Archiv für den Monat: Juni 2013

Blumenpracht Teil 34

Viele tausend Personen müssen ihre Häuser verlassen. Deiche, die den Wassermassen nicht mehr Stand halten. Das bisher schlimmste Hochwasser erreicht fast überall Höchstwerte und bahnt sich seinen Weg jetzt auch in Richtung Norden. Der Scheitelpunkt des Elbe-Hochwassers (siehe auch: pedelonline) steht kurz bevor. Der Schaden lässt sich noch gar nicht abschätzen. Und das Schlimme: In einigen Hochwassergebieten regnet es erneut wieder stark. Bemerkenswert ist dabei ohne Zweifel die Hilfsbereitschaft und die Solidarität der Menschen.

Wir hier zwischen Weser und Elbe in der Nordheide können da nur von Glück reden, denn bis auf den Dauerregen in der zweiten Maihälfte haben wir mit Wassermassen diesen Ausmaßes nichts zu tun. Im Gegenteil: Der viele Regen und jetzt die Tage mit viel Sonnenschein sorgen dafür, dass es in der Natur und damit auch in unserem Garten blüht und gedeiht.

Libelle im Garten

blühende Büsche in AlbinZ Garten - Juni 2013

Blumenpracht in AlbinZ Garten Juni 2013

weitere Fotos siehe Fotoalbum auf Facebook: Blumenpracht in AlbinZ Garten – Juni 2013

Martin Walser: Jenseits der Liebe

Marcel Reich-Ranicki, der bis dato einflussreichste deutschsprachige Literaturkritiker der Gegenwart (Literaturpapst) hatte den 1976 von Martin Walser verfassten Roman Jenseits der Liebe in der F.A.Z. förmlich verrissen. Unter der Überschrift ‚Jenseits der Literatur’ schrieb er: ‚Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen’ (siehe meinen Beitrag: Zu Martin Walser (4): Tod eines Kritikers).

Ich habe das gerade einmal 150 Seiten umfassende Buch als suhrkamp taschenbuch 525 – Suhrkamp Taschenbuch Verlag – 1. Auflage 1979 vorliegen und in diesen Tagen erneut gelesen.

Im Klappentext steht hierzu:

Der Firmenrepräsentant Franz Horn, der dem Direktor Thiele und dessen Unternehmen ein höchst erfolgreicher Mitarbeiter war, begreift, daß seine Zeit vorbei ist. Thiele und der jüngere promovierte Kollege Liszt hatten es lange vorzüglich verstanden, durch ein ernsthaft freundschaftliches Verhalten von dieser Degradierung abzulenken. Genau zu jener Zeit, als es begann, mit ihm bergab zu gehen, vollzog sich auch die Trennung Horns von seiner Familie. Was in seinem Arbeitsleben an Pression erzeugt war, an Depression sich angestaut hatte, hatte sich lange genug unkontrolliert und zerstörerisch zu Hause entladen. Als Horn erfolglos von einer Geschäftsreise zurückkehrt, sieht er sich so, wie er ist: ohne glaubwürdige Beziehung zu Menschen, ohne gesellschaftlichen Rückhalt, ohne politische Überzeugung, ohne Selbstvertrauen, darum ohne Glück und Potenz – am Ende.

Walser demonstriert, was es heißt, jene Grenze zwischen Liebe und jenseits der Liebe überschritten zu haben. Er zeigt auf, daß Liebe oder der Mangel daran sich auch sozial begreifen lässt, daß Liebe einsetzbar ist, entzogen werden kann. Daß sie unter vielerlei Namen auftritt und immer ein Teil dessen ist, was uns lebensfähig macht.

    Martin Walser: Jenseits der Liebe

Um es gleich zu sagen: Die Kritik Reich-Ranickis war nicht nur nicht angemessen, sondern auch durch politische Ressentiments bestimmt. Martin Walser galt als linker Intellektueller und sollte ‚abgestraft’ werden. Denn der Roman ist äußerst politisch, geht es in ihm um eine ‚Liebe’, die als Machtinstrument eingesetzt wird. Aber es ist sicherlich auch der Stil, in dem Walser geschrieben hat und der Reich-Ranicki mit Sicherheit nicht gefallen haben dürfte. Hierzu schrieb Aurel Schmidt in der National-Zeitung Basel – und kommt damit der Sache schon deutlich näher:

„Walser schreibt eine zwingende, mitreißende Sprache, die jede Nuance, jede Schattierung, jede kleinste Veränderung, jede Einwirkung auf das Bewußtsein genau registriert … Es ist eine nervige Sprache, in der eine Fülle von Beobachtungen aufgehoben sind.“

Ja, es ist eine ‚nervige Sprache’ – denn die Erzählung in 3. Person Einzahl (‚er’) geht bald in einen inneren Monolog über (‚ich’) oder wechselt zum Pronomen ‚man’, entspricht so fast mehr noch der Erzähltechnik des stream of consciousness. So fließen Erinnerungen in die Erzählung, die den Hintergrund des Geschehens verdeutlichen. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht, denn Walser gelingt es auf unnachahmliche Weise den Leser in die Rolle des Franz Horn zu versetzen.

Der Roman ist dabei durchaus aktuell angesichts der Tatsache, dass heute immer mehr Menschen am Burnout-Syndrom erkranken, also besonders emotional erschöpft sind. Franz Horn versucht sich am Ende durch Tabletten selbst zu töten. Das gelingt nicht … Das führte dazu, dass Martin Walser auch diesen Romanunhelden noch einmal in ‚den Ring’ schickte. Sechs Jahre später, 1982, sehen wir die Protagonisten Horn, Thiele und Liszt im Roman Brief an Lord Liszt wieder miteinander kämpfen.


Ravensburg, Galgenhalde

‚Jenseits der Liebe’ spielt übrigens in Ravensburg. Franz Horn lebt in einer Straße namens Galgenhalde, was schon viel besagt.

