Archiv für den Monat: Juni 2022

Neues aus der Provinz (02)

Früher galt Deutschland als das Land der Ordnung, der Zuverlässigkeit und der Pünktlichkeit. Unter Ordnung wurde dabei durchaus etwas anderes verstanden, als das, was rechte Spinner meinen. „Made in Germany“, ursprünglich Ende des 19. Jahrhunderts als Schutz vor vermeintlich billiger und minderwertiger Importware in Großbritannien eingeführt, war ein Siegel für Qualität.

Heute können wir darüber nur lachen. Deutschland stufe ich gern auf das Niveau einer Bananenrepublik zurück (BRD). Es läuft immer weniger so, wie es eigentlich laufen sollte. Fehler machen wir alle. Aber wenn man wie ich innerhalb einer Woche mit so vielen Fehlern, Irrtümern bzw. Aussetzern konfrontiert wird, dann stellt sich die Frage, ob das nicht eigentlich schon deutscher Alltag geworden ist. Ober liegt es an dem Provinziellen in unsere Alltäglichkeit?!

Neues aus der Provinz
Neues aus der Provinz

Hurricane Festival 2022

Nach zwei Jahren ging es also wieder los, das Hurricane Festival in Scheeßel. Und statt Regen und Gewitter war es diesmal durch die Trockenheit auf dem Gelände sehr staubig. Mal was anderes … – Scheeßel ist von Bremen oder Hamburg aus mit den Zügen des Metronoms erreichbar. Für die Tage des Festivals verbot nun die Metronom Eisenbahngesellschaft kurzfristig die Mitnahme von Fahrrädern und Bollerwagen. Dafür karrten die Festivalbesucher ihre sieben Sachen in mehreren Koffern an, die in der Summe dem Volumen derer von Bollerwagen kaum nachstanden. Und: viele der Besucher wollten, da sie in der Nähe wohnen (z.B. in Tostedt) die Nacht zu Hause verbringen und mit dem Metronom nach Hause fahren. Nur schlecht, wenn der erste Zug am Tag um 0 Uhr 51 (wie schon das Wochenende zuvor) ausfällt, der nächste erst knapp anderthalb Stunden später fährt. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit also für den Arsch, lieber Metronom!

Zensus 2022 – Gebäude- und Wohnungszählung

Als Eigentümer einer Doppelhaushälfte hatten meine Frau und ich die Aufforderung erhalten, online einen entsprechenden Fragebogen zur Gebäude- und Wohnungszählung im Rahmen des Zensus 2022 auszufüllen. Was wir dann auch taten. Einige Zeit später kam erneut ein Schreiben. Dieses betraf aber ein Grundstück mit Gebäude, bei dem wir weder Eigentümer noch Verwalter sind. Immerhin konnte das bei der Online-Abfrage auch angegeben werden. Dann allerdings wollte man von uns wissen, wer der ’neue‘ Eigentümer ist. Es wird also davon ausgegangen, das wir früher einmal Eigentümer waren und jetzt wissen, wer der neue Eigentümer ist. Um das Formular absenden zu können, habe ich irgendeinen Blödsinn eingetragen. So ganz scheint mir der Fragebogen nicht durchdacht zu sein.

Hurra, die Post ist da

Immer wieder andere Zusteller und es kommt, wie es wohl kommen muss: In unserem Briefkasten liegt die Post des Nachbarn. Und unsere Post landet eine Straße weiter im Briefkasten. Kann vorkommen, sollte es aber nicht …

Ein Arzttermin in der Vergangenheit

Vielleicht nicht die Krönung, aber auch ein Ärgernis: Da für den Tag, an dem ich bei meinem Hausarzt anrief, kein Termin mehr frei war, sollte ich am kommenden Tag morgens kommen. Ich war dann pünktlich da, aber die Sprechstundenhilfe hatte mich zwar für den gleichen Wochentag, aber eine Woche zuvor, also zu einem Termin in der Vergangenheit eingetragen. Eigentlich sollte das nicht möglich sein, solche Termine einzutragen. Und so durfte ich auf einen Termin in der Zukunft hoffen …

Was mir und hier passierte, kann natürlich in einer Stadt genauso passieren. Aber manche deutsche Stadt besticht zunehmend durch einen Hauch, der nach Provinz müffelt. Schrieb ich da etwas von Bananenrepublik?!

