Abenteuer Ulysses von James Joyce (03): 2. Kapitel – Nestor [Telemachie]

Heute nun meine ‚Aufarbeitung‘ des 2. Kapitels des Romans Ulysses von James Joyce, das Nestor gewidmet ist. Nestor ist ein Helden der griechischen Mythologie und dort als Herrscher von Pylos bekannt. In Homers Ilias führt Nestor neunzig Schiffe nach Troja.

Oh, oh, die Jungs von Kilkenny ... (Kapitel 3 – S. 63)
Oh, oh, die Jungs von Kilkenny … (Kapitel 3 – S. 63)
James Joyce: Ulysses (in dt. Übersetzung von Hans Wollschläger) / Penelope (The Last Chapter of ) / Flasche Kilkenny – Irish Red Ale / Fritz Janschka: Ulysses-Alphabet mit signierter Originalgraphik: Harenbergs Joyce

Inhalt des 2. Kapitels: Nestor (Schule)

Dieses Kapitel ist im Stile eines informellen Kathechismus verfasst. Das Wort „Katechismus“ bedeutet wörtlich „von oben herab tönen“ und davon abgeleitet „unterrichten“. Das Kapitel spielt in einer Schule

in diesem Kapitel geht Stephen Dedalus seiner Arbeit als Hilfslehrer in Geschichte nach. Auch hier gibt es autobiographische Hintergründe. Im Jahr 1904 unterrichtete Joyce an der Clifton School in Dalkey. Dem Schulleiter Francis Irwin ist die Figur des patriotischen Mr. Deasy im Ulysses nachempfunden.

Mit zwei Personen kommt Stephen im Laufe des Kapitels näher ins Gespräch. Nach dem Ende der Schulstunde, als die Schüler sich eilig zum Hockeyspielen verabschieden, ist es zunächst der schüchterne Cyril Sargent, der ihn um Hilfe bei Mathematik-Aufgaben bittet. Stephen sieht sich selbst in dem Schüler: „Meine eigene Kindheit krümmt sich da neben mir.“ Schließlich begibt er sich in das Arbeitszimmer von Mr. Deasy, um sich sein Gehalt abzuholen. Dort muss er sich Auslassungen über die grassierende Rinderseuche, über Sparsamkeit und den Sinn des Lebens anhören. Mr. Deasy als Nestor ist hier nicht im übertragenen Sinne eines Weisen und Ratgebers zu verstehen, sondern ganz analog zur Odyssee: Dort sucht Telemach (Stephen) den alten König Nestor auf, um Informationen über seinen Vater zu erhalten. Doch Nestor weiß nichts über dessen Verbleib und hält ihn lediglich mit seiner Beredsamkeit auf.

Der Leserbrief, den Mr. Deasy im Zusammenhang mit der Maul- und Klauenseuche Stephen übergibt, damit er ihn an bekannte Redakteure der Tagespresse weiterreiche, verweist auf damals aktuelle politische Hintergründe. So schrieb Joyce selbst 1912 einen Aufsatz über „Politik und Viehkrankheit“. England nutzte einzelne Fälle der Viehkrankheit für ein Embargo gegen das selbstbewusste Irland, das auf die Exporte nach England angewiesen war. Irland sollte in seine Schranken verwiesen werden.

Einige Motive des Telemach-Kapitels (Kapitel 1) werden wieder aufgegriffen. So erweist sich Mr. Deasy ebenso wie bereits Haines als unverhohlener Antisemit: Die „jüdischen Kaufleute haben ihr Zerstörungswerk bereits begonnen. Old England liegt im Sterben.“ Der irische Freiheitskampf gegen England taucht im Gespräch mit Mr. Deasy ebenfalls mehrfach auf, etwa mit Verweisen auf Daniel O’Connell und die Orange Logen. Auch das Mutter-Motiv wird thematisiert: Zunächst in jenem Nonsens-Rätsel, das Stephen seiner Schulklasse in Gedichtform präsentiert – der Fuchs, der seine Großmutter begräbt, ist letztlich Stephen selbst, den noch der Verlust seiner Mutter schmerzt. Und Cyril Sargent lässt Stephen an seine Mutter denken: „Und doch hatte ihn eine geliebt, hatte ihn auf ihren Armen getragen und in ihrem Herzen.“
(Quelle: de.wikipedia.org)

Personen des 2. Kapitels

Neben Stephen Dedalus, der uns bereits im ersten Kapital begegnet ist, sind das zwei Personen, die eine Rolle spielen, der Schulleiter Mr Deasy und der Schüler Cyril Sargent. Daneben tauchen noch einige weitere Schüler auf (Cochrane, Blake), die aber keine weitere Bedeutung haben.

Mr. Garrett Deasy gilt als Narr und Antisemit und ist Direktor der Schule. Stephen lässt seinen lächerlichen Brief (Maul- und Klauenseuche) im Evening Telegraph drucken, in deren Redaktion man Witze darüber macht.

Deasy zeichnet sich durch eine Vielzahl kleiner körperlicher Details aus, die ihn antiquiert und heruntergekommen erscheinen lassen Diese unattraktiven körperlichen Eigenschaften stimmen mit seiner Angewohnheit überein, nicht auf das zu hören, was andere Leute sagen, und seinem griesgrämigen Beharren darauf, unerwünschte Ratschläge zu geben. In einem späteren Kapitel erfahren wir, das Deasy von seiner Frau getrennt (aber nicht geschieden) ist.

Cyril Sargent ist ein eher unfähiger Schüler von Dedalus, erinnert Stephen aber an eigenes Versagen.

Anmerkungen zu diesem 2. Kapitel

S. 41: Amor matris [Mutterliebe]
Genetivus subjectivus [Genetiv in Hinsicht auf den Urheber: Liebe der Mutter]
und objectivus [Genetiv in Hinsicht auf das Objekt: Liebe zur Mutter] – im Lateinischen wird beides gleich gebildet
S. 45: O’Connell [irischer Politiker]
Orange-Logen [radikale Protestanten in Nordirland]
Fenier [Mitglied eines irischen Geheimbundes für die Trennung Irlands von Graoßbritannien]
Croppies [Personen mit kurz geschnittenem Haar]
Per vias rectas [auf dem richtigen Weg]
S. 46: Ventilierung [Überlegung]
S. 47: Tjoste [mittelalterlicher Zweikampf]
in nuce [in Kürze]
S. 50: Ulster [altirische Provinz, heute Nordirland]

In deutscher Sprache gibt es zwei Übersetzungen, zunächst die vom Verfasser, also James Joyce, autorisierte Übersetzung von Georg Goyert (1927) – dann die 1975 erschienene Neuübersetzung von Hans Wollschläger, auf die ich mich hier beziehe (ich habe die einmalige Sonderausgabe aus dem Jahr 1979 – 1. Auflage – Suhrkamp Verlag)

siehe auch: Abenteuer Ulysses von James Joyce (01): Vorgeplänkel
Abenteuer Ulysses von James Joyce (02): 1. Kapitel – Telemachos [Telemachie]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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