Elias Canetti: Das Augenspiel

Mit Die gerettete Zunge, dem ersten Band seiner Autobiografie, erfahren wir aus der Kindes- und Jugendzeit von Elias Canetti. „Die Fackel im Ohr“ (Lebensgeschichte 1921 – 1931) setzt die Autobiographie fort. Die Familie verbringt die Zeit nach dem ersten Weltkrieg in Frankfurt, um dann nach Wien umzuziehen. Hier lernt der junge Elias zum ersten Mal Karl Kraus kennen, einen Sprachkritiker, der seine Zuhörer unglaublich in seinen Bann ziehen konnte. Gerade diese frühen Vorlesungen von Karl Kraus und seine Zeitschrift „Die Fackel“ sind es, die die späteren Werke von Elias Canetti prägen werden. Im Jahre 1928 zieht es Canetti nach Berlin, wo er zum ersten Mal schriftstellerisch tätig ist und die Bekanntschaft u.a. mit Bertolt Brecht macht. Die Beschreibung der Berliner Intellektuellen am Ende der zwanziger Jahre ist ein besonders interessantes Kapitel in diesem Teil von Canettis Autobiographie. Aber auch die folgenden Jahre während des Studiums wieder in Wien zeigen auf interessante Weise, wie sich Canetti schon als junger Mensch mit Werken auseinandersetzte, die er später tatsächlich verfasst hat.

„Das Augenspiel“ ist der dritte und letzte Teil seiner Lebensgeschichte und führt uns in die Jahre 1931 – 1937. Es sind die weiteren Jahre in Wien, in denen er viele Kontakte mit Intellektuellen pflegte. 1930/31 schrieb Canetti an seinem Roman „Die Blendung“, ein Jahr darauf entstand das Drama „Hochzeit“, ein weiteres Jahr später „Die Komödie der Eitelkeit“. Alle drei Werke blieben zunächst unveröffentlicht.

Elias Canetti

Durch Lesungen aus dem Roman und den Dramen lernte Canetti allerdings zahlreiche Künstler und Intellektuelle kennen, darunter den Bildhauer Fritz Wotruba, der einer seiner engsten Freunde wurde, die Künstlerin Anna Mahler (in die Canetti sich unglücklich verliebte) und deren Mutter Alma Mahler-Werfel, über die sich Canetti nur abfällig äußert (die zerflossene Alte auf dem Sofa, die strotzende Witwe), den Gelehrten Abraham Sonne („Dr. Sonne“, später Avraham Ben Yitzhak), den Schriftsteller Hermann Broch, den Komponisten Alban Berg, den Dirigenten Hermann Scherchen und den Schriftsteller Robert Musil. Seine zunehmende Bekanntheit ermöglichte es Canetti schließlich sogar, Die Blendung zu veröffentlichen.

Zu Musil äußert sich Canetti wie folgt in dem Buch:

Musil beim Sprechen zuzuhören war eine Erfahrung besonderer Art. Er hatte keine Allüren. Er war zu sehr er selbst, um je an einen Schauspieler zu erinnern. Ich habe von keinem Menschen gehört, der ihn je bei einer Rolle ertappt hätte. Er sprach ziemlich rasch, aber er überstürzte sich nie. Es war seiner Rede nicht anzumerken, daß ihn mehrere Gedanken zugleich bedrängten: bevor er sie vorbrachte, legte er sie auseinander. Er herrschte eine bestechende Ordnung in allem, was er sagte. Für den Rausch der Inspiration, mit dem die Expressionisten sich hauptsächlich hervortaten, bewies er Verachtung. Inspiration war ihm kostbar, um sie für Zwecke der Exhibition zu gebrauchen. Nichts ekelte ihn mehr als Werfels Schaum vor dem Mund. Musil hatte Scham und stellte Inspiration nicht zur Schau. In unerwarteten, in erstaunlichen Bildern gab er ihr plötzlich Raum, grenzte sie aber gleich wieder ein durch den klaren Gang seiner Sätze. Er war ein Gegner von Überschwemmungen in der Sprache und wenn er sich der eines anderen aussetzte, was einen wundernahm, war es, um entschlossen durch die Flut zu schwimmen und sich zu beweisen, daß immer, selbst für das Trübste, ein jenseitiges Ufer sich fände. Es war ihm wohl, wenn es etwas zu überwinden gab, aber vom Entschluß, einen Kampf aufzunehmen, ließ er sich nie etwas anmerken. Plötzlich war er sicher mitten in der Materie, den Kampf merkte man nicht, man war von der Sache gefesselt, und obwohl der Sieger gelenkig, doch unverrückbar vor einem stand, dachte man nicht mehr daran, wie sehr er es war, die Sache selbst war zu wichtig geworden. (S. 174f.)

