und was sie von einem zu erwarten haben (mit den Erwartungen hatte ich es ja schon einmal…). Wenn man äußerlich etwas anderes darstellt, als man tatsächlich ist, wird das ständig zu falschen Reaktionen, enttäuschten Erwartungen und Missverständnissen führen. Jeder kennt von sich selbst, wie es einem geht, wenn man morgens aus Versehen den falschen Griff in den Kleiderschrank getan und etwas angezogen hat, das nicht zur Tagesform passt. Man fühlt sich unsicher und fehl am Platz, weil man unbewußt ständig mit den falschen Erwartungen und Reaktionen seiner Umwelt rechnet.

Wer also anders aussieht als er sich fühlt – z.B. auch durch einen fortschreitenden äußerlichen Alterungsprozess, dem kein entsprechender innerlicher folgt – wird üblicherweise bestrebt sein alles zu tun, um sein Aussehen mit seiner Persönlichkeit wieder in Einklang zu bringen. Das ist meiner Meinung nach auch völlig in Ordnung, solange man sein Aussehen anpasst an das, was man ist, und nicht an das, was man gerne wäre, in der Hoffnung durch das geänderte Aussehen zu dem zu werden, als was man erscheint. Damit macht man sich wirklich nur lächerlich.

Um jetzt langsam einmal auf den Punkt zu kommen: Was auch immer Mr. Fogerty getan haben sollte um so auszusehen, wie er das tut – die Haare gefärbt hat er allemal, die Zähne sind runderneuert (dabei wäre das meiner Meinung nach wirklich nicht notwendig gewesen, mit den originellen Originalzähnen sah er doch auch sehr nett aus), selbst wenn er sich fünfmal hätte liften lassen (was ich eigentlich nicht annehme) – das Ergebnis gibt ihm recht. Er sieht so aus, wie er ist. Und wenn er auf der Bühne steht, oder rennt, oder hüpft, oder was auch immer – man merkt, dass da einfach alles zusammenpasst. Auch wenn die Haare, die Zähne oder sonstige Details an Mr. Fogerty nicht mehr echt sein sollten, der Mensch ist es, und das ist das Einzige, das zählt.

Bei Mr. Anderson ist das leider anders. In den 70ern hat er auch noch glaubhaft gewirkt: Die Musik, das Aussehen, die Kostüme, die Bühnenshow – das war ein Gesamtkunstwerk, das seine Persönlichkeit stimmig repräsentiert hat. Im Laufe der 80er ist das mehr und mehr verloren gegangen, irgendwie hat er mit zunehmendem Alter das, was er ist und das, was er darstellen möchte, nicht mehr unter einen Hut gebracht. Da passt das Benehmen nicht zum Aussehen, die Kleidung passt schon in sich nicht (Was soll dieses Kostüm darstellen – Pirat? Torrero? Gondoliere?) und leider passt auch das was er sagt häufig nicht zu dem was er tut. Wie alt ist er eigentlich wirklich? Fogerty ist, so würde ich mal schätzen, in der Art deutlich unter 30, vielleicht sogar unter 20. Anderson ist bestimmt auch keine 60, aber er sieht so aus. Es mag absurd klingen zu sagen es passt nicht, wenn ein 60-Jähriger aussieht als wäre er 60, aber genau das scheint mir bei Mr. Anderson der Fall zu sein.

Die letzten Auftritte des Mr. Anderson, in denen er nach meiner Kenntnis ein stimmiges Gesamtbild abgegeben hat, stammen aus dem Jahr 1982, wie z.B. hier bei Pussy Willow – da war er 35. Ungefähr in dieser Gegend würde ich die Höchstgrenze für sein gefühltes Alter vermuten. Andererseits ist das natürlich auch nur die halbe Wahrheit. Ich bin ja auch nicht nur der 15-jährige Junge sondern gleichzeitig auch immer noch die 48-jährige Frau – wenigstens einige dazugehörige Eigenschaften und die entsprechende Lebenserfahrung habe ich jedenfalls. In der Gesamtheit ergibt das eine Kombination aus beidem (die ich mir in meinem Fall als ziemlich gewöhnungsbedürftig vorstellen könnte). Das wird bei Mr. Anderson nicht anders sein. Vielleicht kann er sich auch nur einfach nicht entscheiden, ob er nun 30 oder 60 ist, seriös oder Hofnarr, Pirat oder Entertainer oder…. Wer oder was auch immer er ist, er schafft es nicht mehr es
seiner Umwelt schlüssig zu vermitteln – ich werde jedenfalls nicht schlau aus ihm.