Heute Ruhetag (37): William Shakespeare – Ein Sommernachtstraum

Er gilt als der Lyriker aller Lyriker, als Dramatiker schlechthin. Wer sich halbwegs für Literatur interessiert, kommt an ihm nicht vorbei: William Shakespeare. 1564 in Stratford-upon-Avon geboren und dort 1616 gestorben. Seine Komödien und Tragödien gehören zu den bedeutendsten und am meisten aufgeführten und verfilmten Bühnenstücken der Weltliteratur. Sein überliefertes Gesamtwerk umfasst 38 Dramen, außerdem Versdichtungen, darunter einen Zyklus von 154 Sonetten.

Die Komödie Ein Sommernachtstraum oder Ein Mittsommernachtstraum (engl. A Midsummer Night’s Dream) wurde 1595 oder 1596 von William Shakespeare geschrieben und vor 1600 uraufgeführt (gedruckt 1600). Das Stück ist eines der meistgespielten Shakespeare-Stücke. In den englischsprachigen Ländern ist der Sommernachtstraum ein Klassiker für Schul- und Laientheaterinszenierungen.

Das Stück beginnt in Athen. Theseus, Herzog von Athen, und Hippolyta, Königin der Amazonen, wollen heiraten. Da erscheint Egeus, ein Athener, gefolgt von seiner Tochter Hermia und dem jungen Athener Lysander, die ein Liebespaar sind. Egeus jedoch hält Demetrius für die bessere Wahl. Dieser ist vernarrt in Hermias Schönheit und hat bei Egeus auch schon um ihre Hand angehalten. Davor hatte er sich aber bereits mit Helena, einer Freundin Hermias, verlobt. Egeus verlangt, dass Hermia bestraft werde, wenn sie seiner Forderung, Demetrius zu heiraten, nicht entspreche. Theseus erklärt, sollte sich Hermia weiterhin nicht dem Willen des Vaters fügen, müsse sie den Rest ihres Lebens in einem Nonnenkloster verbringen oder sterben.

Spätere Szenen spielen im Wald: Der Feenkönig Oberon und seine Gattin zürnen miteinander, leben voneinander getrennt, aber doch in ein und demselben Wald in der Nähe von Athen. In diesen Wald kommen zwei Liebespaare: Helena, die den Demetrius, Demetrius, der die Hermia, Hermia, die den Lysander, Lysander, der die Helena liebt. Oberon erbarmt sich der Liebenden und lässt durch einen Diener Puck, auch Robin Gutfreund genannt – nachdem dieser durch Schelmerei zuerst das Blatt gewendet und neue Verwirrungen angerichtet hat – durch einen Zaubersaft das Gleichgewicht herstellen. (Quelle u.a. klassiker-der-weltliteratur.de)

Literaturinteressierten dürfte die Figur des Handwerkers Zettel vielleicht bekannt sein, gab dieser dem 1970 erschienenen Monumentalwerk des Dichters Arno Schmidt den Titel: Zettel’s Traum. Oberon benützt den einfältigen Zettel, seiner Gemahlin einen Streich zu spielen. Er lässt auf Titanias Augen von einem Liebeszaubersaft tröpfeln, und so hält die Feenkönigin den mit einem Eselskopf versehenen Zettel für einen Liebesgott.

Heute Ruhetag = Lesetag!

Ein Sommernachtstraum

Hippolyta (Königin der Amazonen, mit Theseus verlob).
Was diese Liebenden erzählen, mein Gemahl,
Ist wundervoll.

Theseus (Herzog von Athen).
Mehr wundervoll wie wahr.
Ich glaubte nie an diese Feenpossen
Und Fabelein. Verliebte und Verrückte
Sind beide von so brausendem Gehirn,
So bildungsreicher Phantasie, die wahrnimmt,
Was nie die kühlere Vernunft begreift.
Wahnwitzige, Poeten und Verliebte
Bestehn aus Einbildung. Der eine sieht
Mehr Teufel, als die weite Hölle faßt:
Der Tolle nämlich; der Verliebte sieht,
Nicht minder irr, die Schönheit Helenas
Auf einer äthiopisch braunen Stirn.
Des Dichters Aug, in schönem Wahnsinn rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erd hinab,
Und wie die schwangre Phantasie Gebilde
Von unbekannten Dingen ausgebiert,
Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt
Das luftge Nichts und gibt ihm festen Wohnsitz.
So gaukelt die gewaltge Einbildung;
Empfindet sie nur irgend eine Freude,
Sie ahnet einen Bringer dieser Freude;
Und in der Nacht, wenn uns ein Graun befällt,
Wie leicht, daß man den Busch für einen Bären hält!

Hippolyta.
Doch diese ganze Nachtbegebenheit
Und ihrer aller Sinn, zugleich verwandelt,
Bezeugen mehr als Spiel der Einbildung:
Es wird daraus ein Ganzes voll Bestand,
Doch seltsam immer noch und wundervoll.

aus: Fünfter Aufzug – Erste Szene: Ein Zimmer im Palast des Theseus

    Ein Sommernachtstraum – Oberon und Titania

William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum

Sprachen in Gefahr

„Manuel Segovia lebt in einem kleinen Dorf im mexikanischen Bundesstaat Tabasco. Seine Muttersprache ist Ayapaneco, eine alte regionale Sprache. Doch mit dem einzigen Menschen, der außer ihm noch Ayapaneco spricht, hat sich Segovia überworfen. Die beiden alten Männer leben nur fünfhundert Meter entfernt im selben Dorf. Doch seit Jahren haben sie miteinander kein Wort mehr gesprochen.“ (Quelle: zdf.de – von Alfred Krüger)

Sprachen und Dialekte haben es mir angetan. Nicht umsonst komme ich immer wieder auf dieses Thema in diesem Blog zurück. Ja, ich liebe diese sprachliche wie kulturelle Vielfalt und empfinde es als schmerzlich, wenn z:B. auch im Zuge der Globalisierung Sprachen und damit kulturelle Identifizierungen verloren gehen. In meinem Beitrag Bedrohte Sprachen in Deutschland habe ich beschrieben, dass solches auch vor unserer Haustür geschieht. Bleiben uns am Ende wirklich nur noch die rund 20 Großsprachen (wie Chinesisch, Englisch, Spanisch oder Portugiesisch)?

