Mit Comedians habe ich meist nicht viel am Hut. Comedy heute ist meist nicht mehr das, was uns Komiker der alten Schule als Humor anzubieten hatten. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel. Ist auch gut so, wie z.B. im Falle eines Bodo Wartke. Und jetzt gibt es auch schon einen promovierten Mediziner, der quasi die Seite gewechselt hat, uns nicht mehr durch horrende Rechnungen das letzte Zipfellein Heiterkeit raubt, sondern im Gegenteil medizinisches Wissen und Witz derart mischt, dass es uns zum Schmunzeln bringt: Dr. med. Eckart von Hirschhausen. Und neben Bühnen- und TV-Auftritten (darf auch bei youtube bewundert werden) kann der Herr Doktor jetzt auch gelesen werden. Außer dem lachenswerten Nachschlagewerk Langenscheidt Arzt-Deutsch / Deutsch-Arzt gibt es z.B. beim Rowohlt Taschenbuch Verlag Die Leber wächst mit ihren Aufgaben: Kurioses aus der Medizin.
Letzeres hat mein Ehegesponst käuflich erworben, zur nächtlicher Stunde gelesen und durch ihr Lachen meinen Schlaf gestört. Jetzt habe ich selbst einen Blick in das Machwerk hineingeworfen und bin gleich auf eines meiner Lieblingsthemen gestoßen: die Deutsche Bahn AG. Hier gewissermaßen als Leseprobe das kleine Kapitel:
Die Bahn – Buddha-Fahrt im ICE
Eigentlich stehe ich als Arzt ja unter Schweigepflicht. Also: Das muss wirklich unter uns bleiben. Ich bin da einem Riesending auf der Spur. Eine große deutsche Institution ist vermutlich schon seit längerem fest in der Hand einer Glaubensgemeinschaft. Die Deutsche Bahn! Alles Buddhisten.
Ich kam darauf, als ich zum wiederholten Male im ICE gegen diese Glasschiebetür rannte. Ich dachte, es muss doch technisch möglich sein, dass die sofort aufgeht und nicht immer mit drei Sekunden Verzögerung. Gibt es Elektronik mit Beamtenmentalität? Nein, die machen alles genau so, wie sie es machen, um uns die Tugenden östlicher Religionen zu lehren.
Du rennst geistesabwesend gegen die Tür und hast unmittelbar eine Meditationserfahrung: Du bist plötzlich ganz im Moment, spürst nur dich und deinen Schmerz. Dann gleitet die Tür majestätisch zur Seite und gibt dir mit auf den Weg: „Pilger. Weltenbummler. Wüstensohn. Was rennst du offene Türen ein? Erwache! Genieße das Leben – in vollen Zügen!“ Das ist die geheime Botschaft der Bahn.
In alten Schriften habe ich gesucht und weitere Beweise für meinen Verdacht gefunden:
„ya a shâstravidhim utsrjya varate kâmakârata a
na sa siddhim avâpnoti na sukham na parâm gatim.”
“Doch wer nach seiner Willkür lebt, nicht achtend heiliges Gesetz,
Nicht erreicht Vollendung der, nicht Glück und nicht höchste Bahn.”
Doch damit nicht genug: Die größte Schule des Buddhismus nennt sich Mahayana. Wörtlich übersetzt: Großes Fahrzeug, das vielen Menschen Platz bietet. Muss ich noch deutlicher werden? Buddha sagt: Du sollst nicht nehmen, was dir nicht gegeben ist. Die Bahn sagt: Nehmen Sie den Nächsten! Buddha spricht: Alles Begehren muss man „fahrenlassen“. Das gilt auch für das menschliche Begehren, im Zug zu schlafen. Früher konnte man die Armlehnen hochklappen und sich einfach quer hinlegen. Aber seit die Buddhisten die Bahn unterwandert haben, gibt es ergonomische Sitze, in denen es unmöglich ist, eine bequeme Schlafposition zu finden. Buddha heißt nicht umsonst: der Erwachte!