Meinetwegen soll er sich die Haare rot färben, ein Toupet aufkleben, sich Fett absaugen und sich liften lassen, Hauptsache er passt hinterher wieder zu sich selbst und man weiß mit wem man es zu tun hat. Nicht, dass ich das jetzt als Lösung vorschlagen wollte, ich habe keine Ahnung was die Lösung wäre. Prinzipiell wäre es sicher nach heutigem Stand der Technik möglich, Mr. Anderson wieder (fast) so aussehen zu lassen wie 1975. Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass gerade diejenigen seiner Fans, die sich nichts sehnlicher herbeiwünschen als die Wiederkehr des Jahres 1975, vor Schreck vom Stuhl fallen oder entsetzt aufschreien würden, wenn er plötzlich tatsächlich wieder so daher käme. Ein Mr. Anderson mit dem Aussehen von 1975 und der Stimme von 2007 wäre allerdings vermutlich auch eine ernüchternde Erfahrung. Ach, es ist ein Jammer, was machen wir nur mit unserem Mr. Anderson!?! Und mit dieser rhetorischen Frage beende ich meinen heutigen Beitrag.

Liebe Grüße an Euch beide (Fast-)Urlauber
Kretakatze

PS.: Zum Thema Songtexte hier noch dieses Video von einem Rock-Festival in Belgien 2007, in dem ab 1:00 John Fogerty zuerst mit einem kurzen Ausschnitt aus „Travellin‘ Band“ zu hören ist und er dann ab ca. 1:25 erklärt nach welchem Prinzip er seine Lieder schreibt. Das klingt ganz ähnlich wie das, was ich bereits an anderer Stelle hier vermutet hatte. Was mich trotzdem überrascht hat war die Tatsache, dass er es offensichtlich für wichtig hält mit möglichst wenig Worten auszukommen. Das müsste doch der ideale Texter für Dich sein, lieber Wilfried, wo Dir doch auch jedes Wort zuviel zu sein scheint (zumindest von den Songtexten, die ich letztes Mal verlinkt hatte 😉 …).

19.07.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Dein Bericht über das Fogerty-Konzert, liebe Kretakatze, war sehr plastisch. Ich hatte fast das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Zwischen Deinen Zeilen konnte ich eine unverhohlene Euphorie lesen, die ich bei Deiner Beschreibung des JT – Konzerts auf Kreta nicht festgestellt habe. Ich denke, der Auftritt von Mr. Fogerty hat Dir besser gefallen als der Auftritt des Mr. Anderson.Den aktuellen Anderson würde ich mir nicht anschauen, wenn er auf unserer Burg (100 m Luftlinie von meiner Haustür) spielen würde. Ich möchte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn aus seinen besseren Zeiten kenne. Aber selbst wenn ich fernbliebe, würde ich seinen „Gesang“ bis in den Garten hören. Ich hoffe also, dass seine Tourneen ihn nicht in unser Städtchen führen.

In Deiner letzten Mail hast Du etwas geschrieben, mit dem ich mich sofort identifizieren konnte: Du wirst nicht schlau aus Mr. Anderson. So geht es vielen. Dieses Phänomen ist der Grund dafür, dass Wilfried die Rubrik „Was ist bloß mit Ian los ?“ ins Leben rief. Du stößt einen ähnlichen Seufzer aus; ich zitiere: „Ach, es ist ein Jammer, was machen wir nur mit unserem Mr. Anderson!?!“Er ist eine komplexe Persönlichkeit, unser Mr. Anderson. Mehrere Seelen wohnen ach, in seiner Brust. Die aktuelle Garderobe ist ein möglicher Ausdruck dessen.

