Lernwillig und lernfähig sei man, meint Herr Wulff; man wird auch ein wenig demütiger, man wird lebensklüger und man muss aus eigenen Fehler lernen. Man, oh man: Herr Wulff meint sich selbst mit diesem unzählig wiederholten „MAN“. Wie wäre es mit einem aufrichtigen „ICH“?
Inzwischen nimmt selbst in der Koalition die Kritik an dem Bundespräsidenten zu. Nicht nur das Krisenmanagement sei unprofessionell, auch die Kommunikation sei nicht so, wie sie sein sollte.
Nein, an Rücktritt denkt dieser Bundespräsident nicht. Er zeigt sich zuversichtlich und glaubt, die Krise bald überstanden zu haben. „In einem Jahr ist das alles vergessen“, soll er laut „Bild am Sonntag“ am Freitag bei einem Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter gesagt haben.
Die Kunst des richtigen Rücktritts, davon versteht Herr Wulff nichts. Und längst hat er auch den Zeitpunkt verpasst, in Würde zurückzutreten. Alles wird ausgesessen. Aber das Fußvolk lässt ihn nicht so ohne Weiteres entkommen und protestiert nach arabischem Vorbild: Hunderte Menschen haben mit erhobenen Schuhen vor Schloss Bellevue demonstriert. „Wulff in die Produktion“ hieß es da auf Plakaten, oder „Bundespräsidenten haben kurze Beine“.
Herr Wulff versichert inzwischen, er wolle bis 2015 einen guten Job machen. ‚Endlich’ hätte er hinzufügen müssen. Denn sein Hauptproblem ist das ewige Schweigen. Ein Bundespräsident erzielt politische Wirkung hauptsächlich durch Reden, die gesellschaftliche Debatten aufgreifen oder anstoßen. Als Beispiele hierfür gilt u.a. die Weizsäcker-Rede anlässlich des 40. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges 1985. Aber Herr Wulff ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ihm fehlt jegliches Feingefühl, jegliche Integrität für das Amt, das er ausfüllen soll. Es ist zu befürchten, das uns dieser Präsident noch drei ein halb Jahre weiter ‚erhalten’ bleibt.
Und noch eines: Es ist schon erschreckend, feststellen zu müssen, dass man in die Verlegenheit gerät, dem Schmierenblatt „Bild“ mehr zu glauben als einem Bundespräsidenten. Inzwischen kennen wir nähere Fakten zu der Mailbox-Nachricht, die Wulff beim Chefredakteur der „Bild“-Zeitung hinterlassen hat. Die Verweigerung zur Veröffentlichung hätte sich Wulff ersparen können. Tatsächlich hat Christian Wulff um einen Aufschub der Berichterstattung gebeten. Zugleich sei sein Anruf aber auch ein „Flehen und Drohen“ gewesen, bei dem die Worte „Krieg führen“ und „Strafantrag“ gefallen seien. Wulff hat also nicht gelogen, aber die Wahrheit hat er auch nicht ausgesprochen. Oder wie gesagt wurde: Herr Wulff hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit; für einen Bundespräsidenten ist das mehr als unangemessen.