Fortsetzung von: (12): Absurde Zumutungen ganz logisch
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, erfahren wir heute etwas von der Anspielung als eine Technik des Witzes. Dabei geht es besonders um den paradoxen Widerspruch zwischen dem Gewicht einer Sache und der Verschwiegenheit, mit der sie angedeutet, also ‚angespielt’ wird.
Ein Bauer hat mit seinem Vieh Pech. Die Kühe nehmen nicht auf oder verkalben. Darum bittet er den Herrn Pfarrer, ihm doch seinen Stall auszusegnen. Der Pfarrer kommt gern und besprengt die Tiere mit Weihwasser. Nach einigen Monaten fragt der Pfarrer, ob das Aussegnen geholfen habe. „Freilich“, antwortet der Bauer, „nur hat unsere Tochter wohl auch einen Spritzer abbekommen.“
Eine Andeutung genügt, im Witz allemal. Man nennt das gewöhnlich eine Anspielung. Der Bauer hat ja auch Grund zu dieser Zurückhaltung. Je heikler eine Sache, desto dringender ist Diskretion geboten. Also greift man zu einer Anspielung.
„Na, was hat Franz-Josef gesagt, als du ihn zur Rede gestellt hast?“ „Ach, nichts weiter. Und die Schneidezähne wollte ich mir sowieso ziehen lassen.“
Wir sehen schon: nicht jede Anspielung wäre witzig. Es muß um Dinge gehen, die man nicht gern ausspricht. Als Technik ähnelt die Anspielung dem Flüstern oder den heimlichen Blicken: Was verborgen bleiben soll, wirkt umso heftiger. Der Witz macht sich diesen Widerspruch zunutze.
Als der Viertkläßler nach Hause kommt, fragt ihn die Mutter nach dem Zeugnis. „Das habe ich dem Tim mitgegeben“, sagt er, „der will damit seine Eltern erschrecken.“
Gute Gelegenheit, diese Technik anzuwenden, ergibt sich, wenn die äußeren Umstände sowieso keine offene Darstellung zulassen, wie bei dieser Geschichte aus den USA: Ein Marinesoldat schreibt während des Zweiten Weltkrieges an seine Eltern: „Ich darf nicht sagen, wo ich gerade bin, aber was ich gestern geschossen habe, war ein Eisbär.“ Einen Monat später kommt wieder ein Brief. „Ich kann nicht schreiben, wo ich gerade bin, aber gestern habe ich mit einem Hula-Mädchen getanzt.“ Zwei Wochen danach kommt ein weiterer Brief. „Ich kann nicht schreiben, wo ich gerade bin, aber der Mann im weißen Kittel sagt, ich hätte besser mit dem Eisbär getanzt und das Hula-Mädchen erschossen.“
Der Freud-Schüler Theodor Reik, der in den zwanziger Jahren als einziger die Witzforschung seines Lehrers fortsetzte, sagt zu Recht von der Technik der Anspielung: „Sie besteht in einem demonstrativen Verdecken, das die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und die Phantasie zur völligen Enthüllung reizt.“ Gerade was der Witz nicht sagt, hört man am lautesten. Das gilt auch von der unfreiwilligen Selbstentlarvung. Der Verbindungs-Student zu seinen Freunden: „Ihr seid ja ganz schön voll gewesen heute nacht. Fünfmal habt ihr mich fallen lassen.“
Eine Belastung in eigener Sache findet sich auch in diesem Witz: „Warum kommst du so spät aus dem Büro?“ „Blöder Scherz der Kollegen. Keiner hat mich geweckt.“
Wir haben ja schon manches Paradox im Witz gefunden, heute haben wir ein neues kennengelernt, nämlich den paradoxen Widerspruch zwischen dem Gewicht einer Sache und der Verschwiegenheit, mit der sie angedeutet wird. Witze mit Anspielungen zeigen dieses Paradox besonders deutlich.
Der beliebteste Schauspieler des Stadttheaters hat seine Frau verloren. Auf der Straße kondoliert ihm später ein Bewunderer und sagt: „Ich habe in der Friedhofskapelle gesehen, wie sehr Sie gelitten haben.“ „Da hätten Sie mich erst mal“, entgegnet der Mime, „am Grab erleben sollen.“
Die Schauspieler, sie sind willkommene Opfer des Witzes, weil bei ihnen (wie beim Witz) auch manches einen doppelten Boden hat. Damit auch mal ein anderer Beruf drankommt, veranschauliche ich die Technik jetzt lieber an diesem Beispiel. Ein Pfarrer besteigt die Kanzel und beginnt mit den Worten: „Liebe Gemeinde, die Predigt fällt heute aus, denn ich habe euch etwas zu sagen.“
Meist behandele ich, wie Sie wissen, die Technik eines Witzes, hier etwa die Anspielung. Aber Ihnen ist natürlich auch längst klar, daß die Gefühle, die von dieser Technik ausgelöst werden, das Entscheidende sind. Peinlichkeiten, Aggressionen – oder Bosheiten wie hier: Ein junger Mann will frühmorgens im See baden, splitternackt. Da warnt ihn ein Angler: „An ihrer Stelle würde ich was anziehen, die Fische schnappen hier schon nach dem kleinsten Wurm.“
Ich merke, daß ich Ihnen hauptsächlich Beispiele erzählt habe, in denen die Akteure eine absichtliche Anspielung machen. Es muß aber nicht immer so sein. Der Witzhörer bekommt auch dann eine Anspielung, wenn sie im Witz unfreiwillig passiert ist. Etwa hier: „Du Mutti, heute hat mich die Lehrerin gefragt, ob ich noch Geschwister habe. Ich habe nein gesagt.“ „Und was hat die Lehrerin dazu gesagt?“ „Gott sei Dank.“
Ob Absicht oder nicht, das kann auch in der Schwebe bleiben, etwa wenn der Patient sagt „Herr Doktor, ich bin schizophren“, und der Arzt antwortet: „Prima, dann sind wir ja schon zu viert!“
Bosheiten sind zwar auch willkommen wie die des Chefs, der zu seinen Angestellten sagte: „Ich überreiche Ihnen Ihr Gehalt am besten in einer Geschenkpackung.“
Aber es geht auch netter. So werden wir zum Schluß versöhnlich. Es läutet, Mike macht auf. Seine Freundin steht vor der Tür. „Ich komme gerade von der Untersuchung beim Frauenarzt“, sagt sie, „willst du uns nicht reinlassen?“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 40/1984
[Fortsetzung folgt]