Eine andere Erklärung seines Outfits der letzten Jahre ist ebenfalls denkbar, würde mir aber noch weniger gefallen: Es kommt mir so vor, als ob er sich klamottenmäßig einfach keine Mühe mehr gibt. Als ob es ihm egal sei, wie er daher kommt (soll schon mal vorkommen bei älteren Herren). Das Video zu „Pussy Willow“ zeigt uns, dass das bis 1982 noch anders war. Aber in der Zwischenzeit hat er es zum Fels in der Brandung des Musikgeschäfts gebracht. Vielleicht betrachtet er sich als Selbstläufer, zu dem die Fans strömen, unabhängig von dem, was er auf dem Leib trägt oder wie er die höheren Töne trifft. Demnach wäre seine aktuelle Physiognomie eine Nagelprobe auf die Treue der Anhängerschaft.

Ein gutes Beispiel für ein gelungenes (weil zum Typ und zur Musik passendes) Bühnenoutfit fand ich auf diesem Video. Nicht, dass ich Mr. Anderson in diesen Klamotten sehen möchte; sie würden eben so wenig zu ihm passen wie sein jetziges Kostüm als Raupenbahnaufspringer, Schiffschaukelbremser oder was auch immer. Nein, dieser Link sollte nur verdeutlichen, dass es durchaus möglich ist, ein angemessenes Outfit zu finden. Wenn man es denn will. Die rustikalen Lederklamotten aus den frühen 70ern oder der Broadsword-Zeit standen dem Meister gut zu Gesicht. Etwas in dieser Art hätte er bis heute tragen können. Aber nein….

Ich möchte keinen abgeschlossenen Fall wiederaufnehmen, aber auf dem Pussy Willow – Video wirkt der Meister tatsächlich dunkelblond. Woran liegt’s ? Friseur ? Beleuchtung ? Aber lassen wir das.

Ein Gedanke zu dem 15jährigen Jungen mit dem Banjo:
Ehrlich gesagt ist es mir fremd, wie man von einer Fotografie dermaßen überrascht sein kann. Was Du über Aussehen und innerem Gefühl gesagt hast, findet meine volle Zustimmung. (Dass die Kleidung zur momentanen Gefühlslage passen muss, ist bei Frauen wohl etwas stärker ausgeprägt als bei Männern). Bei mir ist der Fall einfacher. Ich empfinde mich als „untergroßen“ Mann und so komme ich auf Fotos auch rüber. Punkt aus. Alles sehr simpel.

Bis zum nächsten Mal grüßt Euch
Lockwood

21.07.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

bevor ich mich in den Urlaub verabschiede, hier doch noch einige Anmerkungen von mir. Bekanntlich hinken Vergleiche. Und so kann man Herrn Fogerty schlecht mit Herrn Anderson vergleichen, wenn sich der Vergleich natürlich auch anbietet. Beide sind rund 60 Jahre alt, beide sind mehr oder weniger bekannte Größen der Rockmusik und Frontmann ‚ihrer’ Band. Und beide bringen ihren Nachwuchs auf die Bühne (wenigstens ab und zu). Aber damit hört es dann auch schon auf. Ian Anderson würde nie seinen Sohn als seinen Sohn vorstellen (so unterschlägt James Duncan selbst seinen Nachnamen), wenigstens wüsste ich nicht, dass er das je einmal getan hätte. Und die Knutscherei verbietet sich wohl schon aufgrund des Alters (wobei sich gerade auch 14-, 15-Jährige ungern öffentlich von einem Elternteil küssen lassen). Dass mit dem ‚gefühlten’ Alter ist natürlich so eine Sache. Grundsätzlich stimme ich Dir, Kretakatze, zu. Man sollte sich so geben (und kleiden), wie man IST. Aber wie ist ein Künstler, ein Rockmusiker, der allabendlich auf einer Bühne vor großem Publikum auftritt?

Herrn Anderson wird man wohl kaum in den Klamotten auf der Straße antreffen, mit denen er aufgetreten ist. Früher nicht, heute erst recht nicht. Wie ist das mit Herrn Fogerty? Trägt er auch im normalen Leben Jeans, karierte Hemden und dazu sein ‚Markenzeichen’, das rote Halstuch? Vielleicht bevorzugt er in Wirklichkeit Designer-Klamotten?! Gut, sein Auftreten wirkt authentisch. Aber IST das wirklich der reale John Fogerty oder doch nur ein Trugbild …?

