Fortsetzung von: (14): Pointen, die sich verdrückt haben
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es in der heutigen Folge um das Missverständnis, die Mutter vieler Witze. Es ist das klassische Muster, das uns aufzeigt, wie Witze aufgebaut sind.
Bei der Zimmerwirtin klingelt ein junger Mann und sagt: „Ich möchte zur Gabi.“ Die Wirtin: „Die ist ausgezogen!“ „Das macht nichts“, sagt der junge Mann, „ich kenne sie gut.“ Das war wohl ein Mißverständnis. Alle Witze, die ich Ihnen heute biete, sind Mißverständnisse. Davon gibt es Tausende. Man darf wohl sagen: Der typische Witz ist einfach ein Mißverständnis.
„Anna, wenn Sie heute abend den Kalbskopf servieren, stecken Sie eine Zitrone ins Maul und Petersilie in die Ohren.“ „Mein Gott, gnädige Frau, wie werd ich denn dann aussehen?“ Ein wenig haben wir diese Technik schon früher einmal, nämlich beim unfreiwilligen Humor, kennengelernt. Da versteht auch manch einer falsch. So auch hier: „Bringen Sie mir Karpfen“, sagt Graf Bobby zum Ober. „Der Karpfen ist gestrichen.“ „Interessant, in welcher Farbe denn?“
Diese Technik bietet das klassische Muster eines Witzes: Es gibt zwei Bedeutungen, die sich beißen, und wir als Witzhörer sind die lachenden Dritten, die sich über das Malheur amüsieren können. Sollten wir nicht bei diesem klassischen Muster am leichtesten erkennen können, wie Witze überhaupt gebaut sind?
Offenbar gehören zwei Bedeutungen oder Gedanken zu den unentbehrlichen Zutaten. Gewöhnlich hat man vom Kontrast gesprochen. „Wie geht es Ihnen, Herr Schmidt?“ „Ach, danke, es geht noch – einmal die Woche.“ „Ich meine, wie geht es zu Hause?“ „Zu Hause geht es gar nicht mehr.“ Da reden zwei aneinander vorbei. Halten wir also das Stichwort Kontrast fest. Aber wie muß er beschaffen sein, um komisch zu wirken? Da hat es viele Meinungen gegeben. Es sei der Übergang von etwas Großem zu etwas Kleinem, meinten einige Witzforscher. Der Münchner Philosoph Theodor Lipps meinte 1898 entdeckt zu haben, es handele sich immer um den Kontrast „der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“.
Ein Mann kommt in das Behandlungszimmer und nimmt seine Brille ab. „Na, wo fehlt ’s denn“; fragt der Augenarzt, „ist die Alte nicht mehr scharf genug?“ „Das geht Sie überhaupt nichts an“, knurrt der Patient, „ich brauch ’ne neue Brille!“ Sollte es hier wirklich um Bedeutung und Bedeutungslosigkeit gehen?
Der amerikanische Psychologe John M. Willmann schrieb 1940, es sei der Kontrast zwischen einer schockierenden und einer erfreulichen Sache. Das könnte schon eher zutreffen, etwa hier: Der kleine Xaver zieht mit der Kuh am Strick durchs Dorf. „Wo willst du denn hin damit?“ erkundigt sich der Pfarrer. „Ich muß die Kuh zum Stier zum Decken bringen“, sagt er. „Kann das denn nicht dein Vater machen,“ fragt der Pfarrer besorgt. „Nein, das muß schon ein richtiger Stier machen.“
Schock und Erfreuliches? Ich glaube eher, das Vergnügen liegt in uns und nicht in den dargestellten Dingen. Es hat viele Theorien gegeben, nur eine hat mir ganz eingeleuchtet. Sie stammt von Emil Kraepelin, der mit kaum dreißig Jahren eine große Abhandlung über das Komische schrieb (1885) und der später ein Begründer der modernen Psychiatrie wurde. Er ist damit ein Gegenspieler von Sigmund Freud geworden, dessen Jahrgangsgenosse er war (beide wurden 1856 geboren und beide haben über den Witz geschrieben). Bevor ich Ihnen sage, wie Kraepelin den Kontrast definiert hat, hier noch ein Beispiel, das wenigstens thematisch paßt:
„Ich träume immer wieder vom Gefängnis oder vom Friedhof.“ „Waren Sie schon einmal in einer Nervenklinik?“ „Noch nie – immer Gefängnis oder Friedhof.“
Komisch wirke, meinte Kraepelin, der „unerwartete intellektuelle Kontrast, der in uns einen Widerstreit der Gefühle erweckt.“ Das ist es! Auf die Gefühle kommt es an. Den Kontrast selbst versucht Kraepelin klugerweise erst gar nicht zu definieren.
Zwei Nachbarinnen unterhalten sich. „Mein Mann ist heute zum Zeugen geladen worden.“ „Ach, das ist überhaupt eine Idee! Meinen sollte ich auch mal laden lassen!“ Das war wieder etwas unpassend, aber immerhin, Gefühle weckt es. Kraepelin, dessen Theorie übrigens allgemein abgelehnt wurde (auch von Lipps und Freud), meinte etwas derb müsse es schon zugehen: komisch wirke gerade „die gewaltsame Vereinigung recht disparater Vorstellungen“. Zwei Herren kommen in der Bar ins Gespräch. „Wissen Sie, ich hatte mit meiner Frau vor der Ehe gar nichts. Und Sie?“ Der andere überlegt. „Keine Ahnung“, sagt er dann, „wie war denn ihr Mädchenname?“
Ich glaube, mehr ist nicht zu sagen als dies: ein Kontrast, der unsere Gefühle hervorruft. Vater zum Sohn: „Für so ein schlechtes Zeugnis müßte es eigentlich Prügel geben!“ „Genau“, sagt der Junge, „ich weiß auch wo der Lehrer wohnt“.
Etwas anders als Kraepelin hat es Arthur Koestler gesagt, der meinte, zum Kontrast müsse noch „ein Tropfen Adrenalin“ hinzukommen. Damit die Gefühle aufwallen.
Der junge Mann zum Vater seiner Auserwählten: „Ich möchte Ihre Tochter heiraten.“ „Waren Sie schon bei meiner Frau?“ „Nein, aber offen gestanden, ich möchte lieber Ihre Tochter heiraten.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 42/1984
[Fortsetzung folgt]