Im Beitrag Kumpelschaften (Noddy & Ian) fragte Lockwood zuletzt: „Wann ist Musik “gut” ?“ und deutete an, ein Problem zu haben, wenn „Michael Jackson und Diedä Bohlen bedeutende zeitgenössische Musiker“ wären. Ob wir Lockwood von seinem Problem erlösen können? Hier geht es weiter …
Kretakatze schrieb am 16.06.2008:
Hallo meine Lieben,
Lockwood hat das Thema „erfolgreiche Musiker“ und „Chartplatzierungen“ angesprochen, und darauf möchte ich doch noch etwas differenzierter eingehen (ziemlich differenziert sogar).
Zunächst einmal stammt von ihm der Satz „Die Hitliste, auf deren 2. Stelle Slade zu finden ist, basiert wohl auf Chartplatzierungen, also auf Verkaufszahlen“. Charts basieren durchaus nicht immer und ausschließlich auf Verkaufszahlen, sondern wie wir in diesem Wikipedia-Artikel nachlesen können, evt. auch auf Publikumswahlen oder auf Sendehäufigkeiten im Radio. In Zeiten sinkender Plattenverkäufe und zunehmender illegaler Downloads aus dem Internet sind Verkaufszahlen allein auch kein ausreichendes Kriterium für die Beliebtheit einer Musik mehr. Der Billboard Hot 100, der aktuell wichtigste amerikanische Musik-Chart, basiert daher bereits seit Jahren auf einer Kombination aus Endverbraucher-Verkäufen und „Airplay“, also Sendehäufigkeit und -Reichweite (d.h. erreichte Hörer) im Radio. Hier wurde also bereits versucht, den „Erfolg“ einer Musik in beiden Kategorien durch einen gemeinsamen Index gegeneinander aufzurechnen und vergleichbar zu machen.
Dazu als Beispiel einmal wieder Clay Aiken – sorry, Jungs, aber er eignet sich so gut. Wie wir bereits wissen besteht die Fangemeinde von Mr. Aiken hauptsächlich aus anständigen, wohlsituierten Damen über 40. Dieses Publikum ist noch von alters her gewohnt, dass man Musik im Laden kauft und dafür bezahlt. Außerdem wollen sie ihr Idol unterstützen und auf den Verkaufscharts vorne sehen, und sie haben die finanziellen Mittel dazu. Veröffentlicht Mr. Aiken also ein neues Album, wie erst letzten Monat geschehen, dann stürmen die Claymates bereits am Tage der Veröffentlichung die Läden und kaufen nicht nur ein Exemplar, sondern gleich 3 oder 5 oder 10. Antwort einer Dame mittleren Alters, die interviewt wurde als sie mit einem ganzen Packen „Clay Aiken – On My Way Here“ in der Hand den Laden verließ, auf die Frage was sie mit all den CDs machen wolle: „Eine ist für daheim, eine fürs Auto, eine fürs Büro, und den Rest verschenke ich“.
So kommt es, dass Clay Aiken’s CD in der Woche ihres Erscheinens auf Platz 2 der Verkaufscharts lag (Dummerweise brachte er sein neues Album am gleichen Tag heraus wie Josh Groban und Neil Diamond – an Josh Groban kam er vorbei, an Mr. Diamond nicht. Das zeigt auch von welchen „Zufälligkeiten“ Chart-Platzierungen abhängen können. Hätte Mr. Diamond sein Album eine Woche später veröffentlicht…). Gleichzeitig führte der Titelsong seines Albums die Download-Charts an – ich möchte wetten, dass jede Menge Ladies, die das Album schon fünfmal erstanden hatten, sich zusätzlich auch den Song noch fünfmal heruntergeladen haben – Mr. Aiken lässt man sich gerne etwas kosten.Irgendeine Band, deren Fans hauptsächlich aus Teenies bestehen, hat dagegen keine Chance. Da kauft sich vielleicht Einer in der Clique die CD und die anderen 10 kopieren sie oder laden sie sich aus dem Web runter – natürlich ohne zu zahlen. Ein Auto und ein Büro hat da auch Keiner und Geld für 10 CDs auch nicht.