In einem ähneln sich die beiden Herren. Beide haben ein ganz bestimmtes Image aufgebaut, so unterschiedlich es auch sein mag. Fogerty ist der Naturbursche, der locker-flockig seine Lieder herunterspult. Anderson dagegen der eher unnahbare Intellektuelle, der sich gern in kurioser Kostümierung zeigt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Bei John Fogerty, wie geschrieben, wirkt das trotz falscher Zähne und gefärbter Haare immer noch sehr authentisch, also echt und glaubhaft. Bei Herrn Anderson dagegen nicht mehr. Aber warum nur? Weil er trotz Kostümierung wie ein 60-Jähriger aussieht?

Kretakatze schreibt: … irgendwie hat er mit zunehmendem Alter das, was er ist und das, was er darstellen möchte, nicht mehr unter einen Hut gebracht. Da passt das Benehmen nicht zum Aussehen, die Kleidung passt schon in sich nicht …

Das ist meiner Meinung nach durchaus richtig. Nur stellt sich die Frage, ob Ian Anderson auf der Bühne wirklich das darstellen möchte, was er ansonsten im wirklichen Leben ist, oder besser: sein muss. Ich denke nein. Eher versucht er sich auf der Bühne so zu geben, wie er ist (oder glaubt zu SEIN) … Und das wirkt natürlich grotesk. Wie kann sich ein 60-Jähriger so zum Kasper machen. Aber was IST Ian Anderson nun wirklich?

Sicherlich ist Herr Anderson ein geschäftstüchtiger Mensch. Dazu bedarf es einer gewissen Seriosität, die er bestimmt an den Tag legt, wenn es Not tut. Dann ist er Musiker, also Künstler, die bekanntlich etwas Exaltiertes an sich haben. Lockwood sagt es: Mehrere Seelen wohnen ach, in seiner Brust. Dass sich Anderson auf der Bühne geschäftsmäßig gibt, ist nicht zu erwarten. Also kaspert er herum … wie er es früher immer schon getan hat. Weil sich in den Jahren sein Aussehen so dramatisch verändert hat, führt das natürlich dazu, dass, was früher glaubhaft wirkte, heute für viele wie ein schlechter Witz erscheint.

Ich stelle mir Ian Anderson in den Klamotten früherer Jahre vor (das Tampa-Kostüm lassen wir einmal außen vor): Sähe der gealterte Ian Anderson nicht ähnlich lächerlich aus?

Ich fürchte fast, wir kritisieren Herrn Anderson, weil er alt geworden ist – optisch alt. Sein Bühnen-Outfit passt nicht mehr zu dieser äußeren Erscheinung, die er heute darstellt. Oder anders gesprochen: Herr Anderson genügt nicht mehr unseren Ansprüchen, Erwartungen, was auch immer.

Aber machen wir hier nicht zu viel Wirbel um Äußerlichkeiten? Gehen wir vielleicht nicht sogar Herrn Anderson auf dem Leim – oft genug kam die Weisheit in Form des Narrentums einher. Und macht sich nicht der zum Narren, der andere für einen solchen hält?

Und noch eines, ganz allgemein: Wir denken zu wissen, wer wir sind und sind enttäuscht, wenn andere uns anders sehen. Aber wissen wir das wirklich? Sind wir nicht zu oft mit uns selbst beschäftigt … und haben uns dabei selbst längst aus dem Blick verloren? Aber jetzt werde ich philosophisch … Genug für heute!

Nun, Lockwood, Du bist ja schon mittendrin im Urlaub. Letztes Jahr hatte ich mit meinen Lieben auf einen größeren Urlaub verzichtet, weil viel Geld für eine neue Heizung draufgegangen war; aber für eine Radtour (nach Fehmarn, Du weißt) hat es natürlich gelangt. Wenn das Wetter halbwegs mitspielt, macht so eine Tour mit den Fahrrädern wirklich Spaß. Allerdings merkte ich schon, dass meine Knochen nicht mehr die jüngsten sind. Ich hoffe, Du hast mit Deiner Familie schöne Urlaubstage, entspannst Dich und tankst neue Energie. Weiterhin schöne Urlaubstage.

Wir lesen beizeiten wieder voneinander.
Bis dahin
Wilfried

23.07.2007

English Translation for Ian Anderson

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