Abenteuer Ulysses von James Joyce (04): 3. Kapitel – Proteus [Telemachie]

Im 3. Kapitel des Ulysses von James Joyce wird auf Proteus, dem „Alten vom Meer“, einem frühen Meeresgott der griechischen Mythologie Bezug genommen. Wir begleiten Stephen Dedalus, einen der Hauptpersonen dieses Romans, auf seinem Spaziergang am Strand von Sandymount, einem Küstenvorort von Dublin.

Oh, oh, die Jungs von Kilkenny ... (Kapitel 3 – S. 63)
Oh, oh, die Jungs von Kilkenny … (Kapitel 3 – S. 63)
James Joyce: Ulysses (in dt. Übersetzung von Hans Wollschläger) / Penelope (The Last Chapter of ) / Flasche Kilkenny – Irish Red Ale / Fritz Janschka: Ulysses-Alphabet mit signierter Originalgraphik: Harenbergs Joyce

Inhalt des 3. Kapitels: Proteus (Strand)

Das Kapitel 3 ist im Stil eines elitären, männlichen Monologs verfasst.

Der Meeresgott Proteus ist ein Meister der Verwandlung. Als Menelaos, der König von Sparta (und Gemahl der Helena, die nach Troja entführt wurde und damit den Trojanischen Krieg auslöste), sich an ihn wandte, um eine Weissagung zu erhalten, verwandelte er sich in eine Vielzahl von Tieren und Gestalten, bevor er ihm schließlich – von dessen Geduld ermattet – eine Antwort gab.

Im Proteus-Kapitel des Ulysses ist es ein Hund, der diese Verwandlungen durchmacht – jedoch in der Phantasie von Stephen, der den Hund bei seinem Spaziergang am Strand von Sandymount beobachtet. Das Umhertollen des Hundes, bis dieser schließlich auf einen Hundekadaver trifft („Ach, du armes Hundeaas, du! Hier liegt des armen Hundeaases Aas.“ – Und nicht ganz zufällig hatte auch Buck Mulligan Stephen als „Hundeaas“ bezeichnet), beschreibt Joyce in einer furiosen kraftvollen und metaphernreichen Prosa.

Das Kapitel ist geprägt vom Gedankenstrom Stephens. Der Wechsel zwischen Realem und Gedachtem erfolgt unangekündigt und wird dem Leser häufig erst im Nachhinein bewusst. Der Spaziergang hat offensichtlich kein Ziel – eine Rückkehr zum Martello Tower kommt nicht in Betracht, und ein anderes Zuhause hat Stephen nicht. Er fragt sich, ob er seiner Tante einen Besuch abstatten sollte, doch während er nachsinnt, verpasst er den Weg zu ihr („An der Abzweigung zu Tante Sara bin ich schon vorbei. Geh’ ich denn nicht hin? Anscheinend nicht.“). Schließlich lässt er sich nieder und schreibt einige Gedichtzeilen. Zum Ende des Kapitels erblickt er einen Dreimaster, „ein schweigendes Schiff“, das „heimwärts, stromauf“ fährt – ein Hinweis darauf, dass Stephen in Dublin keine Heimat mehr sieht.
(Quelle: de.wikipedia.org)

Personen des 3. Kapitels

Es ist lediglich Stephen Dedalus, der dieses Kapitel gestaltet, das wir als Gedankenstrom Stephens, also als Monolog, wie er sich im Kopf abspielt, erleben. Mit diesem Kapitel endet auch der erste [Telemachie] der drei Hauptteile dieses Romans, der uns aus der Sicht eben dieses Stephan Dedalus geschildert wurde.