Schaut man sich dagegen die Radio-Charts an, dann sieht das ganz anders aus. In den Airplay-Charts der Top 40 amerikanischen Radiostationen taucht der Name Clay Aiken nicht auf. Hier bestimmen die Disc-Jockeys, was auf den Teller kommt, und die wählen das aus, was ihrer Meinung nach ihr Publikum hören will. Dieses Publikum ist vermutlich überwiegend jugendlich, und die DJs scheinen überwiegend der Meinung zu sein, dass man denen Clay Aiken nicht zumuten kann (worin ihnen Wilfried sicher lebhaft zustimmen wird). Hier haben jetzt die Favoriten der Teenies eine echte Chance – was allerdings die Qualität der Musik auch nicht unbedingt erhöht, wie wir gleich erleben werden.
Dazu noch einmal ein Beispiel, mit dem ich mich bei Wilfried wieder unbeliebt machen werde. Im letzten Sommer hatte sich Clay Aiken für seine Bühnenshow ein Medley aus 12 Titeln zusammengestellt, die alle zu dieser Zeit vordere Plätze in den Airplay-Charts der Top-40-Radiostations belegten – er wollte auch einmal etwas cooles singen, was im Radio gespielt wird. Ich habe dieses Medley erst vor ein paar Tagen Wilfried in einem Kommentar untergejubelt, aber für die, die es noch nicht kennen, hier das Gleiche noch einmal in einer anderen Version: The Classics Medley (wer nicht will, muss es ja nicht anklicken – also ich finde es herrlich albern).
Was mir daran auffiel: Abgesehen von jeder Menge Sex und Schwachsinn tauchen hier Titel auf wie Beat It (Michael Jackson), Like a Virgin (Madonna), Oops, I Did it Again (Britney Spears), 1999 (Prince) oder Bills, Bills, Bills (Destiny’s Child), die teilweise wahrscheinlich schon fast 10 Jahre alt sind. Aus den Verkaufs-Charts sind sie längst verschwunden, aber im Radio belegen sie immer noch erste Plätze. Wie vergleicht man den Erfolg von einem Titel, der eine Woche lang die Download-Charts angeführt hat (und an den sich in zwei Jahren vermutlich kaum noch ein Mensch erinnert) mit einem Song, der vielleicht nie einen ersten Platz belegt hat, der aber nach 10 Jahren immer noch regelmäßig im Radio gespielt wird?
Kommen wir vom Vergleich des Erfolgs von Musiktiteln zum Vergleich des Erfolgs von Musikern, und dafür werde ich 3 Absolventen von American Idol anführen. Nach offizieller Auffassung – nachzulesen in Wikipedia – sind die bislang erfolgreichsten Teilnehmer an American Idol Carrie Underwood (Gewinnerin AI4), Kelly Clarkson (Gewinnerin AI1) und Clay Aiken (Zweiter AI2) – in dieser Reihenfolge. Sie basiert allein auf der Anzahl verkaufter Tonträger. Bei einer Abstimmung im Jahr 2006, in der es darum ging das „beliebteste Idol“ zu küren, gewann Mr. Aiken. Geht es um die offizielle Anerkennung des „Musikschaffens“, dann konnten sich beide Damen bereits Grammies in die Vitrine stellen, bei Mr. Aiken war es bislang „nur“ ein Music Award Fanpreis aus dem Jahr 2003 und eine Music Award Nominierung. Beim „Airplay“ liegen die Ladies deutlich vorne, was die Präsenz im Fernsehen betrifft ist Mr. Aiken klarer Gewinner. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass er bereits in mehreren Fernsehserien Gastauftritte hatte, in Fernsehshows als Co-Host agierte oder in seiner Funktion als UNICEF-Botschafter gefilmt bzw. interviewt wurde – hat also nicht direkt etwas mit Musik zu tun. Ein ganz wichtiger Aspekt sind aber meiner Meinung nach die Konzerte. In Zeiten sinkender Verkaufszahlen von Tonträgern werden für Musiker die Konzerte als Einnahmequelle immer wichtiger. Bislang gibt es noch keinen Chart, der Konzerte irgendwie berücksichtigen würde, z.B. in Form von Anzahl verkaufter Tickets. Da Mr. Aiken in diesem Bereich sehr aktiv ist und meist zwei Tourneen im Jahr absolviert, würde ich vermuten, dass er in diesem Punkt die Nase vorn hat.
So, wer ist jetzt von den Dreien der oder die Erfolgreichste? Ich denke, das kann man so nicht sagen, das einzige halbwegs objektive Kriterium könnten hier noch die jährlichen Einnahmen sein. Und über die wird man wohl kaum zuverlässige Informationen bekommen. Ansonsten sollte man besser nicht global von „Erfolg“ sprechen, sondern konkret das Kriterium nennen, das man gerade vergleichen möchte.