„Statistisch gesehen stirbt alle vierzehn Tage eine Sprache, hat die US-amerikanische National Geographic Society errechnet. Besonders gefährdet seien die Sprachen kleiner ethnischer Gruppen in Lateinamerika und in der asiatisch-pazifischen Region, heißt es im UNESCO-Atlas der bedrohten Sprachen. Aber auch in Deutschland seien dreizehn Minderheiten- und Regionalsprachen gefährdet – darunter Plattdeutsch, Nordfriesisch und Sorbisch.“

„Linguisten und Ethnologen bemühen sich weltweit, gefährdete Sprachen für die Nachwelt zu retten – so etwa im Rahmen der Förderinitiative ‚Dokumentation bedrohter Sprachen’ (DobeS), einer Art digitaler Arche Noah für bedrohte Sprachen.“

„Über einhundert gefährdete Sprachen hat DobeS bisher für die Nachwelt dokumentiert – schriftlich sowie als Audio- und Videodateien. Das digitale Archiv der Initiative befindet sich im Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nimwegen. Über die Projektwebseite ist diese Arche Noah für bedrohte Sprachen für alle Interessierten zugänglich.“

Endangered Languages – Bedrohte Sprachen

„Es gibt eine Reihe weiterer Projekte wie zum Beispiel das Enduring Voices Project (noch nicht sehr weit gediehen) der US-amerikanischen National Geographic Society“

„Auch das Suchmaschinenunternehmen Google betreibt eine Arche Noah für bedrohte Sprachen. Auf der Webseite Endangered Languages werden zurzeit mehr als 3.000 Sprachen mit Sprachbeispielen oder Videos dokumentiert (ist auch noch stark rudimentär und auch fehlerbehaftet). Auf einer Weltkarte wird angezeigt, welche Sprachen in welchen Ländern zurzeit akut bedroht sind.“

Übrigens: „Mindestens 21 europäische Sprachen – darunter Isländisch, Litauisch und Maltesisch – seien vom digitalen Aussterben bedroht, so das Ergebnis einer groß angelegten Untersuchung aus dem vergangenen Jahr.“

Martin Walser und der Tatort

Bevor ich hier meine „Zu Martin Walser“-Reihe fortsetze, heute nur ein kurzer TV-Tipp. Am 9. Jul. 1989 wurde in der ARD als 220. Folge der Tatort-Fernsehreihe ein Kriminalfilm ausgestrahlt, für den neben Asta Scheib auch Martin Walser als Autor verantwortlich zeichnete. Es war eine Folge des NDR mit Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) als Ermittler. Die Folge heißt: Armer Nanosh. Morgen am Samstag, 08. Juni 2013 wird diese Folge auf NDR3 von 21:45 bis 23:25 Uhr [VPS 21:45] wiederholt.

©NDR - Das Liebesverhältnis zwischen der Malerin Ragna Juhl (Renate Krößner) und Nanosh (Juraj Kukura) ist von Leidenschaft ebenso bestimmt wie von Eifersucht

„Hauptkommissare Paul Stoever und Peter Brockmüller sind auf der Suche nach dem Mörder der Malerin Ragna Juhl. Verdacht fällt auf Valentin Sander, einen angesehenen Bürger und Kaufhauseigentümer, und seinen Sohn Georg, die beide die Malerin liebten. Valentin Sander ist seit der Tat verschwunden. Die Herkunft des Verdächtigen rückt in den Mittelpunkt: Valentin war Sinti unter dem Namen Nanosh Steinberger, bevor er von dem reichen Kaufmann Sander adoptiert und damit vor der Deportation der Nationalsozialisten gerettet wurde. Sein leiblicher Onkel Yanko will immer noch, dass er Sinti bleibt und die Sippe übernimmt.“ (Quelle: ndr.de/fernsehen)


Ausschnitt aus: Tatort 220 – Armer Nanosh (Stoever und Brockmöller – NDR)

Ach ja: In der Rolle des Täters (?) sehen wir Edgar Selge, verheiratet mit der Schauspielerin Franziska Walser, die älteste der vier Walser-Töchter – beide sind die Eltern von Jakob Walser, ebenfalls Schauspieler.

Ich erinnere mich zwar nur dunkel, habe aber die Folge seinerzeit gesehen. Und da ich zz. voll im „Martin Walser-Rausch“ zu sein scheine, werde ich mir die Folge (wenn nichts zeitlich dazwischenkommt) mit Sicherheit anschauen. Vielleicht schaut ja auch einer von euch diesen Tatort. Er ist nicht einer der besten Tatorte (auch nicht der von Stoever und Brockmüller, den sangesfrohen Kriminalbeamten), aber trotzdem sehenswert. „Zu Martin Walser“ und seinen Kriminalromanen/-hörspielen später mit Sicherheit noch etwas mehr.

Zu Martin Walser (4): Tod eines Kritikers

Walser ist ein Differenzierungskünstler der Innenwelten. Weil er sich offenbart, ist er so leicht angreifbar.“ So heißt es auf Seite 520 in Jörg Magenaus Martin Walser-Biographie (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo 24772 – aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Oktober 2008). In seiner Dankesrede Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte, hatte sich Martin Walser auf diese Weise angreifbar gemacht und musste sich den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen.