Sollte man doch einmal aus Versehen eingeschlafen sein, wechselt garantiert das Zugpersonal und weckt dich wieder auf. Das nenn ich Service. Das grenzt schon ans Hinduistische: die ewige Wiederkehr der Gleichen.
Die nennen sich auch nicht mehr Schaffner, nur noch „Begleiter“, um das Spirituelle ihres Tuns zu unterstreichen. Das sind Bodhisattwas, ruhende Seelen, die nur noch aus Mitleid im Diesseits und im Dienst verweilen. Du spürst, die müssen das alles nicht mehr tun. Sie tun es aus Liebe zu uns. Du fragst sie etwas Konkretes, zum Beispiel: „ Wann sind wir denn endlich da?“, und sie antworten mit einem Mantra: „OMMMMM.“
Was ist ein Kursbuch anderes als ein Kamasutra für Triebwagen? “Evam pi me no. Tathâ ti pi me no. Annyathâ ti pi me no. No ti pi me no. No no pi me no ti.” Übersetzt: Wenn du mich so fragst und ich dächte, das wäre so, so würde ich dir dementsprechend antworten. Aber so denke ich nicht. Ich denke nicht: Es ist so! ich denke auch nicht: Es ist anders!
Wow, vor über 2000 Jahren beschreibt jemand exakt die Dialoge am Service Point der Deutschen Bahn! Wie können die Menschen dort im größten Chaos so gelassen hinter ihrem Tresen hocken? Die meditieren! Der Tresen ist extra so gebaut, dass man nicht sehen kann, dass sie im Lotussitz sitzen. Und ab dem zweiten Lehrjahr ganz ohne Stuhl!
Der Frühbucher-Rabatt. Was bedeutet das? Geh in dich, und du weißt, wann du in sechs Monaten mit welchem Zug fahren willst. Denn alles ist vorherbestimmt. Wer daran nicht glaubt, soll ruhig mehr zahlen.
Es geht der Bahn nicht ums Geld, im Gegenteil, nehmen wir nur die 1. Klasse: Mal ist sie ganz vorne am Zug, mal ganz hinten – aber nie in der Mitte vom Bahnsteig. Wer am meisten zahlt, muss das Gepäck am weitesten schleppen, bis dahin, wo das Dach zu Ende ist und man mit dem ganzen Geld im Regen steht. Die Bahn will uns lehren: Wer reich ist, findet schwer zur Mitte. Dabei wartet in der Mitte das freundliche Team der Mitropa. Die Mitte ist Mitropa. Mitropa ist Nirwana. Der Ort, wo alles Begehren für immer aufhört! Wir können im Speisewagen so viel lernen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es aufgetaut wird. Sie verwenden nur Fleisch von Tieren, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Die Kellner lehren uns: Zeit ist eine Illusion.
Oder das: Du schaust im Bahnhof aus dem Speisewagen auf einen anderen Zug. Und plötzlich könntest du schwören, dass du dich bewegt hast. Aber in Wirklichkeit wurde nur ganz langsam der Bahnhof weggeschoben. Trug der Bewegung. Fahr-Schein!
Der Verstand muss zum Schweigen gebracht werden. Deshalb bringt uns die Bahn auch mit buddhistischen Koans um den Verstand, unlösbaren Rätselfragen wie: „Wenn ein Baum im Wald umfällt und keiner in der Nähe ist, um es zu hören – gibt es trotzdem ein Geräusch?“ Oder. „Wenn ein Mann im Wald spaziert und keine Frau ist in der Nähe – ist er trotzdem im Unrecht?“
Die Bahn steht dem in nichts nach. Ihre schönste Meditationshilfe steht auf den Anzeigetafeln im Regionalverkehr. Wörtlich: ZUG HÄLT NICHT ÜBERALL.
Zug hält nicht überall? Wer das versteht, der ist erleuchtet! Es gibt Hoffnung für uns alle, danke, Bahn!
aus: Dr. med. Eckart von Hirschhausen: Die Leber wächst mit ihren Aufgaben (9. Auflage Juni 2008 – Originalausgabe – Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg) S. 212-214