Der langen Rede kurzer Sinn: Zurück zu Slade und ihrem Titel als „2. erfolgreichste Band“. Diese Aussage kann sich eigentlich nur auf ein ganz bestimmtes Kriterium beziehen (vermutlich eben Plattenverkäufe) in einem ganz bestimmten Jahr, und das vermutlich auch noch in einem ganz bestimmten Land. In der Liste der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten (die natürlich sehr mit Vorsicht zu genießen ist) tauchen Slade nämlich garnicht erst auf. Allerdings tauchen z.B. Creedence Clearwater Revival auch nicht (mehr) auf, ich bin mir sicher sie in dieser Liste schon einmal gesehen zu haben. Vermutlich sind sie gelöscht worden, weil die Quelle als zu zweifelhaft galt. Ich habe eine Zahl von 125 Mio. Tonträgern in Erinnerung. Stattdessen sind jetzt auch Jethro Tull hier zu finden, die ich das letzte Mal noch vermisst hatte.
Aber Lockwood war in seiner letzten Mail schnell weitergeeilt, von der Frage des Erfolgs zur Frage der Qualität. Und das ist nun ein noch viel schwammigeres Gebiet. Qualität und Erfolg sind wohl schon irgendwie positiv miteinander korreliert, aber nach meinem Gefühl nicht besonders stark. Und was „gute Musik“ ist beruht auf rein subjektivem Empfinden, dafür kann es keine objektiv messbare Maßeinheit geben. Seinerzeit hatte ich auch in meinem Beitrag mit dem Titel Musik und Intelligenz schon einige Worte zu diesem Thema verloren. „Musik und Intelligenz“ oder „Musik und Qualität“- das läuft mehr oder minder auf’s Gleiche hinaus. Allein wir Drei bis Vier, die wir ja tendentiell musikalisch ähnlich veranlagt sind, können uns in diesem Punkt schon nicht einig werden – unsere teilweise weit auseinanderliegende Auswahl der „besten Songs aller Zeiten“ spricht da Bände. Und über Geschmack sollte man sich nicht streiten, das führt zu nichts.
So genug für heute, und ab morgen wird wieder philosophiert…
Seid herzlichst gegrüßt
Kretakatze
PS.: Entfällt heute wegen akuter Erschöpfungszustände
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WilliZ schrieb am 16.06.2008:
Ja, meine Lieben,
Sympathie und Erfolg … Wann ist Musik „gut“?! Ihr habt Probleme. Wenn ich eine bestimmte Musik gut finde, dann werde ich in der Regel auch den Interpreten gut und damit mehr oder weniger sympathisch finden. Ungeachtet all dessen, was wir inzwischen Negatives von Herrn Anderson wissen, wird er uns (auf jeden Fall mir) sympathisch bleiben. Das hat eben viel mit seiner Musik zu tun. Wenn wir seine Musik nicht mögen sollten, dann gäbe es kein Interesse an seiner Person – und die Frage nach Sympathie oder Aversion würde sich erst gar nicht stellen. Das gilt in meinem Fall bei Wolfgang Petry. Auch ich kenne ihn eigentlich nur dem Namen nach. Vielleicht habe ich schon das eine oder andere Lied von ihm gehört. Aber ich wüsste jetzt nicht, welches. Und so finde ich ihn weder sympathisch noch unsympathisch. Ich kenne ihn einfach nicht. Wahrscheinlich möchte ich ihn auch gar nicht kennen lernen, weil er musikalisch aus einer Ecke kommt, in der ich mich nicht aufhalte.
Bei Noddy Holder mag das etwas anders sein. An die Musik von Slade erinnere ich mich noch, sie entsprach zwar nicht meinen Geschmack, aber ich bin auf jeden Fall nicht zusammengebrochen, als auf früheren Parties das eine oder andere Lied von denen gespielt wurde.
Und Erfolg? Dazu hat sich Kretakatze ausführlich ausgelassen und ich kann ihr nur zustimmen. Erfolg ist nur messbar, wenn die benutzten Variablen die gleichen sind. Erfolg ist zudem eine quantitative Größe, die nur wenig mit Qualität zu tun hat. Mögen die Beatles auch mit „guter“ Musik Erfolge erzielt haben. Viele andere „erfolgreiche“ Musiker boten diese Qualität nicht. Erfolg hat heute auch viel mit Marketing zu tun. Daher auch der Erfolg von TV-Sendungen wie DSDS, American Idol und wie immer diese heißen. Aber das Thema hatten wir ja bereits.