    Jörg Magenau: Martin Walser - eine Biographie

2002 erschien Walsers Roman Tod eines Kritikers. Als Vorbild der Figur André Ehrl-König, des von der Bildfläche verschwundenen Starkritikers, gilt gemeinhin Marcel Reich-Ranicki, der einflussreichste deutschsprachige Literaturkritiker der Gegenwart (Literaturpapst). Bereits 1977 publizierte Martin Walser in DIE ZEIT (25. März 1977) seine Polemik „Über Päpste“ gegen eine sich päpstlich-unfehlbar gerierende Literaturkritik, meinte damit aber hauptsächlich Reich-Ranicki. Und in seinem Roman „Ohne einander“, erschienen 1993, hatte Walser einen Literaturkritiker namens Willi André König eingeführt, der „in der Branche Erlkönig genannt wurde.“

„Noch bevor der Roman anderen Rezensenten zugänglich, geschweige denn im Buchhandel erhältlich war, hatte die FAZ das unredigierte Manuskript zur Prüfung für einen Vorabdruck erhalten. In seinem offenen Brief an Walser lehnte der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher eine Vorveröffentlichung in seiner Zeitung aber ab und machte damit den Inhalt des Werkes öffentlich. Schirrmacher, der 1998 bei der Verleihung des Friedenspreises an Martin Walser noch die Laudatio gehalten hatte, nannte in seinem Artikel den Roman eine zwanghaft aus Verbitterung geborene Abrechnung Walsers mit seinem langjährigen Kritiker Marcel Reich-Ranicki. Als Thema des Buches sah Schirrmacher schlicht den ‚Mord an einem Juden’.“ (Quelle: de.wikipedia.org)

Es entbrannte wieder eine Antisemitismus-Diskussion, denn Marcel Reich-Ranicki ist Jude. Man warf Walser vor, sein „Roman bediene sich bei der Beschreibung Ehrl-Königs durchgängig historischer Chiffren und antisemitischer Klischees.“ Das ging dann sogar soweit, dass man Walser vorwarf, „die Propagierung von ‚Judenhass’ jahrelang vorbereitet zu haben“. Dazu kamen ressentimentgeladene öffentliche Äußerungen Walsers: „In unserem Verhältnis ist er der Täter und ich bin das Opfer“, sagte er 1998 beispielsweise über Reich-Ranicki. „Jeder Autor, den er so behandelt, könnte zu ihm sagen: Herr Reich-Ranicki, in unserem Verhältnis bin ich der Jude.“ („Süddeutsche Zeitung“ v. 19./20. September 1998).

Es ist sicherlich richtig, dass Martin Walser „mit seinem Roman jahrzehntelange Demütigungen [bearbeitete]. Was sich so lange angestaut hatte, musste nun als Wut heraus. Das war eine Notwendigkeit, ein therapeutischer Akt und dann erst, in einem zweiten Schritt, literarischer Gestaltungswille. Als er vollbracht war, fühlte Walser sich ‚so unabhängig wie noch nie’ und behauptete tapfer, über kein Buch so froh gewesen zu sein wie über dieses.“ (S. 528 der Biografie).

Gehen wir ins Jahr 1976 zurück. Walser hatte seinen kleinen Roman „Jenseits der Liebe“ veröffentlicht. „Am 27. März kaufte er sich auf dem Weg nach Frankfurt am Bahnhof die F.A.Z. und fand darin Marcel Reich-Ranickis Rezension, die mit den Sätzen begann: ‚Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen’. Schon die Überschrift – ‚Jenseits der Literatur’ – gab kund, daß es Reich-Ranicki eher um eine Exkommunizierung als um sachliche Kritik zu tun war. […] Vom einstigen Talent sei nichts übriggeblieben als Sterilität, Geschwätzigkeit und eine saft- und kraftlose Diktion. Ja, er diagnostizierte geradezu eine Verbalinkontinenz, wenn er dem Autor vorwarf, ‚Die Worte nicht mehr halten’ zu können.“ (S. 343)

Dem nächsten Werk Walsers, der Novelle Ein fliehendes Pferd (1978), war dann Reich-Ranicki dann schon wieder eher wohlgesonnen: Walser habe „offenbar nicht mehr den Ehrgeiz, mit der Dichtung die Welt zu verändern. Er will nur ein Stück dieser Welt zeigen. Mehr sollte man von Literatur nicht erwarten.“ (Marcel Reich-Ranicki: Martin Walsers Rückkehr zu sich selbst. In: FAZ, 4. März 1978). Aber nichts anderes wollte Walser schon mit seinem Roman „Jenseits der Liebe“. Reich-Ranicki wertete nicht Literatur, sondern die Gesinnung des Schriftstellers.

Sinngemäß äußerte sich Reich-Ranicki einmal so: Schriftsteller sollten froh sein, wenn er sie rezensiere. Lobt er ein Buch, so dürfte es 100.000 Leser finden. Bei einem Verriss sind es dann immer noch 20.000.

Kein Wunder, wenn sich Martin Walser eines Tages dieser Gestalt eines machtbesessen „Großkaspars“ annahm, der nach Meinung vieler Literaturkenner keine seriöse Literaturkritik betreibt, sondern Selbstinszenierung auf Kosten der Schriftsteller. Es ging für Walser aber um mehr, nämlich vor allem um die Schilderung der Machtverhältnisse im Literaturbetrieb insgesamt – und die Mechanismen, die ihn im Innersten zusammenhalten. Das Ergebnis ist der Roman ‚Tod einer Kritikers’.

Dabei „glaubte [Walser], keine ‚Abrechnung’ und schon gar keine ‚Exekution’ geschrieben zu haben, wie Kritiker ihm vorhielten, sondern auch eine versteckte Liebeserklärung.“ (S. 528 der Biografie) – „Er hatte ja sogar – davon war er überzeugt – Reich-Ranicki in der Figur des André Ehrl-König schöner, witziger, größer, souveräner gemacht, als er wirklich war. Bloß daß ihm das niemand abnehmen wollte.“ (S. 543)

Und: „Das Buch ist nicht antisemitisch, sondern handelt davon, wie Antisemitismus zum Medienthema wird.“ (S. 530) Aber das erkannten nur die wenigsten. „‚So leidenschaftlich geht die Suche nach verdächtigen Stellen mittlerweile voran, daß jeder, der keine Passage mit ‚antisemitischen Klischees’ finden kann, sich selbst des Antisemitismus verdächtig macht’, beschrieb Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung die Atmosphäre.“ (S. 522)

