Literaturnobelpreis an Herta Müller

Weihnachten 1984 bzw. zum Jahreswechsel 1984/85 und vom 16.01. bis zum 06.02.1986 war ich mit meiner Frau zweimal in Rumänien zum Winterurlaub (siehe u.a. meinen Beitrag In rumänischer ‘Gefangenschaft’). Preiswerter konnte man damals vor über zwanzig Jahren nicht Winterurlaub machen. Flug, Unterkunft und Verpflegung, einmal auch der Skikurs, alles war im Preis inbegriffen. Sicherlich ließ sich das alles nicht unbedingt mit unseren Standards vergleichen, war nicht so komfortabel wie in den Alpen, ob nun Österreich, Schweiz oder Bayern. Aber das Essen war ordentlich und das Hotelzimmer beheizt. Dafür gab es kam Gedränge auf den Pisten. Und die Landschaft war mindestens genau so schön.

Rumänien wurde damals mit eiserner Hand durch den Ceausescu-Clan regiert, der pure Stalinismus. Und obwohl das Land über reichlich Öl- und Erdgasquellen verfügte, waren Benzin, Heizöl usw. rationiert. Nicolae Ceausescu waren die Devisen wichtiger als sein Volk. Dafür hauste er im Luxus und residierte wie ein Fürst. Auch an Lebensmittel fehlte es. Wer konnte, versorgte sich selbst.

Als wir vor Weihnachten 1984 ins Land kamen, sahen wir lange Schlangen vor einem Laden, weil es einige wenige Apfelsinen zu kaufen gab. Und in einem Geschäft gab es Fisch, der in einer Gefriertruhe lagerte – Hammer und Meisel lagen dabei, da man den Fisch aus einem Eisblock herausschlagen musste. Die häufigen Stromausfälle hatten dazu geführt, dass der ganze Fisch zu einem einzigen Eisklumpen zusammenfror.

Bücher gab es viele zu kaufen. Im Schaufernster ausgelegt war die vielbändige Gesamtausgabe von Nicolae Ceausescu, dem Staatspräsidenten Rumäniens, sein gesamtes Bla-Bla. Es gab auch Bücher in Deutsch: ein Buch mit Märchen und ein technisches Wörterbuch Deutsch – Rumänisch, das wir uns kauften.

Wir hatten im Hotel Kontakte u.a. zu einer Kellnerin, einer Siebenbürger Sächsin, die uns mit Schmalzgebackenem und eingelegten Pilzen versorgte – als Gegengeschenk für Kleidung, die meine Frau ihr gegeben hatte. Uns war das eher peinlich, aber sie ließ sich partout nicht davon abbringen. Im Fahrstuhl wurden wir von einem Rumänen angesprochen, der uns unsere Jeans, am liebsten gleich auf der Stelle, abkaufen wollte. Wir waren gewarnt, darauf auf keinen Fall einzugehen. Am Ende landete man so im Gewahrsam der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst, der Stasi vergleichbar, und damit vielleicht auf Nimmerwiedersehen.

Damals oder nur kurze Zeit darauf, hörte ich zum ersten Mal den Namen Herta Müller, einer am 17. August 1953 in Nitzkydorf, Rumänien, geborenen Schriftstellerin, einer Banater Schwäbin. Ihr erstes Buch Niederungen, dessen Manuskript vor der Veröffentlichung in Rumänien über vier Jahre vom Verlag zurückgehalten wurde, konnte 1982 in Rumänien, wie alle Publikationen, nur in stark zensierter Fassung erscheinen. 1987 reiste Herta Müller mit ihrem damaligen Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, in die Bundesrepublik Deutschland aus.

„Dein Vater hat mich auch beim Kirschenpflücken im großen menschenleeren Weingarten nicht angerührt. Er stand wie ein Pfahl neben mir und spuckte ununterbrochen nasse glitschige Kirschkerne aus, und ich wußte damals, daß er mich im Leben oft verprügeln wird. Als wir zu Hause ankamen, hatten die Frauen im Dorf schon ganze Körbe voll Kuchen gebacken, Männer hatten schon ein junges schönes Rind geschlachtet. Die Klauen lagen auf dem Mist. Ich sah sie, als ich durchs Tor und in den Hof trat… Ich wollte damals sagen, ich will nicht heiraten, aber ich sah das geschlachtete Rind, und Großvater hätte mich umgebracht.“

Die Mutter kann aus dieser Geschichte nicht lernen, sie gibt die Prügel einfach an das Kind weiter und quält es mit ihren eigenen Schreckbildern. Der rohe Vater, häufig betrunken, singt vor dem bildlos flimmernden Fernsehschirm Landserlieder, bis alle spüren, „wir ertragen die anderen und uns selber nicht, und die anderen neben uns ertragen uns auch nicht“.

Zum Kreis der Hölle gehören die allgegenwärtigen Großeltern, gefangen in Aberglauben und den Geschichten, die mit „Früher“ beginnen. Die schrullig herrschsüchtige Großmutter treibt ihre Enkelin mit Ohrfeigen in den Mittagsschlaf. Der Großvater, die Taschen voller Nägel, hat noch am ehesten freundliche Züge. Die Nachbarn sind ebenso ruinierte Leute wie die anderen Dorfbewohner, die alten Männer und noch mehr die alten Frauen – „An den Winternachmittagen sitzen sie am Fenster und stricken sich selber mit hinein in ihre Strümpfe aus kratziger Wolle, die immer länger werden und so lang sind wie der Winter selbst, die Fersen haben und Zehen und behaart sind, als könnten sie von alleine gehen.“

Nicht weniger kratzig in dieser Gespensterwelt sind die Dorfhonoratioren, der Pfarrer, der auf naive Fragen die Hände der Kinder mit dem Lineal rot schlägt, oder der Zahnarzt, der zur Demütigung seiner Patienten ihr Gebiß aus dem Fenster wirft. Ganz am Rand treten wie von fern die Vertreter der Staates auf, ein Tierarzt zum Beispiel, der gegenüber den harten Deutschen fast etwas Freundliches hat – weil er sich leicht betrügen und bestechen läßt.

Soviel zum erstes Buch Niederungen von Herta Müller. Kein Wunder: Teile der Banater Schwaben empfanden dieses Buch als „Nestbeschmutzung“.

In ihrem neuesten Roman Atemschaukel zeichnet die Autorin den Weg eines jungen Mannes in ein Deportationslager nach Russland nach, das exemplarisch für das Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen nach dem Zweiten Weltkrieg steht (Blick ins Buch Herta Müller: Atemschaukel).

In diesem Jahr nun erhielt Herta Müller den Literaturnobelpreis. Sie habe „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“ gezeichnet, hieß es in der Würdigung. Begründet wurde die Vergabe des Nobelpreises mit der Intensität der von ihr verfassten Literatur.

siehe auch zdf.de: Video Herta Müller auf dem blauen Sofa

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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