Fortsetzung von: Der Witzableiter (22): Mein Witz, mein unbekanntes Wesen
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, kommen wir heute zum Witz, der religiöse Tabus berührt und je nach dem religiösen Sinn des Einzelnen diesen unberührt lässt oder gar verletzt.
Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens
Eine junge Frau klagt dem Priester Eheschwierigkeiten. „Und wenn es nicht anders geht“, sagt sie, „laß ich mich scheiden!“ „Was?“ sagt der Priester, „scheiden wollen Sie sich lassen, bloß weil Ihr Mann Sie verprügelt? Prügeln Sie in Gottes Namen zurück, aber kommen Sie mir nicht mit so sündhaften Gedanken!“
Wird ein religiöses Tabu tangiert, so kann sich nur der darüber freuen, der ein bißchen Sinn fürs Religiöse hat. Wer dafür gar keinen Sinn hat, bleibt unberührt; wer allzu sehr am Religiösen hängt, ist nur verletzt. Für viele ist die Grenze hier schon überschritten: Nach dem letzten Abendmahl erscheint der Kellner und fragt: „Alles zusammen?“ „Nein“, sagt Judas, „bitte getrennt.“
Getroffen sein und doch genießen können – das geht beim Witz nur, wenn wir auf der Grenze zwischen Gleichgültigkeit und innerer Beteiligung stehen. Schapiros Sohn hat sich taufen lassen. Der Rabbiner macht dem alten Schapiro Vorhaltungen. „Wenn einst der Allmächtige Sie fragen wird: ‚Wie konntest du es zulassen, daß dein Sohn sich taufen lässt?’ Was werden Sie denn antworten?“ „Nun“, sagt Schapiro, „ich werde antworten: Und Ihr Herr Sohn?“
Der deutsch-amerikanische Psychiater Martin Grotjahn hat die Wirkung des Komischen an einem religiösen Scherz verdeutlicht. Er habe, schreibt er, einmal eine Definition gelesen, die mit den Worten begann: „God is the man …“ In ihm sei bedrohlich aufgestiegen, was er in der Kindheit über Gott gelernt habe. Doch dann sei der Aphorismus so weitergegangen: „… who saves the Queen.“ Also offenbar ein Jux! Seine Erleichterung beschreibt Grotjahn so: „ Alle Geister der infantilen Introjektion sind plötzlich zerstört. Wir sind von ihnen befreit, und wie Fledermäuse fliegen sie aus uns heraus.“
Ein Jesuit, der Archäologe ist, kommt in großer Aufregung zu seinem Ordensgeneral und erstattet Bericht über Ausgrabungen, die er in Jerusalem gemacht hat. Er habe das Grab Jesu entdeckt. „Das ist ja wunderbar“, sagt der General. „Ja, ja“, entgegnet der Archäologe bedrückt, „aber das Grab war nicht leer. Das Skelett Jesu lag drin.“ „was Sie nicht sagen“, antwortet der Ordensgeneral erstaunt, „dann hat er also wirklich gelebt?“
Das Komische ist, glaube ich, immer diese Abfolge von Betroffenheit und Befreiung. Das gilt von allem, worüber wir lachen. Der Hannes war beim Baumausputzen von der Leiter gefallen. Am Krankenbett besucht ihn der Herr Pfarrer. „Trotz allem“, meint er, „hatten Sie ja noch einen Schutzengel.“ „Wie man’s nimmt“, gibt Hannes zu denken., „gescheiter wär’s, er hätte mich gleich auf der Leiter gelassen.“
Hans Strotzka, Psychiater in Wien, hat sich mit dem Komischen beschäftigt und dabei das „Nicht-ernst-Nehmen“ als den zentralen Punkt erkannt. Alle Komik nimmt das nicht ernst, was wir eigentlich als bedrohlich empfinden. Selbst das Religiöse wird durch „Nicht-ernst-Nehmen“ erträglich. Eine Dame betritt die Buchhandlung und sagt, sie suche etwas für einen Kranken. „Etwas Religiöses?“ fragt die Buchhändlerin. „Nein“, sagt die Dame, „es geht ihm schon wieder besser.“
Hans Strotzka ist Österreicher, und denen sagt man schließlich nach, sie lebten nach dem Motto: „Die Lage ist verzweifelt, aber nicht ernst.“ Den Schrecken ins Lachen wenden, das scheint mir das Wesen aller Komik zu sein. „Mein Gott“, sagt die Dame zu ihrem Mann, „wir haben vergessen, Tante Magdalene zu unserem Gartenfest einzuladen. Ruf sie doch gleich mal an!“ Der Ehemann tut es und entschuldigt sich ausführlich. „Ich wußte davon“, unterbricht ihn die Tante, „aber ich komme nicht. Es ist zu spät. Ich habe schon um Regen gebetet.“
Das Komische ist immer ein Umkippen. Die religiöse Ehrfrucht zum Beispiel kippt in ein amüsiertes Nicht-ernst-Nehmen. Diesen Klimawechsel können wir mit zwei Ausdrücken Sigmund Freuds bezeichnen, die er selbst allerdings noch nicht auf den Witz angewandt hat: die Bedrohung durch ein „Tabu“ wechselt plötzlich zu einem Sieg des „Lustprinzips“.
Ein Betrunkener liegt im Rinnstein wie tot. Ein Passant beugt sich über ihn: „Soll ich den Arzt holen?“ Keine Antwort. „Oder lieber die Polizei?“ Der Mann rührt sich nicht. „Oder lieber den Priester mit der Letzten Ölung?“ Da richtet sich der Mann auf und ächzt: „Um Himmels willen, jetzt bloß nichts Fettes!“
Noch eine letzte Frage: Was läßt die Stimmung kippen? Es ist die Absurdität des Dargestellten. Erst erschreckt sie uns besonders, dann merken wir: das ist ja übertrieben, das kann ja gar nicht sein! Und schon wechselt Bedrückung in Befreiung, Ehrfrucht in Spott.
Jesus und die Apostel werden zu einem Sterbenden gerufen. „Rette ihn“, bittet Petrus. Jesus legt dem Sterbenden die Hand auf und sagt: „Steh auf und geh!“ Der Sterbende steht auf und geht. – Nach drei Wochen kommen Jesus und seine Jünger in dieselbe Gegend und werden wieder in das Haus gerufen. Dem Kranken geht es schlechter als je zuvor. Jesus beugt sich über ihn, schüttelt aber gleich den Kopf und murmelt: „Dann war es also doch Krebs.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 50/1984
[Fortsetzung folgt]
Endlich ein interessanter Beitrag, vielen Dank. Muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Generell finde ich den Blog leicht zu verstehen und bequem zu lesen.