„Reich-Ranicki […] behauptete allen Ernstes, in ‚Tod eines Kritikers’ werde nach ‚dem Vorbild des ‚Stürmers’ ‚gegen Juden gehetzt’. ‚Der Autor vom Bodensee’ [wie er Walser jetzt nur noch nannte] kann sich nicht damit abfinden, daß ich noch lebe und arbeite. Er kann sich ja ausrechnen, daß das nicht mehr lange dauern wird. Aber er ist auf grausame Weise ungeduldig.’ Angst habe er, sagte der wortgewaltige Kritiker, als müsse er tatsächlich um sein Leben fürchten.“ (S. 537)

Interessant dabei ist, dass die öffentliche Diskussion über Walsers Werk in vielen Punkten dem Drehbuch des Romans folgte, weswegen dieser aus heutiger Sicht, wie schon Sigrid Löffler bemerkte, „gnadenlos klug und fast prophetisch“ wirkt. Oder wie es in der Walser-Biografie heißt: „Schirrmacher […] schrieb: ‚Es geht hier nicht um die Ermordung des Kritikers als Kritiker (…). Es geht um den Mord an einem Juden.’ Auch diesen unerhörten Vorwurf mußte er nur aus Walsers Roman abschreiben. ‚Das Thema war jetzt, daß Hans Lach einen Juden getötet hatte’, heißt es da. Walser schildert an dieser Stelle die Funktionsweise der Medien, die in ihrer Aufmerksamkeitskonkurrenz stets auf den größtmöglichen Skandal aus sind. Der größtmögliche Skandal aber ist der Antisemitismus. ‚Erst jetzt hatten die Medien ihr Saisonthema gefunden’, heißt es im Roman, der als Farce vorwegnahm, was in der Wirklichkeit als Tragödie folgte. Erstaunlich wie präzise die medialen Nachspieler sich an das Drehbuch hielten. Walser hätte sich über seine prognostische Präzision freuen können, wenn sie ihn nicht selbst getroffen hätte.“ (S. 531)

siehe hierzu auch: Das vermeintliche Skandalbuch

Nun auch diesen ‚Skandal’ hat Martin Walser überlebt. Ich hatte damals das Buch gelesen und konnte der Anschuldigungen wegen nur den Kopf schütteln. Natürlich brannte Walser einiges auf der Seele. Und was macht man als Schriftsteller, man schreibt es sich von dieser. Aber es ist kein Roman aus dem Affekt heraus. Walser hat sicherlich lange recherchiert und alles von Belang gesammelt. Und natürlich war da die Lichtgestalt Reich-Ranickis ein ‚gefundenes Fressen’.

Gegenüber Biografien bin ich immer etwas skeptisch. Aber die Martin Walser-Biographie von Jörg Magenau kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, der sich wenigstens etwas für Walser interessiert. Inzwischen ist diese Biografie zu einer Art Standardwerk für den ‚Autor vom Bodensee’ geworden, auch wenn Walser auf Magenaus Rückfrage behauptete: „Ihr Buch ist interessant zu lesen, aber ich bin das nicht!“.

siehe auch:
Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser
Zu Martin Walser (2): Links und DKP-nah

Martin Walser: Ein fliehendes Pferd – der Film

Stellt euch vor, ihr seid im Urlaub am Bodensee (oder in den Alpen, z.B. in Grainau, oder an Ost- oder Nordsee, vielleicht auch am Scharmützelsee in Bad Saarow – wo auch immer) und werdet von einem euch zunächst Unbekannten angesprochen. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen alten Schul- und/oder Studienkamerad handelt. Eigentlich wollte man in Ruhe einmal lesen, sich entspannen, einfach Ruhe haben. Und jetzt das! Der alte Schulkamerad erweist sich als „gleichermaßen besessen von Fitness wie gesunder Ernährung. Er ist verheiratet mit der deutlich jüngeren Helene. Sogleich wärmt er Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit mit Helmut auf, was dieser, in seinem Bestreben von der Welt verkannt zu werden, nur mit Unbehagen über sich ergehen lässt. Gegen seinen Willen treffen sich die Paare zu weiteren Freizeitaktivitäten. Dabei polemisiert Klaus Buch aus der scheinbar überlegenen Warte des geistig und sexuell befreiten Erfolgsmenschen gegen das verklemmte und spießige Kleinbürgertum, während sich Helmut mit der Verteidigung seiner Lebensweise in die Defensive gedrängt sieht.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Helmut Halm, der Antiheld aus Martin Walsers Novelle Ein fliehendes Pferd, ist sichtlich pikiert, besonders als jener Klaus Buch peinliche Jugenderinnerungen ausbreitet. Lieber möchte sich Helmut „klammheimlich aus dem Staub machen, doch Sabine, die unter Helmuts geschwundenem Interesse an ihr und unter dem all zu ruhigen Eheleben leidet, ist der Abwechslung und dem Kontakt zum prahlerischen und lebenslustigen Klaus nicht abgeneigt.“ Und die ungezwungen zur Schau gestellte Erotik Helenes erregt und geniert ihn gleichermaßen.


Martin Walser: ein fliehendes Pferd – Filmvergleich 1985 – 2007

Die Novelle wurde 1985 in der Regie von Peter Beauvais und nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf fürs Fernsehen verfilmt. Darsteller warem Vadim Glowna, Rosel Zech, Dietmar Mues und Marita Marschall. 2007 gab es eine eine Neuverfilmung: Ein fliehendes Pferd unter der Regie von Rainer Kaufmann mit Ulrich Noethen als Helmut, Ulrich Tukur als Klaus, Katja Riemann als Sabine und Petra Schmidt-Schaller als Hel. Die Novelle wurde diesmal wesentlich freier als die erste Verfilmung in die Gegenwart übertragen. Dabei legte der Film seinen Fokus auf eine unterhaltende Beziehungskomödie. Als mehr Mainstream als Walser.