Was ist nun „gute Musik“? Hierfür gibt es mindestens zwei Sichtweisen. Für viele ist Musik dann gut, wenn sie gefällt. Da spielt der individuelle Geschmack die Hauptrolle. Nicht jeder mag Currywurst mit Pommes. Aber es gibt durchaus einige, die sowohl Kaviar mögen als auch Currywurst (und einzelne, die Currywurst mit Kaviar mögen). Damit kommen wir zur 2. Sichtweise: Was macht die Qualität von Musik aus? Wolfgang Petry ist wie Currywurst von der Pommesbude nebenan: zu fett und ungesund. Noddy Holden und seine Slade sind vielleicht Fish and Chips, aber in einem Mittelklasserestaurant serviert. Die Zutaten sind frisch, der Fisch in Butter gedünstet statt in ranzigem Frittenfett. Und auch die Fritten kommen nicht aus dem Tiefkühlfach.
Nun Kaviar ist auch nicht unbedingt gesund. Nehmen wir eine Mahlzeit, die ausgewogen, also gesund ist. Es kommt zunächst auf die Zutaten an. Schon allein die Tatsache, das Ganze mit frischem Pfeffer (aus der Pfeffermühle) zu würzen, kann graduelle Unterschiede bewirken. Manchmal tut es ein einfacher Salat, aber eben raffiniert gewürzt. Das ist wie ein schlichtes Lied, das trotzdem qualitativ als gut bewertet werden kann. Und je aufwändiger ein Mahl zubereitet wird, um so mehr Geschick (Kompositionsgabe) muss der Koch besitzen. Dazu gehört Talent, meist aber auch eine gründliche Ausbildung.
Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks. Aber zunächst sollte man auch Geschmack haben, um ein Qualitätsurteil bilden zu können. Wer Tag für Tag Fastfood in sich hineinstopft, schmeckt im Grunde nichts mehr. Hauptsache es macht satt. Wer bewusst isst (hört), wird auch eher ein richtiges Urteil fällen können.
Gehabt Euch wohl
Euer Wilfried
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Lockwood schrieb am 17.06.2008:
Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,
Wilfried zieht das Fazit „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks.“
Dieses Ergebnis beruhigt mich; daraus folgt, dass eine gut verkaufte Platte nicht unbedingt eine qualitativ hochwertige Platte sein muss. Damit bin ich einverstanden.
Aber Euren Ausführungen entnehme ich, dass es kein objektives Kriterium für musikalische Qualität gibt. Einfach zu wertende Ingredienzien wie altes Fett oder frische Butter – um in Wilfrieds Bild zu bleiben – gibt es in der Musik nicht.
Die Beurteilung eines Liedes wird immer von den eigenen Vorlieben gefärbt. Das wiederum bedeutet, dass man nicht mit Fug und Recht behaupten kann, G.G. Anderson mache schlechte und Ian Anderson mache gute Musik.
Habe ich damit Eure Ausführungen korrekt zusammengefasst ?
Mein Ergebnis gefällt mir überhaupt nicht. Ich bitte um Widerspruch.
So long
Lockwood
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Kretakatze schrieb am 18.06.2008:
Hallo meine Lieben,
da habe ich ja nicht schlecht gestaunt – Wilfried entpuppt sich als Meisterkoch und Experte für kulinarische Genüsse. „Butter bei die Fische“ und frischen Pfeffer an den Salat, hier gibt’s jetzt kostenlose Tipps für den Hobby-Koch! Und dass es nicht nur schmeckt sondern auch gesund ist, ist das Merkmal für Qualität. Habe ich das so richtig verstanden?
Also meiner Meinung nach ist Essen dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen, genauso wie im Übrigen auch Musik. Da sind zunächst die Grundbedürfnisse: Es sollte nahrhaft sein und sättigen. Dann die Sekundärbedürfnisse: Es sollte schmecken. Und zuletzt der Luxus: Es ist schön, wenn es auch noch gesund ist. Wobei der „Gesundheitsaspekt“ schwer zu messen ist (außer es handelt sich um Diät). Butter und Pfeffer sind vielleicht nicht unbedingt dazu angetan, den Gesundheitseffekt zu erhöhen. Fisch und Salat schon eher, aber auch nur, solange sie nicht zu einseitig genossen werden.
