Jacques Tati: Trafic (1971)

Ach, wie liebe ich diesen großen, schlaksigen Franzosen mit seinem beigen Trenchcoat, dem Hut und der langen Pfeife im Mund: Von Jacques Tati habe ich jetzt nach Die Ferien des Monsieur Hulot (1953) und Schützenfest (1949) einen weiteren Film angeschaut, dem letzten mit Monsieur Hulot in der Hauptrolle: Trafic aus dem Jahre 1971. Was für eine Erholung. Endlich wieder schmunzeln, ja lachen nach all den Dreck, von dem man zz. im Internet überschüttet wird.

JA DAS NETZ … und die Dummheit! Was dort von Rechtsaußen gehetzt wird, wie jeder Depp meint, seinen Hass unters Volk streuen zu müssen, kann einen fast sprachlos machen.

Da hilft selbst ein Hilferuf an die mindestens durchschnittlich Begabten von Sascha Lobo wenig. Denn dem ganzen Gesocks ist, wie Lobo selbst feststellt, nicht beizukommen: „Häufiger schon wurde darüber geschrieben, dass man mit diesen Leuten nicht diskutieren könne. Das liegt aber nicht nur daran, dass sie nicht wollen, sondern dass den Kommentatoren auf der Seite oft selbst die elementarsten Dialogfähigkeiten fehlen. An ihnen perlt sogar die Frage ‚Warum?‘ ab.“

Was sind wir für ein Volk geworden? Jede Knallcharge torkelt mit seinem Smartphone durch die Gegend und erbricht sich ins Netz. OMG, wohin soll das noch führen? Wenn ich vor irgendwen Angst habe, dann vor diesen hirnamputierten rechten Horden! Genug! Genug!

Wie entspannend ist da Jacques Tati!

Im Mittelpunkt steht ein modern konstruierter Campingwagen, an dessen Entwicklung auch Monsieur Hulot beteiligt war. Dieser soll zu einer Automobil-Ausstellung in Amsterdam überführt werden. Leider ergeben sich viele Verzögerungen, sodass Hulot und seine Kollegen erst in Amsterdam ankommen, als die Ausstellung beendet ist.


Jacques Tati Trafic – Trailer

„‚Trafic‘ spielt in einer Welt, die für das Auto geschaffen wurde und in der die Menschen nur zweitrangig sind. Die meisten kommen nicht pünktlich dort an, wo sie hin möchten. Das gilt nicht nur für die Autofahrer; also die drei Hauptfiguren, die Unfallbeteiligten, die Wartenden auf der Polizeiwache und die Wartenden in den zahlreichen Staus. Auch die Fußgänger werden in der abschließenden Szene von den Autos am zügigen Fortkommen gehindert.“

Wir heutigen Betrachter, die mit schnellen Schnitten und einem schnellen Handlungsablauf (Action nennt man das wohl) allzu oft gemartert werden, brauchen etwas Geduld (der Film hat immerhin 45 Jahre auf dem Buckel), um sich an das gemächliche Tempo des Films zu gewöhnen. Schon damals standen die Autos im Stau und kamen nur stockend voran. So sieht man Bilder von sich in der Nase popelnden Autofahrern – oder wie sie vor Müdigkeit gähnen. Die Langeweile überträgt sich – sicherlich gewollt – auf den Zuschauer (der dann vielleicht auch popelnd ‚in sich‘ geht).

In der zweiten Hälfte versprüht der Film dann aber jenen Tati’schen Humor in Hülle und Fülle. – Ich mag den schwarzen englischen Humor. Tatis Humor ist dagegen ‚bunt‘ Und ich mag auch diesen Humor, der mit viel französischen Charme daherkommt.

Jacques Tati als Monsieur Hulot in Trafic (1971)

Köstlich ist die Szene, in der Hulot einen beim Massenunfall Verletzten nach Hause bringen lässt, er an der Tür klingelt, die wohl nicht funktioniert. So wirft er Steinchen ans obere Fenster. Und als auch daraufhin niemand reagiert, versucht er, das Spalier hochzuklettern. Dabei kommt ihm das hochgerankte Gewächs entgegen. Später hängt er dann kopfüber in einem Baum beim Versuch, das Rankengewächs zu richten.

„Trafic“ ist der erste Film von Tati, der – teilweise – außerhalb Frankreichs spielt. Alle Darsteller sprechen ihre Texte in ihrer Muttersprache, also hauptsächlich Französisch, Flämisch und Niederländisch. Die Amerikanerin Maria Kimberly spricht Englisch. In der Fassung, wie sie der Sender arte zum Jahreswechsel ausgestrahlt hatte, müssen also einige wenige Teile deutsch synchronisiert worden sein. Für die Handlung ist das Sprachverständnis aber eigentlich (wie auch in den anderen Hulot-Filmen) unwichtig.

Bemerkenswert ist die Optik, die dieser Film vermittelt. Was mir sehr schnell auffiel, ist das Fehlen von Nah- oder Großaufnahmen von Personen. Tati verweist den Zuschauer in die Rolle des distanzierten Betrachters. Dies erreicht er durch die fast ausschließliche Verwendung von Totalen und halbnahen Einstellungen.

Weiter passen sich die Schnittfolgen dem Inhalt an. Harte, rhythmische Schnitte am Anfang vom Automobilwerk und kurze Einstellungen auf der Autobahn werden abgelöst von langen Passagen der Urlaubsidylle am Fluss und behutsamen Schwenks bei Aufnahmen der choreographischen Szenen: Hauben- und Türenöffnen bei der Messe, der Auftritt der beiden parallel agierenden Motorradfahrer und der Unfall auf der Kreuzung.

Tati ist großartig, der Film ein zeitloses Meisterwerk,– und ich freue mich schon auf einen weiteren Film von ihm, Playtime (Tatis herrliche Zeiten) aus dem Jahr 1967, der Tati allerdings wegen der für damalige Zeiten horrenden Kosten in die Insolvenz trieb.

Übrigens: Nach einem von Tati geschriebenen Drehbuch, aber dann nicht realisierten Film, entstand 2010 ein französisch-britischer Animationsfilm von Sylvain Chomet: L’Illusionniste. Leider ist der Film Trafic im Netz nur als Trailer oder in kurzen Ausschnitten verfügbar. Dafür (als Entschädigung) hier der Animationsfilm, in dem Tati als Tati auftritt:


The Illusionist(2010) – Full Movie

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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