Heute Ruhetag (55): Christan Morgenstern – Galgenlieder

    Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.
    Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathrustra

Christian Morgenstern (1871 in München; 1914 in Untermais, Tirol, Österreich-Ungarn) war ein deutscher Dichter, Schriftsteller und Übersetzer (u.a. August Strindberg und vor allem Henrik Ibsen). Besondere Bekanntheit erreichte seine komische Lyrik, die jedoch nur einen Teil seines Werkes ausmacht.

Morgensterns bekanntestes Werk sind seine Galgenlieder, ein erstmals im März 1905 im Verlag Bruno Cassirer (Berlin) erschienener Gedichtband, an dem er seit 1895 gearbeitet hatte. Die Galgenlieder wurden zunächst 1895 im kleinen Kreis von acht Freunden, dem Bund der „Galgenbrüder“, bei Ausflügen zum Galgenberg in Werder (Havel) bei Potsdam im privaten Kreis vorgetragen. Es handelt sich dabei um eine Reihe von formal und inhaltlich kindlich anmutenden, sprachspielerischen Gedichten, die Morgenstern „Spiel – und Ernst=Zeug“ nannte. Bald schon entfernte er sich vom ursprünglichen Thema des Galgens und erweiterte diese um sprachspielerische, oft Dinge verlebendigende, grotesk anmutende Gedichte.

Wie die Galgenlieder entstanden

Es waren einmal acht lustige Könige; die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie Könige zueinander sprechen. »Die Welt ist ohne Salz; laßt uns nach Salz gehen!« sagte der zweite. »Und wenn es Pfeffer wäre«, meinte der sechste. »Wer weiß das Neue?« fragte der fünfte. »Ich!« rief der siebente. »Wie nennst du’s?« fragte der erste. »Das Unterirdische,« erwiderte der siebente, »das Links, das Rechts, das Dazwischen, das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.« »Und der Weg dazu?« fragte der achte. »Das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel«, sagte der siebente. »Also der Galgen!« sagte der vierte. »Esto«, sprach der dritte. Und alle wiederholten: »Esto«, das heißt »Jawohl«. Und die acht lustigen Könige rafften ihre Gewänder und ließen sich von ihrem Narren hängen. Den Narren aber verschlang alsogleich der Geist der Vergessenheit. –

Betrachten wir den ›Galgenberg‹ als ein Lugaus der Phantasie ins Rings. Im Rings befindet sich noch viel Stummes.

Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schulbank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre.

    Heute Ruhetag = Lesetag!
    Laß die Moleküle rasen,
    was sie auch zusammenknobeln!
    Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
    heilig halte die Ekstasen!

Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,
wir hängen hier am roten Zwirn!
Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Du bist verflucht! so sagt die Eule.
Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
Doch dich zerbrach’s noch immer nicht.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Hört ihr den Huf der Silbergäule?
Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!
da taut’s, da graut’s, da braut’s, da blaut’s!

[…]

Christan Morgenstern: Galgenlieder

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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