Der Witzableiter (2): Der Unsinn wird befreit

Fortsetzung von: Der Witzableiter (1): Totaler Blödsinn – ein Rückfall

Zu seiner Kolumne „Der Witzableiter“ im ZEITmagazin, vor 25 Jahren 1984 erschienen, schrieb Eike Christian Hirsch in einer Art Leitung:

Es bleibt Freuds große Entdeckung, daß der Witz eine entscheidende „Beziehung zum Unbewußten“ hat und von dort seine Wirkung bezieht. Diese Theorie ist inzwischen bestätigt, angezweifelt und verbessert worden. Aber genau weiß man es noch nicht, was an Witzen so lustvoll sein kann. Es ist zum Verzweifeln. Oder sollten wir uns doch daran versuchen? Immerhin ist Lachen die zweitschönste Beschäftigung des Menschen. Und nebenbei: Die Frage, warum man eigentlich manchmal lachen muß, ist ganz schön spannend. Auch wenn Arthur Koestler, dieser weise Mann, uns gewarnt hat, „daß die Analyse der Gründe, warum wir lachen, vielleicht eine ebenso heikle Angelegenheit ist, wie die chemische Analyse eines Parfüms mit seinen zahlreichen Komponenten“.

Und doch will ich mich an die Analyse dieses sonderbaren und aufregenden Parfüms machen. Ich muß es!

Hier also der 2. Teil der Kolumne aus dem ZEITmagazin:

An der Schießbude eines Volksfestes stand auf einem Schild: „In betrunkenem Zustand können wir Sie leider nicht bedienen.“ Das ist (ich gebe es zu) eigentlich kein Witz. So etwas verbucht man gewöhnlich unter „unfreiwilligem Humor“ oder besser: unfreiwilliger Komik. Und doch wage ich Ihnen die Geschichte anzubieten, weil es uns ja um die Wurzeln des Witzes geht. Wahrscheinlich ist die Gattung Witz, des es erst seit etwa hundertfünfzig Jahren gibt, auch aus solcher unfreiwilligen Komik entstanden. Hier ein Inserat für ein Färbemittel: „Mit unserer neuen Tönung fällt ihr Haar schon nach dem ersten Versuch gleichmäßig aus.“

So groß ist der Schritt zum uns geläufigen Witz gar nicht. Auch da kommt unfreiwilliger Doppelsinn vor, nur daß meist die Form des Dialogs gewählt wird. „Wer war denn die Dame, mit der ich Sie gestern gesehen habe?“ „Das war keine Dame, das war meine Frau.“ Formal ein echter Witz.

Was amüsiert uns an solchen Fehlleistungen? Sicherlich erfreut uns zweierlei: einmal das Gefühl, den Fehler selbst sofort zu erkennen; zum anderen die Erleichterung, daß uns die Peinlichkeit nicht selbst passiert ist. Aus einem Nachruf: „Still und zuverlässig lebte und starb er für sein geliebtes Theater.“

Aus einem Vernehmungsprotokoll: „Herr S. bestreitet nachdrücklich, daß er irgendwelche sittlichen Berührungen mit Frl. B. hatte.“ Kleinanzeige in einer Kulturzeitschrift: „Welcher angesehene Verlag übernimmt Lyrikband eines bereits im Druck befindlichen Schriftstellers?“

Daß wir es hier mit einer Wurzel der Gattung Witz zu tun haben, dafür gibt es noch ein anderes Indiz. In den fünfziger Jahren hat der Pädagoge Hermann Helmers untersucht, worüber Schulkinder besonders leicht lachen. Er fand heraus, sie lachen am meisten über Sprachschnitzer anderer Kinder. Ein elfjähriger Junge erzählte: „Eines Tages lud mich mein Freund Fritz ein. Zuerst wußten wir nicht, was wir machen sollten. Plötzlich kam seinem kleinen Bruder eine gute Idee und er sagte: ‚Wollen wir nicht lischen gehen!’ Wir lachten so lange, bis uns der Bauch weh tat.“ Der jüngere Bruder hatte „fischen“ sagen wollen.

Ein Zwölfjähriger berichtete: „Herbert sollte eines Tages in der Klasse lesen, und als er an der Reihe war, hat er ‚Stiefenkehlchen’ gelesen. Wir mußten uns den Bauch vor lachen halten. Es heißt nämlich ‚Stief-Enkelchen’.“

Hermann Helmers vermutet, das sei kein Auslachen; es sei der neue, verdrehte Sinn, der komisch wirke. Hinzu kommt wohl die freude der Kinder darüber, fähig zu sein, den Fehler zu erkennen. Und noch etwas: ich dewnke mir, diese Elf- bis Zwölfjährigen sind schon zu erwachsen, um noch selbst ungeniert mit Worten spielen zu können. Sie sind darauf angewiesen, daß andere Unsinn machen – und sei er unfreiwillig.

Der Alltag bietet dazu, wie gesagt, schon immer Gelegenheit. Der Pfarrer in der Kirche: „Unser Organist kann heute nicht spielen. Ich stimme daher jetzt das Lied an, danach fällt die ganze Kirche ein.“

Solche Augenblicke schenken gleichsam ein Naturprodukt, während die üblichen Witze etwas von Fabrikware an sich haben. Wer Zeuge einer spontanen Entgleisung wird, hat die Komik an der Quelle erlebt. Die Leiterin des Mädchenwohnheims einer amerikanischen Universität will zusammen mit dem Rektor gegen die nächtlichen Rendezvouz im Park einschreiten. Ihre Ansprache vor den Studentinnen beginnt sie mit den Worten: „The president of der university and I decided to stopp petting on campus.“

Auch diese Geschichte ist formal ein richtiger Witz und keine bloß „unfreiwillige Komik“ mehr (ich habe diese Geschichte daher auch in einem Witzbuch gefunden).Die Technik ist ohnehin hier und dort die gleiche: Es ergibt sich ein überraschender Doppelsinn, der schnell erkannt werden kann – was uns als Hörer ein kleines Gefühl der Überlegenheit verschafft. Aus einer Bewerbung: „Bei Ausbruch des Krieges mußte ich ins Feld. Eine Schädelverletzung ermöglichte mir dann das juristische Studium.“

Na, nicht doch auch ein bißchen Schadenfreude? Mag ja sein. Es geht aber oft auch ganz harmlos zu. Aussprüche einer westfälischen Hausfrau sind von ihren Kindern der Nachwelt (anonym) überliefert worden. „Es war alles so recht zunett gemacht“, konnte die temperamentvolle, aber etwas zerstreute Frau sagen. Oder bei Tisch: „Halb gekauft ist gut verdaut.“

Ihre Menschenkenntnis begründete sie so: „Ich habe einen Blick dafür, wie ein Mensch aussieht oder nicht.“

Witzableiter (2)

So ist das auch in den heute üblichen, richtigen Witzen: es ergibt sich ein Doppelsinn, zwei Deutungen streiten mit einander. Es ist ein Spiel mit Klang und Sinn, das uns in die Stimmung unserer Kindheit versetzen kann. „Er litt zeitlebens so an Rheumatismus, daß er sich nichts auf die hohe Kante legen konnte.“

Es gebe eine „Lust am befreiten Unsinn“, schreibt Feud, und doch, so meint er, „man getraut sich nicht, Widersinn auszusprechen.“ Da müssen wir eben darauf hoffen, daß es andere für uns tun – und sei es unfreiwillig.

Aus einem Roman: „Sie war erstaunt, daß Gerda einen Mann auf dem Nachttisch stehen hatte.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 29/1984

[Fortsetzung folgt]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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