    Ein fliehendes Pferd - Filmplakat

Ich kann mich noch dunkel an die erste Verfilmung erinnern. Vadim Glowna hat mir als Schauspieler immer schon sehr gut gefallen. Der Film war den 80er Jahren zeitgemäß, auch wenn Martin Walser selbst den Film im Nachhinein als „Katastrophe“ empfand, die „nur die Novelle geplündert“ habe. Es ist immer etwas problematisch, Romane oder Novellen zu verfilmen. Anders mit der Neuverfilmung: Diesmal war Walser mit dem Ergebnis zufrieden: „Es ist ein Filmkunstwerk der eigenen Art, keine Verfilmung.“


Martin Walser: ein fliehendes Pferd – Trailer 2007

Witzig der Hinweis am Schluss des Trailers: Das Buch ist ab jetzt im Handel erhältlich! Natürlich war die Novelle (wenn auch in anderer Aufmachung) bereits seit 1978 erhältlich und mauserte sich im Laufe der Jahre zu einem Bestseller mit einer Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren.

Zum Film zurück: Ich habe ihn mir ‚endlich’ in diesen Tagen abgeschaut. Sicherlich ist es keine Filmsensation. Immerhin lassen sich die Romanfiguren auch im Film wiedererkennen, was mir besonders bei den männlichen Rollen gefällt: Ulrich Noethen als Helmut ist der durchaus nörglerische, sicherlich nicht immer zufriedene Typ, der einen Zustand von Ruhe und Unbeweglichkeit angenommen hat, den er immerhin zu genießen weiß. Nur ganz so spießig ist er eigentlich nicht. Auch wenn es andere anders sehen, aber Helmut ist mir der sympathischere Mensch, vielleicht weil ich mich in gewisser Weise in ihm erkenne. Auch Ulrich Tukur als Klaus trifft durchaus seine Rolle. Ich mag diesen überdrehten Klaus genauso wenig wie Helmut. In der Novelle „enthüllt Helene die Verlogenheit ihres Lebens an dessen Seite: Klaus war von Selbstzweifeln zerfressen, glaubte nicht an seine Fähigkeiten als Journalist, sah sich als Versager.“ Der Film lässt dies aus.

Etwas nervig fand ich die Filmmusik, einen leichten Jazz mit dem „Flair der 60er-Jahre-Softpornomusik“. Nun ja … Ansonsten empfand ich den Film als Einladung zu einem Urlaub am Bodensee. Soweit haben mich meine Füße bisher noch nicht getragen. Was nicht ist, kann aber ja noch werden.

Werder ist Deutscher Meister 2013 – im Tischtennis

Okay, im Fußball konnte der SV Werder Bremen dieses Jahr wirklich nicht glänzen. Dafür hat aber die Tischtennis-Abteilung das Unglaubliche geschafft – die Herren-Mannschaft ist Deutscher Meister 2013 geworden:

Werder Bremen ist Deutscher Tischtennis-Meister! Mit einem überragendem 3:0 schlagen die Grün-Weißen den TTF Liebherr Ochsenhausen in der Frankfurter Fraport-Arena. Die drei durch hochklassige Leistungen herausgespielten Punkte lieferten Chih-Yuan Chuang, Adrian Crisan und Constantin Cioti.

    SV Werder Bremen: Deutscher Meister 2013 im Tischtennis

Die etwa 2.500 Augenzeugen waren sich einig, dass mit Werder Bremen ein würdiger Nachfolger für Borussia Düsseldorf gefunden war, mit fantastischen Einzelkönnern und einer überragenden Teamleistung holen die Bremer die Trophäe somit nach Bremen. (Quelle: werder.de)

Zuletzt wurde Werder Bremen 2004 Deutscher Meister im Fußball (bei den Herren). 2005 folgte dann ein weiterer Deutscher Meister-Titel – allerdings damals im Schach. Werder Bremen ist also nicht nur Fußball. Auch in anderen Sportarten bietet der Verein aus Bremen glänzende Leistungen.

Zu Martin Walser (3): Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede

Für Martin Walser gibt es zwei Ebenen, um mit der Schuldfrage zu den Verbrechen des Nationalsozialismus umzugehen: „eine öffentlich-rechtliche des Meinens, zu der auch die juristische Aufarbeitung gehört, und eine innerlich-moralische, vor der die eigentliche Schuld verhandelt wird.“ (S. 372) – „Jeder Deutsche hat die ganze Geschichte geerbt und zu verantworten, damit also auch Auschwitz. Doch es gibt keine richtige Haltung gegenüber der Vergangenheit. Besonders grotesk fand Walser die Erfindung der ‚Vergangenheitsbewältigung’. Erst Auschwitz zu betreiben und dann als Rechtsnachfolger des NS-Staates Bewältigung auf die Tagesordnung zu setzen war geradezu anstößig. […] ‚Ein Rechtsnachfolger, der zahlt, organisiert, feiert, gedenkt, so gut er kann: das heißt, der hat einen Terminkalender, der bewältigt. Und wir? Wir lassen bewältigen. Wir alle.’“ (S. 373) Ich habe hier zitiert aus Jörg Magenaus Martin Walser-Biographie (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo 24772 – aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Oktober 2008).

    Jörg Magenau: Martin Walser - eine Biographie

Unter diesem Gesichtspunkt wird vielleicht Walsers Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte (Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede) begreifbar. Diese Rede wirbelte viel Staub auf. Walser wurde Antisemitismus vorgeworfen. Kurze Zeit später in seiner Rede zum Jahrestag des Novemberpogroms am 9. November 1998 nannte Ignatz Bubis, der (damalige) Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Walser sogar einen „geistigen Brandstifter“. Sicherlich war die Rede „literarisch kompliziert“ und die Auseinandersetzung Walsers mit dem Thema „rational kontrovers bewertbar“: „Die nationalsozialistischen Verbrechen würden von einigen Leuten dazu missbraucht werden, den Deutschen weh zu tun oder gar politische Forderungen zu stützen. Auch fühle derjenige, der ständig diese Verbrechen thematisiert, sich den Mitmenschen moralisch überlegen. Der Themenkomplex Auschwitz dürfe aber nicht zur ‚Moralkeule’ verkommen, gerade wegen seiner großen Bedeutung.“ (Quelle: de.wikipedia.org).

