Jean-Marie Gustave Le Clézio : Onitsha

Die Vergabe des Literaturpreises 2008 an den Franzosen Jean-Marie Gustave Le Clézio sorgte besonders in Deutschland für einiges Unverständnis. Ein Grund: Keiner kannte ihn bisher richtig. Als ich zwei seiner Bücher vor acht Jahren zum ersten Mal las, so war bis heute nicht viel in meinem Gedächtnis von dem Gelesenen hängen geblieben. Natürlich frage ich mich heute, was der Grund dafür sein konnte. So las ich also eines der Bücher Onitsha (1991 – dt. Ausgabe 1993 bei Kiepenhauer & Witsch, Köln) in diesen Tagen erneut.

Jean-Marie Gustave Le Clézio

Nun Le Clézio wurde der Nobelpreis als „dem Verfasser des Aufbruchs, des poetischen Abenteuers und der sinnlichen Ekstase” zuerkannt. Ich halte „Onitsha“ für ein sehr poetisches Buch. Es ist Entwicklungs- und eine Art Abenteuerroman und ein Buch über eine uns unbekannte Welt, die Welt der Schwarzafrikaner. Afrika hat mich schon immer interessiert, von der Musik bis hin zur Literatur (beginnend mit Albert Camus und das Leben in Nordafrika bis hin zu Wole Soyinka aus Nigeria). Was mich vielleicht vor Jahren beim ersten Lesen dieses Romans störte: Es fehlt mir etwas der psychologische Tiefgang. Die Personen verharren auf einer Oberfläche, die zwar immer wieder einen Blick in die Tiefe zulässt, der dann aber nur unzureichend ausgeleuchtet wird. Sicherlich sind knapp 300 Seiten zu wenig, um sich der vielen Themen, die hier angesprochen werden, ausführlicher zu widmen. So ist dieser Roman wie ein Gedicht, knapp und poetisch, aber ohne epische Breite.


Onitscha/Nigeria

Zum Inhalt: Geoffroy Allen lebt am Nigerstrom, „etwas oberhalb des Stroms, ein wenig stromaufwärts von der Stadt Onitsha, wie im Herzen einer großen Kreuzung von Wasserwegen.“ Geoffroy arbeite für eine britische Handelsfirma, die diverse Waren aus England importiert.

Als Maou, seine Frau, und der zwölfjährige Sohn Fintan im Jahre 1948 in Port Harcourt ankommen, haben sie eine vierwöchige Schiffsreise hinter sich. Maou ist voller Zuversicht und freut sich schon auf ihr Leben in Afrika: weite Grasebenen, in denen man sich verliert, der breite Strom, so breit, dass man ihn für ein Meer halten könnte, Mangobäume, rote Lehmhäuser und ihr Haus auf einem Hügel, das von Bäumen umgeben ist. Fintan wird erstmals seinen Vater sehen.

Doch die Reise führt keineswegs ins Idyll. Maou betritt afrikanischen Boden, und es dauert nicht lange, da macht sie sich bei Kolonialbeamten unbeliebt. In Onitsha trifft sie auf „eine Gesellschaft von langweiligen, pedantischen Beamten“, die in ihrem Klub Bridge spielen, währenddessen angekettete Sklaven für die englischen Herrschaften eine Grube für ein Swimmingpool ausheben.

Goeffrey dagegen träumt davon, das Land zu finden, in das der Legende nach eine schwarze ägyptische Königin einst mit ihrem Volk gezogen ist, als die Stadt Meroë im Jahre 350 nach Chr. vom König Ezana aus Aksum geplündert wurde.

Für Fintan, dem 12-jährigen tut sich dagegen eine wundervolle Welt auf. Mit seinem afrikanischen Freund Bony erlebt er Abenteuer, wobei er in das afrikanische Leben und auch in die Mythologie des schwarzen Kontinents eintaucht.

Als eine schwere Malariaerkrankung Geoffroys die Familie zwingt, Afrika zu verlassen, nimmt Fintan ein Stück von Afrika für immer mit sich nach Europa.

Wie sein Held Fintan hat Le Clézio seine Kindheit in Afrika verbracht. Er hat mit diesem Buch den Roman einer nie vergessenen Initiation geschrieben. Ihm gelingt es, die kunstvolle Verknüpfung von persönlichen Schicksalen mit den uralten Mythen des schwarzen Kontinents und den Bildern einer geheimnisvollen, archaischen Welt, die im Biafrakrieg für immer untergegangen ist, aufzuzeigen.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!