Der Witzableiter (12): Absurde Zumutungen ganz logisch

Fortsetzung von: (11): Das komische Ende von der Wende

Die nächsten Witze in Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschienen, drehen sich um das Absurde. Philosophisch eingebend von Albert Camus abgehandelt operieren manche Witze bewusst mit dem Absurden. Besonders im jüdischen Witz stoßen wir auf Absurditäten, also Surrealitäten, die scheinbar den Alltag auf den Kopf stellen.

Die Kuh ist krank. Der Bauer stellt sich vor sie, reißt ihr das Maul auf und sagt zu seiner Frau: „Heb du mal den Schwanz hoch und probier mal, ob du mich sehen kannst.“ „Nein.“ „Dann ist es Darmverschlingung.“ Damit haben wir, sie merken es, abgehoben und die Realität für heute weit unter uns gelassen. Das Absurde ist nicht jedermanns Geschmack, aber es ist witzig.

Zwei Tropenforscher sprechen über einen dritten. „Ich verstehe nicht, wieso der ohne Moskitonetz schlafen kann.“ „Das ist ganz einfach. In der ersten Hälfte der Nacht ist er so besoffen, daß er die Stiche nicht spürt. Und in der zweiten Hälfte sind die Moskitos so besoffen, daß sie nicht mehr stechen können.“ Ein bißchen Unsinn muß sein. Schon Urvater Kant pflegte nachsichtig zu sagen: „Es muß in allem, was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein.“ Und er setzte mahnend hinzu: „Woran der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann.“

Der Patient klagt über Potenzschwierigkeiten. Der Arzt greift zu einem Phosphor-Präparat. „Damit wir uns richtige verstehen, Herr Doktor“, meint der Patient, „leuchten soll er nicht.“

Das Bedürfnis nach Absurdität hat sich bei den Witzkonsumenten wohl allmählich gesteigert. Besonders groß war es nach dem Zweiten Weltkrieg, da waren die surrealistischen Witze Mode, in denen meist ein Zebra eine Bar betrat. Etwa so: In ein Lokal kommt ein Mann, bestellt einen Kaffee. Er trinkt ihn aus, ißt die Untertasse auf, ißt die Tasse auf und legt den Henkel beiseite. Dann zahlt er den Kaffee und das Geschirr und geht. Langsam löst sich die Erstarrung der Gäste, und einer fragt den Ober: „Sagen Sie mal, verstehen Sie das?“ Der Ober antwortet: „Nein, wo doch die Henkel das Beste sind.“

Das war damals ein Klassiker unter den surrealistischen Witzen. Der Mode entsprechend, wurde er 1952 von dem jungen Göttinger Soziologen Hans Paul Bahrdt in der Universitätszeitung existentialisch gedeutet: Hier erscheine eine „unverstehbare Welt“, und dadurch sei „der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Als nunmehr Unbehauster wird er eigentlich“. Heute sieht man das wohl bedeutend lockerer, denke ich. Gast in einer ländlichen Wirtschaft: „Was war denn das gestern abend für ein Hahn, den ich gegessen habe?“ „Wieso?“ „Er ist mir nicht gut bekommen. Heute nacht bin ich um vier Uhr aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen.“ Der Wirt bekommt feuchte Augen. „Um vier? Ja, ja, das war immer seine Zeit.“ Und doch gilt manches noch heute, was der Soziologe Bardt damals schrieb, etwa dies: „Jeder Witz eröffnet in der Pointe einen neuen Horizont mit einer neuen Bedeutung und lädt den Zuhörer ein, sich diesen Horizont anzueignen.“ Also gehen wir ruhig auf das Angebot ein und erweitern wir spielerisch unseren Horizont.

Witzableiter (12)

„Wissen Sie, wer da die hohen Absätze erfunden hat?“ „Nein.“ „Das war eine Frau, die immer nur auf die Stirn geküßt wurde.“ Und weil wir gerade beim Küssen sind, gleich noch ein Beispiel dazu, damit Sie merken, daß sich Absurdität nicht nur mit Tiergeschichten erreichen läßt.

Geflüstertes Gespräch zwischen zwei Juden in der Bahn. „Jossel, ist die Dame neben dir deine Frau?“ „Ja, ist sie.“ „Jossel, was machst du dich lächerlich und schleppst dieses Munuwel (Scheusal) mit auf eine Geschäftsreise?“ „Ach, ich konnte mich nur nicht entschließen, sie zum Abschied zu küssen.“ Der jüdische Witz hat auch auf diesem Gebiet die leiseren Mittel. Die Absurdität erreicht psychologische Tiefen. Oder logische, wie hier:

Moritz kommt zu spät in die Schule. „Herr Lehrer, es ist so ein Glatteis draußen, daß ich bei jedem Schritt vorwärts zwei zurückgerutscht bin.“ Lehrer, skeptisch: „Ja, wieso bist du dann hier?“ „Ich hab mich umgedreht und bin heimwärts gegangen.“

Der nicht-jüdische Witz hingegen hebt ruckartig vom Boden der Tatsachen ab, erreicht dann aber den gleichen Grad an Verrücktheit. Der Oberarzt stürzt in die Leichenhalle. „Gute Nachricht für Sie, Herr Müller“, ruft er, „nicht Ihr Puls ist stehengeblieben – nur meine Uhr!“ Eine Zumutung, finde ich, sind solche Witze doch manchmal. Erweiterung des Horizonts hin oder her – immer mag man das auch nicht. Vielleicht bricht der Horizont auch nur zu plötzlich auf. Darum kehre ich noch einmal zurück in die stillere Weisheit des Judentums mit seiner bizarren Logik.

Die Geschichte vom Blinden und dem Schwan war ein Klassiker, ihre Pointe sprichwörtlich. Zwei Juden sitzen im Restaurant, einer der beiden ist blind. „Willst du ein Glas Milch?“ fragt der Sehende. „Beschreib mir doch einmal die Milch“, bittet der Blinde. „Milch ist eine weiße Flüssigkeit.“ „Schön. Und was ist weiß?“ „Nu – weiß ist zum Beispiel ein Schwan.“ „Aha, und was ist ein Schwan?“ „Ein Schwan? Das ist ein Vogel mit einem langen krummen Hals.“ „Gut, aber was ist krumm?“ „Krumm? Ich werde meinen Arm biegen und du wirst ihn abgreifen. Dann wirst du wissen, was krumm heißt.“ Der Blinde tastet sorgfältig den aufwärts gebogenen Arm des anderen ab und sagt dann verklärt: „ So, endlich weiß ich, wie Milch ist.“

Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 39/1984

[Fortsetzung folgt]

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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