Anmerkungen zu diesem 3. Kapitel

Ich hoffe besonders bei den Übersetzungen (Französisch, Italienisch, Lateinisch) die ‚richtigen Worte‘ gefunden zu haben (der Google-Übersetzer ist nicht immer eine Hilfe bei diesen Sprachen).

S. 53: maestro di color che sanno [Meister der Wissenden – Dante über Aristoteles in der Göttlichen Komödie]
des Diaphanen [des Durchscheinenden]
Los Demiurgos [Schöpfer, eigentlich Handwerker -> William Blake]
S. 54: delin [eigentlich ein Vorname]
Adam Kadmon [in der Kabbala der ursprüngliche Mensch]
Velin [Pergamentpapier]
S. 55: lex aeterna [„ewiges Gesetz“ – Plan der göttlichen Weisheit und Liebe]
konsubstantiell [die Abendmahllehre betreffend: die sakramentale Einheit von Leib und Blut Jesu Christi mit Brot und Wein]
Arius [Priester aus Alexandria, 3./4. Jh.)]
Kontransmagnificundjudenpengtantialität [‚Kunstwort‘ bezogen auf die Wesensgleichheit von Gott und Gott-Sohn]
Omophorion [Kleidungsstück der orthodoxen Priester]
Mananaan [Sagengestalt der irischen Mythologie]
Kotte [Kate, kleines Haus]
S. 56: Duces-tecum … [Zwangs- …]
Requiescat [Ruhe]
All’erta [Achtung]
aria di sortita [Arie zum Eintritt einer handelnden Person in einer Oper]
S 57: Joachim Abbas [italienische Theologe, 12./13. Jh.]
Descende, calve, ut ne nimium decalveris [Steige herab, Kahlkopf, damit du nicht noch kahler gemacht werdest – bezogen auf eine Meditation des Johannes Abbas]
Ziborium [Behälter mit geweihter Hostie -> Altar}
die Kusen [im Original: Pyx = Gefäß mit geweihtem Brot]
Occam [Wilhelm von Ockham, Theologe, Vorbild für „Der Name der Rose“]
Hypostasis [Wesensmerkmal der personifizierten göttlichen Gestalt]
S. 58: O si, certo! [O ja, natürlich]
Epiphanie [Erscheinung]
Mahamanvantara [sankrit: ein großer Tag]
Pico della Mirandola [italienischec Philosoph, 15. Jh.]
S. 59: Qui vous a mis dans cette fichue position? [Wer hat dich in diese verdammte Position gebracht]
C’est le pigeon, Joseph [Es ist die Taube …]
lait chaud [heiße Milch]
lapin [Hase]
gros lots [Jackpot]
M. Leo Taxil [Erfinder der Fake News – um 1900]
C’est tordant, vous savez. Moi je suis socialiste. Je ne crois pas en l’existence de Dieu. Faut pas le dire à mon père. [Es ist urkomisch, wissen Sie. Ich bin Sozialist. Ich glaube nicht an die Existent Gottes. Sage es nicht meinem Vater]
Il croit? [Er glaubt?]
Mon père, oui. [Mein Vater, ja]
P.C.N. – physiques, chimiques et naturelles [physikalisch, chemisch und biologisch]
S. 60: mou en civet [weicher Eintopf]
Boul‘ Mich‘ [Boulevard St. Michel]
Lui, c’est moi [Er ist ich]
Encore deux minutes [Noch 2 Minuten]
Fermé [Geschlossen]
Columbanus, Fiacrius und Scotus [irische Missionare u.a.]
Euge! [gut erledigt]
Pantalon Blanc et Culotte Rouge [Unterhaltungsmagazin]
S. 61: Belluomo [gut aussehend, schöner Mann]
chaussons [Kuchen, eigentlich Hausschuh]
pus des flan breton [mehr bretonischer Flan = Art Pudding]
Un demi setier! [ein halbes Setier = Volumenmaß]
Il est irlandais. Hollandais? Non fromage. Deux irlandais, nous, Irlande, vous savez? Ah oui! [Ist es Irisch? Holländisch? Kein Käse! Zwei Iren, wir, Irland, wissen Sie? Ah, ja …]
S. 62: Dalcassians [gälisch-irischer Stamm]
Arthur Griffith [irischer Politiker, – 1922 Präsident]
Barchent [Mischgewebe]
Vieille ogresse … dents jaunes [altes Ungeheuer … gelben Zähnen]
bonne à tout faire [gut in allem]
Moi faire … Tous les messieurs [Ich tue … alle Herren]
S. 63: Mon fils [mein Sohn]
S. 64: Panther-Sahib und seinen Pointer [„Herr“, Europäer, der einen P. erlegt hat – Zeiger, Wegweiser]
Segge [Sauergrasgewächs]
Un coche ensablé [eine sandige Kutsche]
S. 65: Torques [fester Halsreif aus Metall]
Terribilia meditans [schreckliche Dinge]
Prätendent [Ansprucherheber]
Perkin Warbeck [trat im 15. jh. gegen den englische König an]
Lambert Simnel [Hochstapler im 15./16. Jh., gab sich als englischer König aus]
Natürlich, … [Im Original auch deutsch]
S. 67: Tatters! [wohl Name des Hundes]
Parder [Raubkatze]
Harun al Raschid [8./9. Jh. Kalif -> 1001 Nacht)]
S. 68: Gannef [jiddisch für Gauner]
frate porcospino [Mönch Stachelschwein]
S. 69: Omnis caro ad te veniet [alles Fleisch wird zu dir kommen]
Cassiopeiae [eigentlich Mutter der Andromeda]
S. 70: piuttosto [eher]
Et vidit Deus. Et erant valde bona. [Und Gott sah … und es war (sehr) gut]
S. 71: Tripudium [ein Tanz]
Tiens, quel petit pied! [Hey, was für ein kleiner Fuß!]
diebus ac noctibus iniurias patiens ingemiscit [Tag und Nacht beklagt er das Unrecht, das er erleidet]
S. 72: Mich dürstet []… wie Jesus am Kreuz]
Lucifer, dico, qui nescit occasum [L., sage ich, der die Gelegenheit kennt …]
S. 73: Già [bereits]
Übermensch [im Original: superman]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]
Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]

