100 Jahre Heinz Erhardt

Selbst meine Söhne wissen gleich, um wen es geht, wenn der Spruch ertönt: Und noch ’n Gedicht! Es geht um einen etwas dicklichen Mann mit schütterem Haar und einer dunklen Hornbrille, mit naiv-verschmitzten Tonfall und einer gewollt unbeholfene Art: Heinz Erhardt.

Heute vor 100 Jahren wurde Heinz Erhardt in Riga, der Hauptstadt Lettlands, geboren. Am 5. Juni 1979 verstarb er in Hamburg. Heinz Erhardt war der beliebteste Komiker im betulich-altbackenen Wirtschaftswunder-Deutschland der 50er und 60er Jahre, bekannt für seine vollkommen unpolitischen Witze und Sprachspiele. Unpolitisch? Dazu komme ich später noch.

„O wär‘ ich
Der Kästner Erich!
Auch wär‘ ich gern
Christian Morgenstern!
Und hätte ich nur einen Satz
Vom Ringelnatz!
Doch nichts davon! – Zu aller Not
Hab ich auch nichts von Busch und Roth!
Drum bleib‘ ich, wenn es mir auch schwer ward
Nur Heinz Erhardt!“

(Heinz Erhardt)

Heinz Erhardt

Vielen mag Erhardt heute wie seine Zeit eher alt- gar hausbacken, leicht angestaubt und überholt vorkommen. Aber sein Humor ist zeitlos und funktioniert immer noch. Schauen wir doch einfach einmal bei youtube nach, da finden sich unzählige Perlen Erhardt’schen Witzes.

Neben den Gedichten sind es besonders die Weisheiten und Aphorismen, viele kleine Sprachspiele, in denen Heinz Erhardt glänzte, hier nur einige Beispiele:

Wer sich selbst auf den Arm nimmt,
erspart anderen die Arbeit.

Frieden auf Erden – hoffentlich wird es keinen Zaun
mehr geben, von dem man einen Streit brechen kann.

Manchmal hat es wirklich keinen Sinn,
die Stirn zu fletschen und die Zähne zu runzeln.

Ich reibe mir Morpheus Arme aus den Augen,
werfe mir den Hut um die Schulter und lebe sinnlos mäßig.

Wenn der Kragen am Hemd nicht sitzt,
handelt es sich häufig um einen Stehkragen.

Genug. Hier gibt es eine endlos lange Latte an herrlichen Gedichten – viel Spaß dabei:
Heinz Erhardt Gedichte [1]Heinz Erhardt Gedichte [2]

Heinz Erhardt tanzt

Apropos Gedichte und das Stichwort unpolitisch. Auch wenn Heinz Erhardt das folgende Gedicht „Flecke“ nicht geschrieben hätte, so wüsste ich doch, dass sein ganzes Trachten von einer humanen Gesinnung geprägt war. Um wirklich menschlich zu sein, muss man Humor besitzen. Man bedenke nun, dass Heinz Erhardt folgendes Gedicht zur Adenauer-Zeit im Wirtschaftswunderland Deutschland verfasst hat. Das hatte, so finde ich, etwas Bemerkenswertes (man achte besonders auf die letzte Strophe):

Flecke

Gott, voller Weisheit, hehr und mild
schuf uns nach seinem Ebenbild
Gewiß, wir Menschen sind gescheit,
doch wo ist uns’re Menschlichkeit?
Erscheint uns jemand edel, groß,
so täuscht das: er verstellt sich bloß!
Erst wenn er Böses tut und spricht,
zeigt er sein wahres Angesicht! –

Um obiges nun zu beweisen,
laßt alphabetisch uns verreisen,
dann kann man sehn, was so geschah!
Wir fangen vorne an, bei A!

A (Amerika)

Amerika, du Land der Super-
lative und dort, wo James Cooper
zwar seinen »Lederstrumpf« verfaßte,
man aber die Indianer haßte,
weshalb man sie, halb ausgerottet,
in Reservaten eingemottet,
sich dafür aber Schwarze kaufte,
sie schlug und zur Belohnung taufte,
doch heute meidet wie die Pest,
sie aber für sich sterben läßt –
wie beispielgebend stehst du da
für Menschlichkeit! O, USA!

B (Briten)

Jedoch auch sie, die vielen Briten,
die Schott- und Engländer, sie bieten
für unser Thema Menschlichkeit
so manchen Stoff seit alter Zeit!
Nur waren’s statt Indianer Inder,
die sie ermordeten, auch Kinder;
und ähnlich Schreckliches erfuhren
danach die Iren und die Buren,
die man durch den Entzug des Fetts
verschmachten ließ in den Kazetts!
Jedoch bei Völkern, welche siegen,
wird sowas immer totgeschwiegen…

C (Christen)

Dann wäre da, bar jeden Ruhms,
so manche Tat des Christentums,
die, eben wegen seiner Lehre,
am besten unterblieben wäre!
Man denke da zum Beispiel an
Inquisition zuerst und dann
an Waffensegnung mit Gebeten,
um andre Gläubige zu töten!
Auch dieses: lieber Menschenmassen
verelenden und hungern lassen,
statt man Geburtenreglung übe –
auch das zeugt nicht von Menschenliebe!

D (Deutschland)

Nun: Wollt ihr, daß im Alphabet
es mit dem D jetzt weitergeht?
Ist es nicht besser, wenn ich ende?
Wascht nur in Unschuld eure Hände
und greift, kraft eigenen Ermessens,
zum güt’gen Handtuch des Vergessens…

Doch hilft das Waschen nicht und Reiben:
Die Flecke bleiben!

Welcher Popularität sich Heinz Erhardt noch heute erfreut, zeigen auch die vielen Beiträge in Zeitungen und im Internet und die Sendungen im Fernsehen, die in diesen Tagen verbreitet werden. Das Hamburger Abendblatt widmete ein ganzes Wochenendjournal dem Komiker, der viele Jahre in Hamburg lebte. Und so lassen sich auch die TV-Sender nicht lumpen und stellen viel Material über Heinz Erhardt ins Netz: daserste.dendr.de

Anempfehlen möchte ich auch einen kleinen Artikel aus der Welt, der gewissermaßen auch die Schattenseiten von Erhardts Schaffen beleuchtet. So sehen wir heute Heinz Erhardt in vielen Filmen, die des Anguckens nicht wert wären, würde darinnen nicht dieser unvergessene Komiker auftreten. Längst wären diese Filme der Mottenkiste anheim gefallen.

Zuletzt eine Ehrung, die ihm sicherlich gefallen hätte. Zwischen den Straßen Saseler Chaussee, Rabenhorst und Pfeilshofer Weg im Norden von Wellingsbüttel, einem Stadtteil Hamburgs, soll der Heinz-Erhardt-Park entstehen. Erhardt wohnte viele Jahre nur wenige Meter von dieser Stelle entfernt:


Heinz-Erhardt-Park in Hamburg-Wellingsbüttel

Übrigens: Im Jahr 2007 kam Heinz Erhardt bei der Wahl zum besten deutschsprachigen Komiker in der ZDF-Sendung „Unsere Besten – Komiker & Co.“ auf den zweiten Platz hinter Loriot.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Ein Gedanke zu „100 Jahre Heinz Erhardt

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