Schluss jetzt bevor ich beginne Euch die Strukturformeln essentieller Aminosäuren aufzuzeichnen (wer schon einmal einen Blick auf meine Homepage geworfen hat weiß, dass ich ein verhinderter Ernährungswissenschaftler bin). Die Frage ist: Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen. Ich muss zugeben, lieber Wilfried, dass mir das aus Deinen Ausführungen nicht klar geworden ist. Deine Schlussfolgerung „Qualität ist also nicht allein ein Kriterium des Geschmacks“ kann ich so nicht nachvollziehen. Woran genau erkennst Du nun Qualität in einer Musik? Was ist denn nun „Geschmack“, vor allem derjenige, „den man haben sollte“? Hat nicht in unseren Augen immer derjenige „Geschmack“, der die gleichen Vorlieben hat wie man selbst? Gibt es überhaupt etwas Subjektiveres als „Geschmack“?
Schon vor Jahren (ich glaube es waren sogar Jahrzehnte) hatte ich mir einmal Gedanken gemacht zu der Frage: Was ist eigentlich Qualität? Ich kam damals zu folgender Definition: Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Oft wird der neutrale Ausdruck „Qualität“ gleichgesetzt mit dem Ausdruck „hohe Qualität“, d.h. ein hoher Grad der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.
Ich würde heute, aus einer anderen Perspektive betrachtet, noch eins obendrauf setzen: „Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht.
Weltverbesserische Grüße
Kretakatze
PS: Simples Lied, das die Welt verbessert (keine Angst, das könnt Ihr ruhig anklicken, es kommt ausnahmsweise kein Clay Aiken darin vor)
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WilliZ schrieb am 18.06.2008:
Seid gegrüßt,
also den Hobbykoch mache ich hier nicht. „Was hat das alles mit Musik zu tun, bzw. wo sind die Parallelen“, fragt Kretakatze an. Nun es geht bei der Frage nach „guter Musik“ auch um Geschmack. Ursprünglich bezieht sich das Wort auf etwas, was eng mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat. Vielleicht von daher die Parallele. Aber lassen wir die Currywurst in der Pfanne.
Natürlich ist Geschmack etwas sehr Subjektives. Das habe ich nie bestritten. Daneben gibt es aber begrifflich etwas, nämlich den „guten Geschmack“, den ich bei „Geschmack haben“ zugeordnet sehen wollte. Es geht also darum, einen „guten Geschmack zu haben“ (so wie wir eigentlich von guter Qualität sprechen müssen, wenn wir Qualität meinen). Natürlich haftet auch diesem Begriff etwas Subjektives an. So wie ich es sehe, hat „guter Geschmack“ etwas mit der bewussten Auseinandersetzung mit etwas zu tun, z.B. Musik hören. Ich setze mich damit auseinander, ich werde davon berührt. „Guter Geschmack“ wird entwickelt, indem über einen langen Zeitraum geschmeckt wird. Erst nach und nach werden mir viele Details bewusst, die ich als Kriterium für weiteres Schmecken benutzen kann. Und nur mit der Zeit kann ich (muss aber nicht) ein gewisses Gespür für Qualität entwickeln.
„Qualität ist ein Maßstab für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“. Das deckt sich durchaus mit dem von mir eben Gesagtem. Sind meine Bedürfnisse nicht besonders hoch, dann gebe ich mich auch mit Einheitskost zufrieden. Je mehr ich aber meinen Geschmack kultiviere (bewusst schmecke), desto anspruchsvoller werde ich und damit mein Geschmack.
„Gute Musik“ ist Musik, die dem Sinn des Lebens dient, oder simpler ausgedrückt, die die Welt besser macht, schreibt Kretakatze. Dem stimme ich gern zu. Aber gut = Güte = Qualität definiert diese Aussage nur zum Teil (die Frage nach dem Sinn des Lebens lasse ich hier außer Acht, das Thema diskutieren wir ja an anderer Stelle).
Ich will mich hier nicht mit Musiktheorie beschäftigen (Harmonielehre usw.). Aber es gibt Lehrsätze, die sich über viele Jahrhunderte gebildet haben und die zu Kriterien auch über die Bestimmung, was gute Musik ist, entscheiden können. Auch dies ist nur ein Punkt, der uns hilft, gute von schlechter Musik zu trennen. Die Herkunft spielt natürlich auch eine Rolle. Arabische Musik werden wir als disharmonisches Gejaule empfinden (und umgekehrt).