Ignatz Bubis erregte sich besonders an Walsers „Wegschauen“. Nur meinte Walser mit Sicherheit mit „Wegschauen“ nicht ignorieren und vergessen. Es ist ein schamhaftes „Wegschauen“ im Gegensatz zum „Gaffen“, was in unserer heutigen Gesellschaft so gängig geworden ist. Walser in seiner Rede: „Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Ich möchte verstehen, warum in diesem Jahrzehnt die Vergangenheit präsentiert wird wie nie zuvor. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf die Motive hin abzuhören, und bin fast froh, wenn ich glaube entdecken zu können, dass öfter nicht das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. […] Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets […].“

Martin Walser betonte, hier seine subjektiv eigene, wenn man so will: private Denkweise wiedergegeben zu haben und plädierte allgemein für eine ‚subjektive’ Geschichtsauffassung. Wie können wir für uns allein „innerlich-moralisch“ Geschichte aufarbeiten, wenn nicht subjektiv geprägt. – Die nachstehende Kontroverse wurde zu einer Diskussion um politische Korrektheit. Ich denke, dass political correctness zu einem Mäntelchen werden kann, unter das manches versteckt wird. Eine offene Debatte ist sinnvoller. Im gewissen Sinne hat Walser diese mit seiner Rede angeregt, wenn auch mit für ihn nicht vorhersehbaren Folgen.

Ich möchte hier nicht weiter auf diese „Sonntagsrede“ eingehen. Die Rede selbst (Martin Walser – Dank: Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede) zusammen mit der Laudatio von Frank Schirrmacher – Laudatio: Sein Anteil findet sich im Internet als PDF-Datei bzw. als Text mit einigen Vorbemerkungen.

Wer nach „Martin Walser Sonntagsrede“ googlet wird erstaunt sein, wer sich da alles (ich ja auch) zu Wort gemeldet hat. Die Auseinandersetzung zwischen Walser und Bubis wurde zudem ausführlich von Frank Schirrmacher als Herausgeber in dem Buch Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999 (Inhaltsverzeichnis als PDF) dokumentiert.

Hier nur einige Links im Netz, die sich mit der Rede Walsers bzw. mit der anschließenden Debatte befassen:

Der Streitverlauf in Stimmen und Zitaten
Kritik an Martin Walser
Martin Walsers (Un-)Friedenspreisrede – von Stefan Kühnen

Beängstigend finde ich, wie manche emotional auf die Walser-Rede überreagiert haben. So sah Ignatz Bubis sein Lebenswerk – die Versöhnung mit den Deutschen auf der Basis gemeinsamen Erinnerns an den Holocaust – als gescheitert an. Selbst der blanke Hass tritt da Walser entgegen, als Beispiel der Blog walserbashing. Jahre später hat es Martin Walser bereut, ein ‚Friedensangebot‘ von Ignatz Bubis nicht angenommen zu haben.

siehe auch:
Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser
Zu Martin Walser (2): Links und DKP-nah

Kabel Deutschland Kopfstation Rosengarten

Es hat ja etwas gedauert, bis Kabel Deutschland alle allgemein bekannten Free-TV-Sender in seiner Grundversorgung (‚Grundpaket’, also ohne zusätzlichen Vertrag) bei uns unverschlüsselt und digital in die Haushalte einspeist. ‚Bei uns’ heißt im Netz Rosengarten mit dem Versorgungsgebiet: Apensen, Beckdorf, Bendestorf, Bliedersdorf, Buchholz in der Nordheide, Buxtehude, Dollern, Handeloh, Hanstedt in der Nordheide (Weihe), Harmstorf, Horneburg, Jesteburg, Jork, Neu Wulmstorf, Neuenkirchen im Alten Land, Nottensdorf, Otter, Rosengarten, Seevetal, Tostedt, Wistedt. Seit Anfang Mai sind dann auch die Privatsender dabei (von den mir bekannten Free-TV-Sendern fehlt jetzt eigentlich nur noch „Das Vierte“): Endlich unverschlüsselt: Privatsender bei Kabel Deutschland

    Kabel Deutschland

Da Kabel Deutschland es bisher nicht geschafft hat, diese Information auch ihren Kunden mitzuteilen (dafür deckt man uns ansonsten mit Werbung im großen Stil ein), kann ich jedem Kunden nur den KDG Helpdesk empfehlen (das gilt für ALLE Kunden, also nicht nur für die im Landkreis Harburg). Hier findet man alles Wichtige zur Senderbelegung, zum Netzausbau, zu den Preisen usw. – und kann sich über ein Forum auch individuelle Hilfe holen.

    Digitale unverschlüsselte Sender im Netz Rosengarten/Kabel Deutschland

Zurück zum Netz ‚bei uns’, zum Netz Rosengarten:

Über den KDG Helpdesk gibt es schöne Übersichten über die Senderbelegung: Netz Rosengarten, dazu Übersichten aller analogen und digitalen (auch der verschlüsselten) Sender als PDF-Dateien zum Ausdrucken. Als Ergänzung hierzu noch eine PDF-Datei von mir mit allen digitalen und unverschlüsselten Sender in alphabetischer Reihenfolge: DTV-Sender Rosengarten (die Programmbelegung müssen selbst eingetragen werden).

Zu Martin Walser (2): Links und DKP-nah

In den 70er Jahren galt Martin Walser als Kommunist, zwanzig Jahre später dann fast schon als Nationalsozialist, zumindest als einer, der den Rechten zuspielt (so mit seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte). Wer viel schreibt und auch viel in der Öffentlichkeit sagt, bietet genügend Angriffsfläche.

Walser ist eloquent, in seinem Schreiben wortreich und ausdrucksvoll, geradezu wortgewaltig. Er lädt dazu ein, missverstanden zu werden. In seiner Beharrlichkeit, auf Begriffe zu bestehen, gelingt es ihm dann nicht immer, diese Missverständnisse auszuräumen.

Was mich lange stutzig gemacht hat, ist die nachgesagte Nähe Walsers zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Es galt als deren Sympathisant. Er war nach Moskau gereist, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und hatte keine ‚Skrupel’ – die ‚Krönung’ aus der Sicht konservativer Kreise -, auch in der UZ, der Zeitung der DKP zu publizieren.