Neues aus der Provinz (01)

Nach langer Zeit habe ich mit meiner Frau einmal wieder unsere Provinz (auf etwa halben Weg zwischen Bremen und Hamburg gelegen) für einen Tag verlassen. Der Anlass war leider ein trauriger. Für etwa neun Stunden hielten wir uns in Bremen auf (stimmt nicht ganz – ein Abstecher nach Achim war auch dabei).

Als ehemaliges Stadtkind könnte geschlossen werden, dass ich im Ländlichen weniger gern verweile. Aber hier gibt es genug zu tun und zu erleben, so dass ich auf die stete Hektik der Großstadt durchaus verzichten kann.

Hurricane Festival 2022

Ab morgen (eigentlich schon ab heute Abend) ist es soweit: Nach zwei Jahren Corona-Pause startet endlich wieder das Hurricane Festival. Der Acker beim Eichenring in Scheeßel liegt fast vor unserer Haustür, also auch in der Provinz, wenn auch die Line-up alles andere als provinziell ist.

Und wie ich bereits vor acht Jahren hier anmerkte: Hurricane sagt doch alles: Sturm und Regen: ein Matschbad gehört mit zur Tradition. Aber was nicht ist, soll ja noch werden. 😉

Ja, die Wetteraussichten sind vor allem für den Sonntag nicht die besten: Regen und Gewitter sind angesagt. Also alles wie gehabt …

Backe, backe Brioche

Brötchen und Brote habe ich schon öfter selbst gebacken. Jetzt habe ich mich an eine Brioche gewagt. Eine Brioche ist ein nur leicht gesüßtes, weiches Hefegebäck und das französische Pendant zum deutschen Hefezopf. Sie enthält jedoch deutlich mehr Butter und ist daher unfassbar flaumig und zart. 

