Im April 1967 wagte der Geschichtslehrer William Ron Jones zusammen mit Schülern und Lehrern an der Cubberley High School in Palo Alto ein Experiment, The Third Wave, das jetzt mit Jürgen Vogel unter dem Titel „Die Welle“ verfilmt wurde: Um nachzuweisen, dass auch heute noch fast jeder von faschistischen Parolen verführt werden kann, verleitet der Lehrer seine Schüler dazu, sich als Elite zu betrachten. Jeder erhält klar umrissene Aufgaben, wird dabei strengen Einschränkungen unterworfen. Wer mitmacht, kommt weiter, wer sich weigert, fliegt raus, notfalls mit Gewalt.
Mal ehrlich, Herr Vogel, für wie realistisch halten Sie die Vorgänge im Kinofilm?
Jürgen Vogel: Das funktioniert heute noch ganz genauso wie vor siebzig Jahren. Und warum? Weil viele einsam sind, aber alle zu einer Gruppe gehören möchten, Teil von etwas Besonderem sein wollen. So etwas findet heute doch permanent statt!
Wie meinen Sie das?
Zurzeit wird in Kenia ein ganzes Volk manipuliert, Freunde und Nachbarn bringen sich plötzlich um, weil zwei machthungrige Politiker es so wollen. Vor 14 Jahren war es in Ruanda ganz ähnlich. Damals starben eine Million Menschen. Das Prinzip ist immer dasselbe: Wenn du nicht einer von uns bist, musst du dran glauben!
Aber in Deutschland …
Klar, mit einer SS-Uniform funktioniert das natürlich nicht mehr, die Lektion haben wir alle gelernt. Aber der Wahlkampf in Hessen ging doch in die Richtung: Buhmänner finden, den Wählern Feindbilder einreden und sich dann als Retter feiern lassen. Gott sei Dank war das zu unreflektiert vorbereitet – aber lassen Sie da mal jemanden mit mehr Charisma auftreten.
Wie haben Sie sich im Film als Anführer so einer Gruppe gefühlt?
Macht macht an, ganz klar. Auch wenn ich privat keine Führerqualitäten habe, kann ich durch die Rolle sehr gut nachvollziehen, wie der Lehrer von der Erotik der Macht verführt wird. Alle hängen an seinen Lippen, sind diszipliniert, er fühlt sich wie ein Held. Interessant ist doch, dass nicht nur die Kids, sondern auch die Erwachsenen diesem Spiel erliegen.
Interview aus: TV-Movie Nr. 6/08
Es gibt viele Beispiele dafür, dass faschistoide Parolen auch heute noch zünden, und das nicht nur bei Unterschichtlern und Außenseitern. Das möchte der Film „Die Welle“ (D 2008 – Regie: Dennis Gansel – Darsteller: Jürgen Vogel, Christiane Paul u.a.) aufzeigen. Ich denke, dass ihm das ganz gut gelungen ist. Und es hat immer etwas mit „gruppendynamischen Prozessen“ zu tun. Gerade junge Menschen schließen sich gern einer Gruppe von Gleichgesinnten an, was immer darunter auch zu verstehen ist. Hat diese Gruppe einen charismatischen Führer, dann kann dieser die Gruppe auch dahin führen, wohin die Einzelnen eigentlich gar nicht wollen.