Fortsetzung von: (18): Den können Sie echt vergessen
Im heutigen Teil (und auch im nächsten) der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es um Sexwitze, also um die Anzüglichkeiten, die gern die Herren der Schöpfung hinter vorgehaltener Hand erzählen, um dann lauthals in Gelächter auszubrechen. Der heutige Beitrag zeugt von einer gewissen Prüderie, die für das Jahr 1984 sicherlich noch typisch war.
Aus dem Brief eines Logierbesuchs: „Ich danke Ihnen sehr, liebe gnädige Frau, daß ich wieder in ihrer Mitte haben weilen dürfen.“ Ja, ich gestehe es gleich nach dieser Kostprobe, heute und das nächste Mal will ich mich den Sexwitzen zuwenden. Sie sind, meist von Männern gemacht, oft aggressiv und kränken Frauen. Für die Männer sieht die Sache etwas anders aus. Die drücken mit solchen Witzen zweierlei aus: ihre Gier nach dem weiblichen Geschlecht und zugleich ihren Haß und ihre Angst, zu versagen.
Claudia hat ein neues Kleid. Es ist schön, es sitzt phantastisch und ist auch noch selbstgemacht. Sebastian ist hingerissen. Abends bei ihr zu Hause sagt er: „Wir haben uns nun ausgiebig über das Kleid unterhalten, beim Essen, in der Theaterpause und dann auf der Fahrt hierher. Wollen wir das Gesprächsthema jetzt nicht endlich einmal fallen lassen?“
Mit dieser Art Witze habe auch ich meine Schwierigkeiten, darum habe ich andere Leute zu Rate gezogen, welche Beispiele ich überhaupt wählen soll. Die Meinungen gingen weit auseinander, auch zwischen Frauen. Wo für die einen Angst und Abscheu überwogen, dominierte bei den anderen Testlesern noch Freude und Lust.
Die junge Schauspielerin hat in ihrer ersten Rolle nur einen Satz zu sagen. Sie muß den eintretenden Diener unwillig fragen: „Was willst du schon wieder?“ Bei der Premiere hat sie einen unerwarteten Erfolg, als sie im Lampenfieber sagt: „Was, willst du schon wieder?“
Gerade Sex-Witze jedenfalls wecken durchaus unvereinbare Gefühle, die – wie Anziehung und Abstoßung – in uns heftig konkurrieren.
Der Frauenheld des Dorfes steht wegen eines Vaterschaftsprozesses vor Gericht. Die Resi ist als Zeugin geladen, ihre Freundin Zensi ist mitgegangen und wird vom Richter gefragt: „Hast du denn auch eine Ladung bekommen?“ „Nein“, antwortet sie, „mich hat er nur geküßt.“
Was passiert mit unseren Gefühlen , wenn ein Witz bei uns wirkt? Vor drei Wochen (Witzableiter 16) habe ich über das Lachen geschrieben und dabei habe ich Ihnen erzählt, daß viele Psychologen hier Herbert Spencers These von 1860 folgen. Er meinte, im Lachen reagierten wir den kleinen Schrecken ab, den uns der Witz einjage. Die psychische Energie, vom Alarm mobilisiert, werde, weil überflüssig, abgeführt.
Mißmutig sagt der Ehemann zu seiner Frau: „Manche Frauen können eben anziehen, was sie wollen, ihnen steht einfach nichts.“ Da gibt sie zurück: „Manche Männer können ausziehen, was sie wollen – da ist es genauso.“ (Immerhin ein Witz, bei dem die Frau Siegerin bleibt.)
Von einer „Abfuhr“ spricht auch Sigmund Freud. Aber für ihn fließt im Witz kein Schrecken ab, sondern im Gegenteil die aufgestaute Lust. Das ist nun etwas ganz anderes, leuchtet uns aber ebenfalls ein. Der verdrängte Trieb wird befreit und abgeführt. Was mir an beiden Abfuhr-Modellen von Spencer und Freud jedoch nicht ganz behagt, ist, daß der Ausdruck „Abfuhr“ nicht recht erklären kann, warum im Lachen die Gefühle zunächst einmal hochschießen, ehe sie allmählich abflauen.
„Heute nacht habe ich wunderschön von Ihnen geträumt“, sagt der Abteilungsleiter zu der neuen Kollegin. „O“, sagt sie kühl, „haben Sie?“ „Nein“, meint er bedauernd, „ich bin vorher aufgewacht.“
Um das Hochschießen der Gefühle erklären zu können, sollte man Spencer und Freud kombinieren. Ich meine, der Witz weckt sowohl Angst wie Lust. Beides! Nur weil er beide Gefühle, die sich gewöhnlich gegenseitig blockieren, zugleich weckt, kommt es zu diesem explosiven Aufschaukeln.
Angst und Lust jagen sich gegenseitig hoch. Zwischen ihnen entsteht eine „positive Rückkopplung“. Diesen Begriff übernehme ich aus der Systemtheorie und der Nachrichtentechnik. Gemeint ist damit die Rückwirkung der Ausgangs- auf die Eingangsgröße eines Systems. In der Elektroakustik kommt es dann zu den bekannten Pfeifgeräuschen. Man spricht hier auch so schön anschaulich von „Entdämpfung“ und sogar von „Selbsterregung“. (Ich glaube, mein Schwein pfeift.)
Der geschiedene Ehemann hat sich den Arm gebrochen. In seiner Not bittet er seine ehemalige Frau um Hilfe. Sie ist auch bereit, ihm in der Badewanne den Rücken einzuseifen. Als sich bei ihm etwas regt, ruft sie: „Ist das nicht süß? Er kennt mich noch.“
Etwas gewagt, aber doch ganz erwünscht. Eben Angst und Freude zugleich. Der amerikanische Psychologe John H. Willmann, den ich schon einmal erwähnt habe, hat im Jahre 1940 erklären wollen, warum sich im Witz die Gefühle Angst und Freude verstärken und nicht hemmen. Er hat sich dafür auf den russischen Physiologen Iwan Pawlow (den mit dem Hund) berufen, der das „Prinzip der positiven Induktion“ eingeführt hat. Das würde man heute als „positive Rückkopplung“ bezeichnen. Da sehen Sie es – fast alle guten Ideen waren schon mal da.
Ein Zebra besucht eine Farm in Afrika. Lang sieht es sich die Hühner an und fragt dann: „Wozu seid ihr da?“ „Wir legen Eier für die Menschen“, sagen sie. Das Zebra kommt in den Kuhstall und fragt die Kühe dasselbe. „Wir geben Milch für die Menschen“ ist die Antwort. Im nächsten Stall fragt das Zebra: „Und wer bis du?“ „Ich bin der Stier.“ „Und was machst du?“ „Zieh deinen Pyjama aus, dann zeig ich’s dir!“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 46/1984
[Fortsetzung folgt]