Dokumentarfilme mit heiklem Thema sind seit Michael Moore auch für große Kinos interessant geworden. Auch wenn nachgesagt wird, dass es Michael Moore mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt, so durfte man doch gespannt sein, was er als Neues präsentieren würde. Okay, das Thema „Amerikanisches Gesundheitswesen“ war schon länger bekannt. Jetzt also Michael Moores dritter großer Dokumentarfilm: „Sicko“.
Diesmal steht kein personifizierter Feind wie Charlton Heston in „Bowling For Columbine“ oder George Walker Bush in „Fahrenheit 9/11“ als Gegner in der Ringecke, sondern eine Industrie als Ganzes: die Pharmaindustrie, die Krankenhausunternehmen und die Versicherer. Moore prangert das Grundübel der Privatisierung eines Grundrechts an. Die Konzerne sind, wie in der Privatwirtschaft üblich, nur auf Profite aus. Um diese zu erlangen, gehen sie buchstäblich über Leichen, was Moore anhand von vielen Einzelschicksalen dokumentiert.
Moore vergleicht das auf private Vorsorge angelegte System unter anderem mit dem öffentlichen Krankenkassensystem in Europa. Zur Einstimmung legt er den Finger buchstäblich in offene Wunden und führt einen Mann, der sich wie 50 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung leisten kann, beim Zunähen seiner Fleischwunde vor: Die Nadel im Hause erspart den Chirurg. Sein eigentliches Thema aber sind jene 250 Millionen privat Versicherte, die ihre Schäfchen im Trockenen glauben.
Mit erschütternden Schicksalen, ausgewählt unter den Zusendungen tausender Betroffener, belegt Moore, wie hart arbeitende Menschen im Krankheitsfall von Versicherungskonzernen in den Ruin getrieben werden, weil ihnen unter absurdesten Vorwänden Operationen und Behandlungen verweigert werden. Komplettiert werden die tragikomischen Horrorgeschichten von Interviews mit Aussteigern aus der Branche.
Sicko“ ist ein trauriger, bitterer, scharfer – und ein lustiger Film. Moore, sonst sendungsbewusster Selbstdarsteller, hält sich diesmal betont zurück, widmet sich den Benachteiligten. „Sicko“ wird kaum kontrovers diskutiert – allzu bekannt sind die Schwächen des Gesundheitswesens. Moore, der mit „Fahrenheit 9/11“ den erfolgreichsten Dokumentarfilm aller Zeiten gedreht hat, wird es schaffen, selbst mit einem so spröden Thema Millionen Zuschauer ins Kino zu locken. Der neue Michael Moore – Politainment at its best.
siehe zdf.de: Filmausschnitt aus Sicko