Brioche – selbst gebacken
Brioche – selbst gebacken

Ist doch ganz gut gelungen. Das Rezept findet Ihr hier. Wir essen die Brioche mit Sahnequark und Marmelade (zuvor kommt bei mir auch noch ein Klecks Nuss-Nougatcreme hinzu).Frisch aus dem Ofen reicht auch ein wenig Butter für einen vollkommenen Genuss.

Ein Jungspecht klopft an

In unserem Garten versammeln sich jede Menge Vögel. In diesem Jahr trauen sich auch größere Vögel wie Ringeltauben, Spechte, selbst Elstern und sogar Krähen zu uns. Ist eben ziemlich dschungelmäßig.

Ein Jungspecht klopft bei uns an
Ein Jungspecht klopft bei uns an

Heute war es u.a. ein Jungspecht, der wohl nicht so recht wusste, wie er sich verhalten soll und eine ganze Weile an einem Baumstumpf hing. Er wartete vielleicht auf ein Elternteil, um weitere Anweisungen entgegen zu nehmen …

Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]

Heute nun meine ‚Aufarbeitung‘ des 2. Kapitels des Romans Ulysses von James Joyce, das Nestor gewidmet ist. Nestor ist ein Helden der griechischen Mythologie und dort als Herrscher von Pylos bekannt. In Homers Ilias führt Nestor neunzig Schiffe nach Troja.

Oh, oh, die Jungs von Kilkenny ... (Kapitel 3 – S. 63)
Oh, oh, die Jungs von Kilkenny … (Kapitel 3 – S. 63)
James Joyce: Ulysses (in dt. Übersetzung von Hans Wollschläger) / Penelope (The Last Chapter of ) / Flasche Kilkenny – Irish Red Ale / Fritz Janschka: Ulysses-Alphabet mit signierter Originalgraphik: Harenbergs Joyce

Inhalt des 2. Kapitels: Nestor (Schule)

Dieses Kapitel ist im Stile eines informellen Kathechismus verfasst. Das Wort „Katechismus“ bedeutet wörtlich „von oben herab tönen“ und davon abgeleitet „unterrichten“. Das Kapitel spielt in einer Schule

in diesem Kapitel geht Stephen Dedalus seiner Arbeit als Hilfslehrer in Geschichte nach. Auch hier gibt es autobiographische Hintergründe. Im Jahr 1904 unterrichtete Joyce an der Clifton School in Dalkey. Dem Schulleiter Francis Irwin ist die Figur des patriotischen Mr. Deasy im Ulysses nachempfunden.

Mit zwei Personen kommt Stephen im Laufe des Kapitels näher ins Gespräch. Nach dem Ende der Schulstunde, als die Schüler sich eilig zum Hockeyspielen verabschieden, ist es zunächst der schüchterne Cyril Sargent, der ihn um Hilfe bei Mathematik-Aufgaben bittet. Stephen sieht sich selbst in dem Schüler: „Meine eigene Kindheit krümmt sich da neben mir.“ Schließlich begibt er sich in das Arbeitszimmer von Mr. Deasy, um sich sein Gehalt abzuholen. Dort muss er sich Auslassungen über die grassierende Rinderseuche, über Sparsamkeit und den Sinn des Lebens anhören. Mr. Deasy als Nestor ist hier nicht im übertragenen Sinne eines Weisen und Ratgebers zu verstehen, sondern ganz analog zur Odyssee: Dort sucht Telemach (Stephen) den alten König Nestor auf, um Informationen über seinen Vater zu erhalten. Doch Nestor weiß nichts über dessen Verbleib und hält ihn lediglich mit seiner Beredsamkeit auf.

