Im Gemeindeblatt unserer Evangelisch-lutherischen Johannesgemeinde in Tostedt schrieb Pastor Gerald Meier zum Thema: „Geld und Glaube“ einen Beitrag: Haben oder Sein – Der Mensch zwischen zwei Existenzweisen. Grundlage seiner literarische Erkundung war das Buch Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft – Stuttgart – Deutsche Verlags-Anstalt 1979 (1976) von Erich Fromm.
Gerald Meier schreibt: Zunächst war ich überrascht, wie aktuell dieses Buch auch nach über 30 Jahren noch ist, denn schon damals waren die globalen Probleme erkannt, die sich nunmehr dramatisch zugespitzt haben: die zunehmende Aufspaltung der Völker in arm und Reich, der Klimawandel und der drohende Kampf um sich verringernde Rohstoffe. All diese Probleme sieht Erich Fromm letztlich begründet in der Ausrichtung des modernen Menschen auf die Existenzweise des Habens. Dieser gegenüber stellt er die Existenzweise des Seins, die er weitestgehend auch in der christlichen Tradition verkündet sieht.
Die Existenzweise des Habens ist nach Fromm die vorherrschende Form menschlichen Erlebens geworden. Sie beruht auf der Unsicherheit und Unverfügbarkeit allen Lebens und strebt durch die Aneignung materieller Dinge Sicherheit, Überlegenheit und Macht an, um der Unsicherheit zu entgehen. …
Ein Leben nach den Prinzipien des Seins verspricht eine ganz andere innere Ausrichtung. Sich richtet sich nicht lebenszerstörend am Status des Habens und Besitzens aus, sondern vorrangig an lebendigen Beziehungen. „Sein bezieht sich auf Erlebnisse“ und will die „Schranken des Getrenntseins“ überwinden. … Der Mensch … kann zum Wohl anderer handeln, wenn er erkannt hat, dass auch sein individuelles Wohlergehen vom Ergehen der Gemeinschaft abhängt.
Mit Erich Fromm habe ich mich selbst ausführlicher beschäftigt. Sein Buch „Haben oder Sein“ las ich vor dreißig Jahren zum ersten Mal. Erich Fromm bekanntestes Buch ist ohne Zweifel Die Kunst des Liebens. Allein die Veröffentlichung dieses kleinen Büchleins 1956 sorgte nicht nur in der Fachwelt für Aufsehen, sondern erreichte bis heute weltweit eine Auflage von über 25 Mio. und war z.B. in Deutschland (in den 80-er Jahren) Monate lang auf der Bestsellerliste.
Sehr aufschlussreich ist auch seine Anatomie der menschlichen Destruktivität. In den 70-er Jahren hatte sich Fromm aus psychoanalytische Sicht mit den Managern des Todes (Hitler und Heinrich Himmler) eingehend beschäftigt (siehe meinen Beitrag: Bestie Mensch).
Haben und Sein ist eine empirische psychologische und soziologische Analyse der Existenzweisen (sowohl individuell als auch gesellschaftlich) des Habens und des Seins und führt Ansätze von Fromms früheren Arbeiten fort. Es ist im humanistischen Geist geschrieben und stellenweise – verfasst ein Jahrzehnt vor Glasnost und Perestroika – vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und insbesondere der Gefahr eines Atomkrieges (Kubakrise etc.) zu verstehen. Ersetzt man die von Fromm verwendeten und für die damalige Zeit aktuellen maschinenfixierten Beispiele durch computerfixierte, so ist das Werk zum größten Teil noch immer hochaktuell.
Die These dieses wichtigen Buches ist, dass zwei Arten der Existenz um die Seele des Menschen streiten: Der Modus des Habens, der sich auf materiellen Besitz konzentriert, auf Gewinnsucht, Macht, Aggression und der Gier, Neid und Gewalt verursacht; und der Modus des Seins, der sich auf Liebe gründet, auf die Lust zu teilen und sich in wesentlicher, nicht verschwenderischer, sondern schöpferischer Tätigkeit ausdrückt. Fromm stellt fest, dass der Habenmodus mit seiner aggressiven, espansionistischen Wachstumsmoral seit dem Mittelalter das Übergewicht hat und jetzt die Welt an den Abgrund des psychologischen und ökonomischen Ruins bringt. In diesem Buch entwirft er das Programm eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels, den Gegenkurs zu der Fahrt in die Katastrophe. Seine Hoffnung setzt er darauf, dass viele Züge des Seinsmodus fortleben und die Menschen zunehmend der Leere ihres aufs Haben gerichteten Lebens gewahr werden und eine Welt ersehnen, die sie für kaum erreichbar halten, eine Welt der Liebe und Teilnahme.
Eigentlich sollte man dieses Buch jedem angehenden Banker und Industriemanager zur Pflichtlektüre machen. Auch wenn die meisten von diesen nur ein müdes Lächeln zeigen werden, so wäre es schon als Erfolg zu werten, wenn wenigstens der eine oder andere von ihnen etwas nachdenklicher würde.
„Eigentlich sollte man dieses Buch jedem angehenden Banker und Industriemanager zur Pflichtlektüre machen. Auch wenn die meisten von diesen nur ein müdes Lächeln zeigen werden, so wäre es schon als Erfolg zu werten, wenn wenigstens der eine oder andere von ihnen etwas nachdenklicher würde.“
Es sollte jedem Menschen zur Pflichtlektüre gemacht werden, denn für diese Welt sind nicht die Banker und auch nicht die Industriemanager verantwortlich, sondern wir alle! Wir hätten es in der Hand eine andere Gesellschaft zu gestalten, aber wir übertragen die Gestaltung immer anderen, mit unseren Forderungen! Würden wir andere Forderungen akzeptieren, wenn wir gestalten würden?