Wie der Zufall es so will, sendet 3SAT im Rahmen des Berliner Theatertreffens 2020 das Visual Poem nach Max Frischs Erzählung Der Mensch erscheint im Holozän in einer Aufführung des Schauspielhauses Zürich. Zufall deshalb, weil ich mich in den letzten Tagen mit Theaterstücken von Max Frisch beschäftigt und in diesem Jahr auch weitere Werke von ihm (erneut) gelesen habe (dazu später mehr).
Max Frisch: Der Mensch erscheint im Holozän – 1. Auflage
Alexander Giesche legt mit „Der Mensch erscheint im Holozän“ (verfügbar auf 3SAT bis 12.03.2021) am Schauspielhaus Zürich die erste große Inszenierung zum Thema Klimawandel vor. Er erhielt dafür im Rahmen des Berliner Theatertreffens 2020 den 3sat-Preis.
Schauspielhaus Zürich 2020: Der Mensch erscheint im Holozän – nach Erzählung von Max Frisch
„Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch ist eine Erzählung über das Vergessen und Vergehen. Mit dem Verlust des Gedächtnisses verschwindet auch der Mensch, verliert sich und die Kontrolle über das eigene Leben.
Ein Gefühl der Heimat bleibt, die vertraute Umgebung, die Natur, die Berge, der Schnee, wie das Licht ins Tal fällt zu verschiedenen Jahreszeiten. In einem durch ein Unwetter von der Außenwelt abgeschlossenen Bergdorf kämpft Herr Geiser gegen den fortschreitenden Verlust seines Gedächtnisses. Mit Hilfe kleiner Zettel, die er in seinem Haus verteilt, baut er sich eine Wissensdatenbank auf. Die Isolation macht Herrn Geisers zurückgezogenes Leben noch einsamer. Hinzu kommt die Sorge, dass durch den andauernden Regen der ganze Berg ins Rutschen geraten könnte.
Die Erzählung des Schweizer Autors Max Frisch erscheint 1979. Ein lange verkanntes Spätwerk. Der Regisseur Alexander Giesche nimmt den Text als Ausgangspunkt für seine Inszenierung am Schauspielhaus Zürich, die ganz um die Trias Mensch, Natur, Technik kreist. Er folgt dabei nur lose der Erzählung, sie ist vielmehr Stichwortgeber für immer neue Bilder, die dem Verlust, dem Vergessen, dem Abschied eine Form geben.
Eine Schauspielerin und ein Schauspieler berichten fragmentarisch über Herrn Geisers Zustand und den des Tals, mal aus seiner Perspektive, mal als Beobachter. Alexander Giesche nennt seine Werke Visual Poems. Die Inszenierung besteht aus klar voneinander abgegrenzten Bildern. Er lässt Krankenhausbetten und elektrische Rollstühle tanzen, zaubert Hologramme auf die Bühne und lässt einen erstaunlich realistischen Dinosaurier auftreten. Die verschiedenen Elemente und theatralen Mittel stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander, sind alle Teil seines Gedichts.
Ein Abend, der scheinbar die Schönheit des Untergangs besingt. Auch die Menschheit wird einmal Geschichte sein oder wie Max Frisch es formuliert hat, „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“ Aber Alexander Giesche schafft es aus diesem Fatalismus einen Hoffnungsschimmer, ein Gefühl der Wärme herauszuschälen. Das Verhältnis Mensch – Natur bleibt ein angespanntes. Unser schädlicher Einfluss auf den Planeten zeigt sich jeden Tag deutlicher.
Im Anschluss an diese Inszenierung ist Max Frisch mit seiner Dankesrede Die Schweiz als Heimat zur Verleihung des Schillerpreises am 12.01.1974 zu sehen. Hier setzt sich Frisch ebenso eloquent wie kritisch mit der eigenen Herkunft auseinander. Die Rede ist heute so aktuell wie eh und je.