Hier interpretiert Canetti sehr viel hinein in Musils Denken und überträgt in meinen Augen eigene Vorstellungen in die des Anderen. Wie schon im Fall Karl Kraus ist es fast maßlose Begeisterung für den Autor des Mannes ohne Eigenschaften. Es führte zu einer Art Symbiose, die sich allein Canetti zunutze macht, wenn auch zunächst nur innerlich.

Genau kann ich es nicht benennen, aber bei Elias Canetti überfällt mich beim Lesen eine Art von Ungehaben. Sicherlich kein zentraler Satz und doch für mich charakteristisch ist die Äußerung: Bilder bestimmen, was man erlebt. (S. 323). Canetti war bestimmt durch Bilder, die er immer wieder betrachtete, Goya spielte eine große Rolle, aber auch Abbildungen der Evangelisten. Er übertrug dabei die Größe anderer (wie schon im Fall Robert Musil) auf sich. Wie sonst sollten Bilder bestimmend im Leben eines Menschen werden.

Eigentlich bekannt wurde Canetti durch sein umfassendes Werk „Masse und Macht“, an dem er Jahrzehnte arbeitete und das auch dazu führte, dass er 1981 den Literaturnobelpreis erhielt. Durch die Nationalsozialisten hatte er Anschauungsmaterial genug. In diesem 3. Teil seiner Autobiografie finden wir so auch einige Sätze hierzu:

… zwischen Panik und Massenflucht unterscheiden …, da die Panik zwar ein echter Zerfall der Masse sei, daß es aber auch, wie man zum Beispiel bei Tierherden gut sehen könne, fliehende Massen gäbe, die keinesfalls zerfielen, die beisammen blieben und denen das Massengefühl, von dem sie erfüllt wären, bei der Flucht zustatten käme. … (S. 48)

Canetti – so scheint es – war nicht nur ein Forscher der Macht, sondern ein Macht-Wollender. Er galt – so dies seinen, teils erschütternden Briefen zu entnehmen ist – als schwieriger, eitler und jähzorniger Mann, gleichzeitig als egoistischer Frauenschwarm, der mit Geld nicht umgehen konnte.

Für mich war Elias Canetti ein zwiespältiger Mensch, der über die Masse schrieb und geschickt ‚die Masse’ der Intellektuellen- und Künstler-Kreise, ob nun in Berlin, Wien oder London, wo er immer wieder schnell zu einer Bekanntheit wurde, für sich zu nutzen verstand. Dieser Zwiespalt lässt sich auch in „Das Augenspiel“ zwischen den Zeilen ablesen. Er schreibt hier über andere, über viele, deren Namen erst später zu wirklichen Größen der Literatur- oder Kunstgeschichte wurden. Und er lässt dabei das Licht, das diese Gestalten aussenden, gern auch auf sich scheinen. In seiner (nachträglichen) Interpretation wird man so schnell zu einem unter Gleichen.

Das soll nicht den literarischen Wert seines Werkes schmälern. Es ist aber schon symptomatisch, wie Canetti den Lesern mit seinen drei autobiografischen Bänden vor Augen führt, in welch exklusiven Kreisen er verkehrte.

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Ein Gedanke zu „Elias Canetti: Das Augenspiel

  1. Wie Sie mit Elias Canetti verfahren, finde ich schon ganz schön happig. Immerhin handelt es sich bei ihm um einen Literaturnobelpreisträger. Und den Preis wird er nicht von ungefähr bekommen haben. Sein Werk „Masse und Macht“ ist in der Literatur wohl ohnegleichen.

    Sicherlich hat jede Privatperson so seine Macken. Aber man muss nicht auf diesen herumreiten.

    Gruß
    Walter „Brummbär“

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