War nun Walser ein Kommunist? Antwort erhoffte ich mir aus Jörg Magenaus Martin Walser-Biographie (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo 24772 – aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Oktober 2008).

    Jörg Magenau: Martin Walser - eine Biographie

Es ist nicht ganz leicht, ein halbwegs genaues Bild vom politischen Weg Walsers zu bekommen. 1969, als sich linke Intellektuelle (Günter Grass u. a.) für die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler einsetzten, empfahl Walser die ADF – Aktion Demokratischer Fortschritt, ein linkes Bündnis. Das sollte dann aber auch seine letzte Wahlempfehlung für eine linksgerichtete Partei sein. Die DKP lehnte er deshalb ab, weil sie von Ost-Berlin gesteuert und moskautreu war. Ihm fehlte (schon damals) das nationale Element. Walser schwebte dagegen ein demokratischer Sozialismus vor, wie er vor allem von den kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs vertreten wurde, dem so genannten Eurokommunismus; auf Walser bezogen könnte man seine Vorstellung auch einen ‚demokratischen Nationalkommunismus’ nennen.

„Neue Freunde bringen Rettung und Heilung. Mit ihnen erlernt er soziale Verhaltensweisen. Das kranke bürgerliche Individuum gesundet im kraftvollen Kollektiv der Genossen. Walser demonstriert an Gallistl [Die Gallistl’sche Krankheit, Roman 1972] die Einübung in den Sozialismus und tastet sich voran zu ‚Tonarten der Hoffnung’“, heißt auf Seite 301 der Biographie und weiter: „Die Erlösungshoffnung ist brüchig, aber sie besteht.“

Zum angesprochenen Roman schrieb Paul Konrad Kurz im Spiegel: Gesundung in der Partei?:

„Der Ich-Erzähler Josef Georg Gallistl beschreibt sein Krankheitsbild. Da die zu beschreibende Krankheit noch keinen Namen hat, leiht er ihr den eigenen. Gallistls Fall ist in Kürze dieser: Es ist ihm völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, Lust zu empfinden, Sinn zu erfahren, Zukunft vor sich zu sehen, menschliche Kontakte nicht der Lüge, die Gesellschaft nicht der Unmoralität zeihen zu müssen. Es ist die Krankheit des Intellektuellen, vorab des Schriftstellers in dieser Zeit und Gesellschaft. […]

Gallistls ‚Vorstellung von einer besseren Welt’ und dem ‚Leben einen Sinn geben’ mündet in die ‚Partei’. Die im Roman anvisierte sozialistische Idee meint nicht einen bereits vorhandenen Staatsmarxismus oder eine einfach übernehmbare Parteivorstellung. In der neuen Hier-und-Jetzt-Partei darf und muß man selber denken.“

Die Betonung liegt auf ‚selber denken’.

Um diese Art von Utopie zu verstehen, muss man den gesellschaftlich-politischen Hintergrund eingeziehen. 1968 wurden von der großen Koalition von CDU/CSU und SPD die Notstandsgesetze verabschiedet. 1972 erfolgte ein Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer und Bundeskanzler Willy Brandts, der so genannte Radikalenerlass, der insbesondere auf die Deutsche Kommunistische Partei zielte.

Ähnlich wie es viele heute sehen, so sah Walser keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen den Konservativen und den Sozialdemokraten, zwischen CDU/CSU und SPD. Was damals die DKP war, findet sich heute vielleicht in der Linken wieder – eine Position links der verbürgerlichten SPD. Wählbar aber waren bzw. sind beide kaum. So muss eine eigene Alternative her, wenn auch nur eine vorstellbare.

Ich kann Martin Walser sehr gut verstehen. Seine so genannte Nähe zur DKP war eine Ausschau nach dieser Alternativen – spätestens mit dem Besuch eines internationalen Schriftstellerkongress 1971 in Moskau, war ihm bewusst, dass es diese Partei wohl nicht sein kann: „Auf das pathetische öffentliche Bekenntnis zum Sozialismus folgte dort postwendend die Ernüchterung. Der Besuch in Moskau war, so sagte er rückblickend, ‚Tödlich für jede Hoffnung.’“ (S. 295)

Als die Grünen gegründet wurden, sah Walser in ihnen eine mögliche Alternative. Heute hat sich seine Ansicht da sicherlich relativiert, auch wenn sein Lebensgefühl eigentlich grün ist, wie er sagt. Immerhin ist er von Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs, ganz angetan.

In der Biographie auf S. 369 steht geschrieben: „Er bekennt, daß seine Meinungen von früher ihm fremd geworden sind. Oder genauer: Nicht die Meinungen sind ihm fremd, sondern das Meinen. Er ist immer weniger dazu in der Lage, die dafür erforderliche Eindeutigkeit und Entschiedenheit herzustellen. Er sieht, was er dafür alles weglassen muß, und entwickelt das Bedürfnis, nur noch das zu sagen, was ihn ganz enthält. Das ist seine neue Utopie: eine so umfassende Ausdrucksfähigkeit, daß kein ungesagter Rest zurückbleibt. Meinungen dagegen hinterlassen immer das Gefühl, etwas Wesentliches zu verschweigen: sich selbst.“

Wer das als mögliche politische ‚Trendwende’ versteht, liegt falsch. Walser ging es nie um Allgemeingültiges, um Öffentlichkeit, „deren Sprechen Gefahr läuft, zum Ritual zu verkommen“ (so heißt es nämlich weiter). Es geht ihm um sich selbst, Integrität oder wie immer man es nennen will. Sein Problem: Was er einmal gesagt (oder geschrieben) hat, bleibt beharrlich missverstanden, wenn es erst einmal missverstanden wurde. Die Worte lassen sich nicht mehr löschen (und das Ungesagte bleibt ungesagt), wohl auch nicht das Missverständnis ….

siehe auch: Zu Martin Walser (1): Ich bin nicht Walser