Wow, was für ein Konzert. Am Freitag (25.10.2013) gastierte Martin Barre, von Ende 1968 bis Mitte 2011 Gitarrist der Gruppe Jethro Tull, mit seiner Band in der Empore zu Buchholz i.d. Nordheide. Und ich habe es nicht bereut, das Konzert zu besuchen. Es war ganz einfach phantastisch, was Martin und seine Mannen da boten. Auch meine beiden Söhne, die eigentlich keine Tull-Fans sind, waren begeistert.
Zuvor gab es aber noch einen gehörigen Schrecken in der Abendstunde: Mit meinem jüngeren Sohn fuhr ich mit dem Auto von Tostedt nach Buchholz und parkte dort am Bahnhof, um meinen älteren Sohn, der mit dem Zug aus Göttingen anreiste, abzuholen. Die Eintrittskarten hatte ich in die Innentasche meiner Jacke verstaut, da war ich mir zu 100 Prozent sicher. In Buchholz hatten wir noch reichlich Zeit bis zur Ankunft des Zuges. So gingen wir beide schon mal die Strecke zum Veranstaltungsort ab. Beim Aussteigen aus dem Auto müssen wohl die Eintrittskarten aus der Jackentasche geflutscht sein – und unterwegs entglitten sie mir dann wohl ganz. Als wir meinen älteren Sohn endlich abgeholt hatten (die Zug war fast pünktlich), stellte ich dann zu meinem Schrecken fest, dass die Karten futsch waren. Im Auto lagen sie nicht. Aber dann fanden wir sie doch noch auf dem Weg zur Empore. Erleichterung pur! (Scheiße, ich werde alt …!).
Dann aber das Konzert! Einzigster Wermutstropfen: die wenigen Zuschauer. Aus dem Kulturetat der Stadt Buchholz wird wohl einiges draufgelegt werden müssen, um die Gage für Martin Barre und Band begleichen zu können. Das hatte allerdings auch einen Vorteil: So ergab sich von Anfang an eine geradezu familiäre Atmosphäre. Die Bestuhlung der schon so eher kleinen Halle war entfernt worden. Dafür hatte man runde Tische aufgestellt, auf denen man seine Getränke abstellen konnte. So verteilte sich das Publikum gleichmäßig im Saale (Die bestuhlten Plätze auf dem Rangbalkon waren aber wohl fast alle belegt – ich pflanzte mich mit meinen Söhnen auf noch freie Plätze auf dem Seitenbalkon). Nach kurzer Einleitung legte dann Martin mit einem eigenen Stück los. Gut, ich habe (fast) alle Scheiben von ihm, aber manches instrumentale Stück kommt doch recht kraus daher. Mein ältester Sohn fand das aber ganz okay und nannte es „Spielwiese“ eines typischen Gitarristen. Stimmt wohl. Dann kam auch schon das erste Stück von Jethro Tull: „Minstrel in the Gallery“ (ohne Intro), denn der Abend stand ja unter dem Motto: Martin Barre & Band playing the classic music of Jethro Tull.
Erst einmal aber zum Line Up: Statt des ebenfalls ehemaligen Jethro-Tull Mitglieds Jonathan Noyce spielte Greg Harewood den Bass. Der klang ziemlich dezent, füllte aber ausreichend den Raum. Bei manchen Stücken linste er durch seine Brille schon mal aufs Notenblatt. Im zweiten Teil des Konzertes kam er dann aber doch ganz gut in die Puschen. An der Schießbude saß George Lindsay, dessen Spiel ich als solide bezeichnen möchte. Neben Martin Barre war es der Franzose Pat O’May, der sicherlich keinen Schönheitspreis gewinnen dürfte, der aber gekonnt die Klampfe krachen ließ. Sicherlich fehlt ihm der letzte Schliff, der das Gitarrenspiel von Martin ausmacht, aber oberaffengeil fand ich schon die Gitarrenduette, die Martin und Pat zweistimmig hinlegte (z.B. in „Fat Man“ und „Song for Jeffrey“). Und „To Cry You a Song“ mit Soli beider Gitarristen war der Hammer.
Dan Crisp mit akustischer Gitarre der Sänger der Gruppe (manchmal unterstützt von Pat O’May) hat zwar nicht die frühere Stimme Ian Andersons. Aber seine Stimme, etwas kratzig schon, meisterte die Höhen und Tiefen der Lieder in voller Bravour (kein Anderson’sches Gequäle). Besonders schön die beiden langsamen Stücke „Wond’ring Aloud“ und „Still Loving You Tonight“, bei denen Dan Crisp auf der akustischen Gitarre lediglich von Martin Barre mit E-Gitarre überstützt wurde. Auch hier gab es ein verdoppeltes Sologitarrenspiel. Klasse! Und was ist mit Flöte? Nichts ist damit. Ganz ehrlich: Ich habe es nicht vermisst. Frank Mead, der angekündigt und wohl anderweitig unterwegs war, hat mich nicht mit seinem Saxophon- und Flötenspiel überzeugen können (siehe Youtube-Videos). Stücke von Jethro Tull mit Flöte, die nicht von Ian Anderson gespielt wird, das geht irgendwie nicht. Und dank der Präsenz der Gitarrenpower hat wohl keiner wirklich die Flöte an diesem Abend vermisst.
