Fortsetzung von: Der Witzableiter (5): Ein Spiel mit Worten
Kommen wir heute zu Teil 6 von Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, 1984 im ZEITmagazin erschienen, und erfahren etwas über die Herkunft des Witzes aus dem Unbewussten und wie er dem Charakter eines ungewollten Einfalls entspricht.
Zwei Freunde treffen sich. „Was sehe ich an deiner Hand, hast du geheiratet?“ „Ja, Trauring, aber wahr!“ Jeder Witz ist, seiner Form nach, zu knapp erzählt; er überläßt dem Hörer wenigstens einen Schritt zur Mitarbeit. Diese Verknappung kann man selten so deutlich sehen wie an den Mischbildungen. Lenin hatte einen Radikahlschädel. Als Bundeskanzler Schmidt abgewählt war, die SPD aber in Hamburg bei der Landtagswahl siegte, sprachen die Grünen erklärend von einem Schmidtleidseffekt. Verknappung ist oft als die auffallendste Technik des Witzes beschrieben worden. Man nennt das auch „Verdichten“.
Auf einer Party versucht ein Gast, seine Rachenbeschwerden dem bekannten Hals-Nasen-Ohren-Arzt vorzustellen, der sich aber ständig der kostenlosen Konsultation zu entziehen sucht. Als einem weiteren Gast die Sache zu dumm wird, ruft er dem Professor zu: „Nun schauen Sie ihm doch schon in den Geizhals!“ Der jüdische Witz brillierte oft mit solchen Mischwortbildungen. Leopold Jessner, Generalintendant in Berlin und sehr empfindlich hatte den Spitznamen Mimoses.
Heinrich Heine läßt einen Hühneraugen-Operateur sagen, Baron Rothschild sei zu ihm „ganz famillionär“ gewesen, ein Wortspiel, das sich durch alle Witztheorien zieht und in diesem Jahr sogar die Plakatwände erreicht hat – als Werbegag für ein millionenfach verkauftes Familienauto. Als sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in Wien viele Juden in der Votiv-Kirche taufen ließen, sagte man, dem dortigen Meßdiener steige schon die „Schammesröte“ ins Gesicht (der Schammes ist der Synagogendiener).
Kurz und knapp ist der Witz mit vielen Mitteln zum Beispiel auch dann, wenn er nur darauf verzichtet, ein Wort zu wiederholen. Als der Arzt mit seiner Frau spazierengeht, lächelt ihn eine aufgedonnerte Schöne vertraulich an. „Die kenne ich aus dem Beruf“, erklärt der Arzt eilig. Fragt seine Frau zurück: „Aus deinem oder aus ihrem?“ Oder die Technik besteht doch darin, einem harmlosen Wort eine tiefere Bedeutung beizugeben: „Acht Jahre waren meine Frau und ich die glücklichsten Menschen.“ „Und dann?“ „Dann haben wir uns kennengelernt.“
Es ist auffallend und nicht leicht zu verstehen, warum eine solche Verkürzung zum Witz gehört. Warum muß derjenige, der den Witz macht, sich so sparsam ausdrücken – und warum kann der Witzhörer nur lachen, wenn er eine Bemerkung hört, die er selbst erst vervollständigen muß? Damit sind wir zum ersten Mal an ein zentrales Problem der Witztheorie geraten. Fragen wir uns zunächst: Wie entsteht der Witz spontan im Kopf dessen, der eine witzige Bemerkung macht? Wenn zum Beispiel der Chef fragt: „Ist eigentlich auf unsere letzte Mahnung etwas von Schulz und Krause eingegangen?“ und der weibliche Lehrling antwortet: „Ja, die ganze Firma.“ Was ist da passiert?
Freud hat eine glänzende Beschreibung davon gegeben; wer auch nur einmal selbst einen spontanen Witz gemacht hat, wird sich darin wiederfinden können. „Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten Einfalls. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird … Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit einer Einkleidung.“ Zwei Ideen werden gemischt, verdichtet und explodieren.
Der Witz komme (anders als Humor und Komik) aus dem Unbewußten, meint Freud. Übrigens hat Freud gerade das nicht als erster gesagt; dafür konnte er sich auf den Münchner Psychologen Theodor Lipps berufen, den er auch sonst anerkennend rühmt.
„Sag mal, kennst du den Mike?“ „Klar, dem hab’ ich doch gerade fünfzig Mark geliehen.“ „So? Ich dachte, du kennst ihn.“
Einen Witz „macht“ man eigentlich nicht, er geschieht. Freud sagte, man lasse den Grundgedanken fallen, „der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten auftaucht“. Sein Schüler Theodor Reik verglich die Witzbildung mit „der Durchfahrt eines Eisenbahnzuges durch einen Tunnel“. Nach Arthur Koestler entsteht der Witz, „indem man sozusagen ‚wegdenkt’ und die Aufmerksamkeit auf einen Grundzug der Situation verschiebt, den man früher ignoriert hat.“ Als bescheidenes Beispiel mag dies gelten: Zu Beginn der Hitlerzeit trifft Parteigenosse Müller seinen alten Nachbarn Kohn und sagt neckend: „Heil Hitler!“ Antwortet Kohn: „Bin ich Psychiater?“
Die Annahme eines Unbewußten, die uns heute so selbstverständlich ist, war zu Freuds Zeiten noch heftig umstritten. Volkes Stimme meldete sich in einem Buch über den Witz, das 1920 erschien und an dem nur der Name des Autors originell ist: Sophus Hochfeld. Dieser deutsch denkende Mann meinte, ein Unbewußtes brauche er nicht. „Ich sehe z.B. eine Diakonisse daherkommen“, erzählt er, „und wehre dem Lamento meines Begleiters über den mühseligen Beruf der alleinstehenden Frau mit dem Worten: ‚Aber, was willst du? Sie ist ja unter die Haube gekommen.’ Anlaß zum Witz wurde die blendend weiße Haube auf dem Köpfchen der Samariterin.“ Stolz fügt Sophus Hochfeld hinzu: „Ich brauche wirklich nicht ins Unbewußte zu tauchen.“
Nein, dazu wirklich nicht.
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 33/1984 (10. August 1984)
[Fortsetzung folgt]