Der Leserbrief, den Mr. Deasy im Zusammenhang mit der Maul- und Klauenseuche Stephen übergibt, damit er ihn an bekannte Redakteure der Tagespresse weiterreiche, verweist auf damals aktuelle politische Hintergründe. So schrieb Joyce selbst 1912 einen Aufsatz über „Politik und Viehkrankheit“. England nutzte einzelne Fälle der Viehkrankheit für ein Embargo gegen das selbstbewusste Irland, das auf die Exporte nach England angewiesen war. Irland sollte in seine Schranken verwiesen werden.

Einige Motive des Telemach-Kapitels (Kapitel 1) werden wieder aufgegriffen. So erweist sich Mr. Deasy ebenso wie bereits Haines als unverhohlener Antisemit: Die „jüdischen Kaufleute haben ihr Zerstörungswerk bereits begonnen. Old England liegt im Sterben.“ Der irische Freiheitskampf gegen England taucht im Gespräch mit Mr. Deasy ebenfalls mehrfach auf, etwa mit Verweisen auf Daniel O’Connell und die Orange Logen. Auch das Mutter-Motiv wird thematisiert: Zunächst in jenem Nonsens-Rätsel, das Stephen seiner Schulklasse in Gedichtform präsentiert – der Fuchs, der seine Großmutter begräbt, ist letztlich Stephen selbst, den noch der Verlust seiner Mutter schmerzt. Und Cyril Sargent lässt Stephen an seine Mutter denken: „Und doch hatte ihn eine geliebt, hatte ihn auf ihren Armen getragen und in ihrem Herzen.“
(Quelle: de.wikipedia.org)

Personen des 2. Kapitels

Neben Stephen Dedalus, der uns bereits im ersten Kapital begegnet ist, sind das zwei Personen, die eine Rolle spielen, der Schulleiter Mr Deasy und der Schüler Cyril Sargent. Daneben tauchen noch einige weitere Schüler auf (Cochrane, Blake), die aber keine weitere Bedeutung haben.

Mr. Garrett Deasy gilt als Narr und Antisemit und ist Direktor der Schule. Stephen lässt seinen lächerlichen Brief (Maul- und Klauenseuche) im Evening Telegraph drucken, in deren Redaktion man Witze darüber macht.

Deasy zeichnet sich durch eine Vielzahl kleiner körperlicher Details aus, die ihn antiquiert und heruntergekommen erscheinen lassen Diese unattraktiven körperlichen Eigenschaften stimmen mit seiner Angewohnheit überein, nicht auf das zu hören, was andere Leute sagen, und seinem griesgrämigen Beharren darauf, unerwünschte Ratschläge zu geben. In einem späteren Kapitel erfahren wir, das Deasy von seiner Frau getrennt (aber nicht geschieden) ist.

Cyril Sargent ist ein eher unfähiger Schüler von Dedalus, erinnert Stephen aber an eigenes Versagen.

Anmerkungen zu diesem 2. Kapitel

S. 41: Amor matris [Mutterliebe]
Genetivus subjectivus [Genetiv in Hinsicht auf den Urheber: Liebe der Mutter]
und objectivus [Genetiv in Hinsicht auf das Objekt: Liebe zur Mutter] – im Lateinischen wird beides gleich gebildet
S. 45: O’Connell [irischer Politiker]
Orange-Logen [radikale Protestanten in Nordirland]
Fenier [Mitglied eines irischen Geheimbundes für die Trennung Irlands von Graoßbritannien]
Croppies [Personen mit kurz geschnittenem Haar]
Per vias rectas [auf dem richtigen Weg]
S. 46: Ventilierung [Überlegung]
S. 47: Tjoste [mittelalterlicher Zweikampf]
in nuce [in Kürze]
S. 50: Ulster [altirische Provinz, heute Nordirland]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]