Was gab es noch so Schönes? TAAB in Ausschnitten als „Thin as a Brick“ vorgestellt zeigte Martin Barres Anteil an diesem sonst nur Ian Anderson zugeschriebenen Machwerk auf: eine Instrumentalpassage, die ebenfalls im Zusammenspiel mit Pat O’May den Zuhörern einiges auf die Ohren gab. Von Jethro Tull gab es dann noch „Home“ und „Hymn 43“, beides durch Martin umarrangiert und mit neuer Frische belegt. Ach ja, dann noch bei der Zugabe „Locomotive Breath“. Musste wohl sein. Neben weiteren Instrumentalstücken aus Martin Barres Feder gab es auch ein Stück von Pat O’May – sowie einige Bluesstandards (u.a. „Crossroad“). Hier kam dann auch der farbige Bassist Greg Harewood ins Rollen.
Alles in allem ein gelungenes Konzert (wie gut, dass ich die verloren geglaubten Karten wiedergefunden habe, aber ich hätte mir dann doch noch einen Kartensatz an der Abendkasse geordert). Nein, mehr noch: ein absolut geiles Konzert! Das lag natürlich auch an der guten Akustik der Halle. Der zweite Teil (nach einer Stunde Konzert gab es eine Pinkelpause von 20 Minuten, die wohl auch dem Alter der meisten Besucher geschuldet war, selbst meine beiden Söhne dürften das Durchschnittsalter kaum unter 60 Jahre gedrückt haben 😉 ) war dann sogar noch etwas besser vom Klang her, da am Mischpult erfolgreich nachjustiert wurde. – Früher habe ich Konzerte in großen Mehrzweckhallen besucht, die eigentlich klanglich völlig ungeeignet für Konzerte sind.
Natürlich könnte man sich fragen, warum Martin Barre immer noch in erster Linie Stücke von Jethro Tull spielt? Immerhin hat er über 40 Jahre „Stage left“ von Ian Anderson gestanden und maßgeblich den Stil der Gruppe mitgeprägt (Jethro Tull ist bzw. war eben nicht Ian Anderson allein). Und der leider einzigste Grammy-Gewinn der Band (für das Album Crest of a Knave) geht im hohen Maße auf die Kappe von Martin Barre.
Noch ein Wort zu der geringen Besucherzahl. Jethro Tull, soweit sie einer kennt, verbinden auch heute noch viele in erster Linie mit Ian Anderson. Martin Barre war immer ein ergebener Vasall des Flötenmeisters. So kennen zwar viele Ian Anderson, kaum einer (außer echte Jethro Tull-Fans) kennt Martin Barre. Dabei zählt er zu den größten Rockgitarristen und sein Gitarrensolo auf dem Stück „Aqualung“ (das übrigens beim Konzert in Buchholz nicht gespielt wurde) zählt auf Platz 25 (in anderen Umfragen auf Platz 20) zu den besten und größten der Rockmusik. Schade, dass nicht mehr Rock-Fans den Weg in die Empore nach Buchholz gefunden haben. Jungs und Mädels: Ihr habt wirklich etwas verpasst!
Und noch eines: Es tat Martin Barre sichtlich gut, nicht im Schatten von Ian Anderson stehen zu müssen. Er präsentierte sich in Buchholz zwar bescheiden, wie er nun einmal ist, aber auch sehr locker und entspannt. Und was er auf der Gitarre zauberte, war schon aller erste Sahne!
Lesenswert finde ich übrigens den Bericht von King Heath im Jethro Tull Board @ www.laufi.de (also ich habe nur 2 € 50 fürs Bier bezahlt) und das sich (fast) ganz mit meinen Eindrücken vom Konzert deckt.
Martin Barre hat im Laufe der Jahre neben den Alben von Jethro Tull auch eigene Scheiben veröffentlicht: Martin Barre. Die neueste Away With Words habe ich mir beim Konzert gekauft. Zu dieser später etwas mehr. Es ist ein – soviel kann ich verraten – ganz eigenartiges Album, dass nur wenige Bezüge zum Konzert hat. Im überwiegendem Teil ist es akustisch und ohne Gesang („weg mit Wörtern“) und verknüpft in fast jedem Stück ein Lied aus der Feder von Ian Anderson mit Kompositionen von Martin Barre (z.B. Jethro Tulls „One Brown Mouse“ mit Barres „Fatcat“).
Nachtrag: Inzwischen gibt es auch Videos von Martin Barres Konzert in Buchholz (und drei Tage zuvor aus Bamberg). Dank an die Jungs (und/oder Mädels), die das bei Youtube eingestellt haben.