Heute Ruhetag (54): Robert Musil – Der Mann ohne Eigenschaften

Robert Musil (* 6. November 1880 in Klagenfurt am Wörthersee; † 15. April 1942 in Genf) war ein österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker.

Musils Werk umfasst Novellen, Dramen, Essays, Kritiken und zwei Romane, den Bildungsroman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß und sein unvollendetes Magnum Opus Der Mann ohne Eigenschaften von (je nach Ausgabe knapp unter bis über) 1000 Seiten. Zum ersten gibt es die Verfilmung Der junge Törleß von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1965 mit Mathieu Carrière in der Titelrolle.

Musils Der Mann ohne Eigenschaften zählt neben den Romanen Ulysses und Finnegans Wake von James Joyce, Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und dem Roman Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin zu den literarischen Werken des letzten Jahrhunderts (Kafkas Romane lasse ich ganz einfach außen vor …). Allein die Seitenzahlen dieser Bücher mag manchen Leser zurückschrecken lassen. Aber vielleicht wagt es doch der oder die eine oder andere, dem Werk ‚auf den Leib‘ zu rücken. So ein Pfingsttag eignet sich bestimmt für den Anfang. Wohl bekommt’s 😉 !

    Heute Ruhetag = Lesetag!

Erster Teil – Eine Art Einleitung
1 Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht

Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering. Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.

Autos schossen aus schmalen, tiefen Straßen in die Seichtigkeit heller Plätze. Fußgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre. Wo kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmäßigen Puls. Hunderte Töne waren zu einem drahtigen Geräusch ineinander verwunden, aus dem einzelne Spitzen vorstanden, längs dessen schneidige Kanten liefen und sich wieder einebneten, von dem klare Töne absplitterten und verflogen. An diesem Geräusch, ohne daß sich seine Besonderheit beschreiben ließe, würde ein Mensch nach jahrelanger Abwesenheit mit geschlossenen Augen erkannt haben, daß er sich in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien befinde. Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen. Die Augen öffnend, würde er das gleiche an der Art bemerken, wie die Bewegung in den Straßen schwingt, bei weitem früher als er es durch irgendeine bezeichnende Einzelheit herausfände. Und wenn er sich, das zu können, nur einbilden sollte, schadet es auch nichts. Die Überschätzung der Frage, wo man sich befinde, stammt aus der Hordenzeit, wo man sich die Futterplätze merken mußte. Es wäre wichtig, zu wissen, warum man sich bei einer roten Nase ganz ungenau damit begnügt, sie sei rot, und nie danach fragt, welches besondere Rot sie habe, obgleich sich das durch die Wellenlänge auf Mikromillimeter genau ausdrücken ließe; wogegen man bei etwas so viel Verwickelterem, wie es eine Stadt ist, in der man sich aufhält, immer durchaus genau wissen möchte, welche besondere Stadt das sei. Es lenkt von Wichtigerem ab.

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Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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