Franz Josef Degenhardt: Rumpelstilzchen

Komme ich noch einmal auf unsere Begegnung und das Gespräch mit Werner, der mit dem Janker und den Dread Locks, auf unserer Rückreise aus unserem Bayernurlaub im Zug von Garmisch-Partenkirchen nach München zurück. Werner hatte uns angesprochen, und wir kamen auf Hamburg und diverse Liedermacher zu sprechen. Neben Hannes Wader sprachen wir auch von Franz Josef Degenhardt (welch typisch bayerischer Name). Mir ist Degenhardt durchaus geläufig, Er war Rechtsanwalt und 1968 mit Prozessen der APO beschäftigt und zunächst Mitglied der SPD, dann der DKP. Degenhardt ist nicht nur Liedermacher, sondern veröffentlichte auch eine Anzahl von Romanen. Sein wohl bekanntestes Lied heißt: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern,
sing nicht ihre Lieder.
Geh doch in die Oberstadt,
machs wie deine Brüder,
so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor.
Er schlich aber immer wieder durch das Gartentor
und in die Kaninchenställe, wo sie Sechsundsechzig spielten
um Tabak und Rattenfelle –
Mädchen unter Röcke schielten –
wo auf alten Bretterkisten
Katzen in der Sonne dösten
(usw.)

Nun, Werner hat mich gewissermaßen auf den Geschmack gebracht, und so habe ich ein wenig nachgeforscht, gesucht und gefunden: Zunächst Lieder von Wader und nun die Lieder von Franz Josef Degenhardt.

Neben dem Schmuddelkinder-Lied (1965) ist Rumpelstilzchen (1963) ein weiteres mir bekanntes Lied und als Bänkel-Song veröffentlicht. Beide Lieder finden sich übrigens auf einer Doppel-CD „Stationen“, die 1988, 25 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung, erschienen ist.

Franz josef Degenhardt: Rumpelstilzchen (1963) Franz josef Degenhardt: Stationen
Franz Josef Degenhardt: Rumpelstilzchen (1963) Franz Josef Degenhardt: Stationen (1963-1988)

Nun, ich finde Degenhardt nicht unumstritten (DKP-Mitgliedschaft und damit seine ziemlich unkritische Nähe zu den DDR-Machthabern). Trotzdem halte ich ihn für einen Liedermacher mit einer präzisen Beobachtungsgabe, dem es gelingt, das gutbürgerliche Mäntelchen, das einiges zu verbergen trachtet, zu lüften.

Franz Josef Degenhardt: Rumpelstilzchen

Wenn morgens schon die Schule brennt,
wenn ein Pfarrer aus der Kirche rennt,
ein Schutzmann in die Pfütze fällt,
ein Hund durch ein Museum bellt,
wenn der Friedhofswärter, der niemals trinkt,
noch am offnen Grab an zu lachen fängt,
wenn der Mond sich vor die Sonne schiebt
und ein Greis ein Mädchen von siebzehn liebt,
da habe ich, mal kaum, mal viel, die Hand im Spiel.
Ich bin mit jedem blutsverwandt,
doch bleibt mein Name ungenannt.
Es ist gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß.
Hemba – hemba hé
Hemba – hemba hé

Soldaten, wenn sie vor der Schlacht
heimlich rückwärts lauern und ganz sacht
die Waffen von den Schultern ziehn,
nicht glauben, dass die Feinde fliehn,
wenn ein Richter vorm Automaten steht,
einen Blechknopf zwischen Fingern dreht,
seine Frau, schon ziemlich angegraut,
verträumt nach Italienern schaut,
die lachend um die Ecke gehen und stark aussehn,
da pfeif´ ich einen leisen Ton
und flüstre: „Na, nun macht doch schon.“
Es ist gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß.
Hemba – hemba hé
Hemba – hemba hé

Ich bin es, der so oft bei Nacht
unterm Bett liegt und so hämisch lacht,
und der, der hinterm Spiegel steckt,
der grinst, wenn man das Kinn vorreckt,
der von jeder Geschichte den Schluss verrät,
der beim dritten Mal wie ein Hahn aufkräht,
der auch gnäd´ge Frau´n ans Kreischen bringt,
wenn ein Wort fällt, das so glitschig klingt.
Und der Spruch an der Toilettentür stammt auch von mir.
Ich beiß´ auf Glas und knirsche laut,
und so entsteht die Gänsehaut.
Es ist gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß.
Hemba – hemba hé
Hemba – hemba hé

Am Bahndamm, wo der Zug verkehrt,
der von Schilda nach Schlaraffia fährt,
wo Kinder ihre Höhlen baun,
weil sie sich nicht nach Hause traun,
wo der Rattenfänger von Hameln pfeift,
wo der Ziegenjunker die Scheren schleift,
wo der Wind durch tote Autos fegt,
wo der bucklige Oskar die Trommel schlägt,
da zünde ich am Abend dann mein Feuer an.
Ich tanze bis der Mond aufgeht,
und sing´ dazu mein altes Lied:
Es ist gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß.
Hemba – hemba hé
Hemba – hemba hé


Franz Josef Degenhardt: Rumpelstilzchen (1963)

Download Degenhardt: Stationen (1963-1988)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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