Wenn wir versuchen, „gute Musik“ zu definieren, dann meinen wir sicherlich auch die Texte (z.B. eines Liedes). Ohne jetzt auch noch „gute Literatur“ definieren zu wollen, aber bestimmte Schlagertexte wird jedes Kind (natürlich nicht wirklich jedes) als bescheiden einstufen können. „Ich bin verliebt in die Liebe“, „Tränen sind nicht nur zum Weinen“ (um Herrn G.G. Anderson zu zitieren), „Der Colt steckt immer im Pyjama“. Das könnte ich endlich fortsetzen. Aber lasse ich das. Auch der andere Herrn Anderson hat sicherlich manch krauses Zeug getextet. Ich selbst schließe mich da gar nicht aus.
Um es kurz zu machen (ich erhebe in meinen Erläuterungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es gibt auch noch etwas anderes, als hier seitenlang über die Güte von Musik zu diskutieren, z.B. gute Musik zu hören): Was ‚gut’ ist, hängt von vielen Faktoren ab. Daher bleibe ich bei meiner Aussage: Qualität ist nicht allein ein Kriterium des Geschmacks!
Zuletzt: Da wir alle gern unser bescheidenes Wissen bei Wikipedia erweitern, hier die Definition für Qualität gemäß DIN EN ISO 9000:2005, der gültigen Norm zum Qualitätsmanagement: Danach ist Qualität der „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“. Es geht also um Anforderungen, die bei jedem Menschen unterschiedlich sein können. Aber da wäre ich wieder bei dem, was ich oben schon geschrieben habe.
Ich wünsch Euch ’was
Euer Willi
P.S. Vielleicht lässt sich Lockwoods Frage am besten beantworten, wenn man sich selbst fragt, warum man das eine oder andere Lied für gut befindet (natürlich ist die Antwort eine rein subjektive).
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Lockwood schrieb am 19.06.2008:
Meine Lieben,
wenn ich Wilfrieds Ausführungen über die Bewertung musikalischer Qulität zusammenfasse, besteht diese Bewertung in der Hauptsache aus zwei Faktoren:
1. persönlicher Geschmack
2. objektive Kriterien aus der Musiktheorie (Harmonielehre etc.)
Das bedeutet: Wenn Musikwissenschaftler mit akademischen Methoden ein Lied analysieren und für schlecht befinden, so kann es mir immer noch gefallen. Es kann Freude in meinem Kopf auslösen und damit hat dieses Lied seine Daseinsberechtigung.
Ich gestehe an dieser Stelle, dass mir der subjektive Eindruck eines Liedes wichtiger ist als das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen.
Es wäre interessant zu erfahren, wieviel gute Musik es auf diesem Globus gibt, die ich einfach noch nicht gehört habe, weil sie in den Medien nicht so repräsentiert wird wie z.B. aktuelle Popmusik.
Vielleicht wäre ich ein Fan von Brahms oder Mahler, wenn ich mich mit ihrer Musik auseinander setzen würde.
In mir klingt ein Lied
Lockwood
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Alex schrieb am 19.06.2008:
Hallo Leute,
Ich stimme mit Wilfried überein. Ein Lied muss schon Kunst in sich haben (Harmonie, Struktur, eine nette Melodie…), aber es kann erst dann gut sein, wenn es etwas im Inneren bewegt. Da spielt die Leidenschaft des Künstlers eine wichtige Rolle. Nicht nur die Virtuosität mit der das Stück interpretiert wird.
„Yesterday“, zum Beispiel, ist ein schönes Lied, aber es gibt eben Musiker, die sich (und hauptsätzlich uns, dem Publikum) die Cover-Version sparen könnten.
Ein interessantes Beispiel sehe ich in diesem Sinne bei dem Lied „All your love“ (W. Dixon & O. Rush), das schon beide, Eric Clapton (damals noch mit John Mayall) und Gary Moore oft gespielt haben. Beide sind zwar technisch außerordentlich gut, allerdings fehlt es bei der Fassung von Herrn Moore – meiner Meinung nach – an Seele.
Noch ein wichtiger Faktor ist nach meiner Meinung, wie oft ein Lied gespielt wird. Manchmal braucht es an Zeit, bis man ein Lied mag. Ab und zu findet man dies oder jenes Lied nichts Besonderes, aber wenn man es noch ein Paar mal hört, gefällt es einem allmählich (z.B. klassische Werke). Oder auch umgekehrt, wenn man satt ist andauernd dasselbe Lied im Radio zu hören (z.B. einfache Pop-Lieder).
Liebe Grüsse an Wilfried, Kretakatze und Lockwood!
-Alex-