In der Stilistikstunde hat sie gelernt: Einen hinter die Binde gießen. HK hat erklärt, daß diese Redensart aus den 20er Jahren stammt. Genau so wie Ausgerechnet Bananen. Genau so wie Du kriegst die Tür nicht zu. Genau so wie Einen über den Durst trinken. ER flicht ein: Eins. HK besteht ganz hart darauf, daß es heiße: Einen über den Durst trinken. Und fährt fort mit Beispielen wie Au Backe, Weg vom Fenster.
aus Martin Walser: Leben und Schreiben: Tagebücher 1963-1973
Tagebuch 1973, Seite 613 – Rowohlt Taschenbuch Verlag, Februar 2009
ER ist Walser selbst, HK einer der Professoren des Middlebury College in Vermont, wo Martin Walser 1973 als Gastdozent tätig war. Wer sich mit Sprache und wer sich mit Literatur beschäftigt, kommt an Redensarten nicht vorbei. Will man eine Fremdsprache möglichst gut beherrschen, so muss man besonders ihre Redensarten kennen.
Martin Walser beschreibt hier eine Szene während eines Deutsch-Seminars. Selbst hat er immer wieder seinen Protagonisten solche Redensarten in den Mund gelegt. In seinem Roman Halbzeit lässt er den Gehilfe eines Friseurs immer wieder „Ausgerechnet Bananen“ sagen, eine Redensart, die Unmut kund tun soll, also ein Ausdruck von Enttäuschung ist. Eigentlich lässt sich hiermit aber auch alles andere, also nichts Bestimmtes sagen.
Dieser Ausspruch stammt aus einem Schlager aus den 20er Jahren. Dort heißt es im Refrain: Ausgerechnet Bananen, Bananen verlangt sie von mir. Im Original heißt das übrigens: Yes! We have no bananas, We have no bananas today. Das Lied entstammt aus einer Broadway-Revue aus dem Jahre 1922. Die deutsche Version „Ausgerechnet Bananen“ findet sich dann in Billy Wilders 1961 gedrehter Filmkomödie One, Two, Three (dt. Eins, Zwei, Drei) noch einmal.
Walser hat sich öfter mit Redensarten beschäftigt. Es hat das ebenfalls in seinem Roman „Halbzeit“ 1960 am Beispiel des Modeworts „Pattern“ sehr schön beschrieben, wie eine solche Redensart zustande kommen kann. Ganz einfach: Einer „erfindet“ sie, ganz zufällig, und die anderen plappern sie nach….“: „Pattern war um Weihnachten herum aufgetaucht. Edmund brachte immer Wörter, um die man ihn beneidete, weil diese Wörter einem sofort als unersetzlich erschienen. Man glaubte, es habe immer schon ein Bedürfnis gerade nach diesen Wörtern bestanden. Wenn Edmund auf einen Teppich zeigte und fragte: wie gefällt dir dieses Pattern? dann wagte man kaum mehr an Muster zu denken …“
Aber, um bei Martin Walser zu bleiben, er hat auch selbst Redensarten geprägt. Für Walser setzt jemand die Moralkeule ein, der Moral als Waffe benutzt, z.B. bei einer Diskussion moralisch-sittlich argumentiert, um den Gegner zu diskreditieren.
Die Liste, allein mit Beispielen anhand des Schriftstellers Martin Walser, ließe sich beliebig verlängern. So am Schluss dann noch folgendes interessante Beispiel aus Walsers Buch „Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe“ (Düsseldorf 1971, Reinbek bei Hamburg, 1981 – S. 7-12, hier S. 9), wo er in sieben mehrseitigen „Szenen“ die Brutalität zwischenmenschlicher Beziehungen durch Dutzende von zeichenhaften Phraseologismen anprangert (aus dem Text „Kampf mit einem Überlegenen, der nichts hört“):
Menschenskind, Ihnen ist wirklich nicht mehr zu helfen. Sie sollen mich mal von der anderen Seite kennenlernen. Und nicht zu knapp. Ihnen werde ich mal zeigen, was ne Harke ist. Sie haben bei mir verschissen bis in die Steinzeit. Daß das klar ist. Sie mach ich ja so zur Sau. Sie werden sich wundern. Ihnen wird Hören und Sehen vergehen, das versprech ich Ihnen. Sie werden alle Engel singen hören, da können Sie Gift drauf nehmen. Ihnen wird der Arsch auf Grundeis gehen, das dürfen Sie mir glauben. Sie pfeifen aus dem letzten Loch. Mit Ihnen werde ich Schlitten fahren. Mann, mit Ihnen mach ich kurzen Prozeß. Sie mach ich fertig bis auf die Knochen, kurz und klein schlag ich Sie, dann werden Sie schon sehen. Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Was zu weit geht, das geht nicht. Da können Sie machen, was sie wollen. Mit mir nicht. Nicht mit mir. Das kann ich Ihnen sagen. Das können Sie sich gesagt sein lassen. Ein für alle Mal. Wo kämen wir denn da hin.
Übrigens: Ein erster Entwurf hierzu findet sich in „Leben und Schreiben: Tagebücher 1963-1973“ – Tagebuch 1968, S. 299 – 305 unter:
Wortschatz. Der Überlegene hört nichts. Wortgefecht …
Anmerkung zum Text: Wortschatz: „Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe. Szenen.“ Zunächst als Hörspiel (gesendet im WDR, 22.10.1969), dann als Theaterstück für vier Personen verfaßt, Uraufführung unter dem Titel „Ein reizender Abend“ im Théàtre des Casemats, Luxemburg, am 10.7.1972. Der Text ist ein erster Entwurf der ersten Szene.
siehe auch: Daher der Name Bratkartoffel (1)
siehe auch: Daher der Name Bratkartoffel (2)
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