E. L. Doctorow: Ragtime

Heute feiert der US-amerikanischer Schriftsteller und Publizist Edgar Lawrence Doctorow (* 6. Januar 1931 in New York City), der zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren der USA zählt, seinen 81. Geburtstag. In Deutschland wurde Doctorow bisher vor allem durch seine Romane Ragtime und „Billy Bathgate“ bekannt. Beide Romane wurden auch verfilmt, Ragtime 1981 von Miloš Forman (u.a. mit James Cagney in seiner letzten Rolle), zwischen der Formans Musicalverfilmung Hair (1979) und der Mozart-Biografie Amadeus (1984).

Leider ist der Film zz. nicht (oder überteuert) in deutscher Sprache erhältlich, hier ein kurzer Trailer bzw. weitere Ausschnitte:


Ragtime – Trailer

Auf den Roman Ragtime bin ich durch meine Recherche zu der Erzählung Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist gestoßen. Von der Verfilmung hatte ich zwar gehört, dachte aber wohl, es sei ein Musik- bzw. Musikerfilm.

Ragtime ist ein historischer Roman, der fiktive Charaktere mit historischen Persönlichkeiten verbindet, und 1975 veröffentlicht wurde. Er spielt im New York des anbrechenden 20. Jahrhunderts und verwebt drei Handlungsebenen. Der erste Erzählstrang konzentriert sich auf Figuren wie „Mutter“, „Vater“ oder „Mutters jüngerer Bruder“, die eine wohlhabende US-amerikanische Familie der damaligen Zeit darstellen sollen. Der Roman wird (wenigstens teilweise) aus der Sicht „des kleinen Jungen“ dieser „Familie“ geschrieben, allerdings in 3. Person Einzahl. Der zweite Erzählstrang handelt von jüdischen Einwanderern „Tate“ (Tateh) und Mamme (Mameh) in der Lower East Side. Im Mittelpunkt des dritten Erzählstrangs steht das Leben des Afro-Amerikaners Coalhouse Walker Jr., der ähnlich wie in der Erzählung Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist im Streben um soziale Gerechtigkeit scheitert: Als sein Auto, das legendäre Ford-Modell T, von weißen Rassisten demoliert wird, versucht er auf juristischem Weg Schadenersatz zu erlangen. Doch die Gesellschaft verweigert ihm seine verfassungsmäßigen Rechte. Seine Verlobte, die beim Vizepräsidenten der USA um Hilfe bittet, wird von Leibwächtern schwer verletzt und stirbt. Walker sammelt eine Gruppe desillusionierter schwarzer Jugendlicher um sich und startet als bewaffneter Revolutionär einen Rachefeldzug. Er gipfelt in der Besetzung der mit Kunstschätzen angefüllten Bibliothek des Großbankiers John P. Morgan. Der Vorname Coulhouse ist als literarische Referenz an die Erzählung von Kleist zu sehen. Doctorow hält sich in vielen Handlungsmomenten sehr dicht an der Vorlage, sodass sogar von einem Plagiat die Rede war. Nur das Ende von Coalhouse Walker ist anders. Die Polizei macht kurzen Prozess mit ihm, wie es die Amerikaner meist mit vermeidlichen Terroristen zu machen belieben.


New Rochelle/NY, Broadview Avenue – Wohnort der ‘Familie’

Im ganzen Buch treten historische Persönlichkeiten auf, unter anderem der Financier John Pierpont Morgan, der Automobilhersteller Henry Ford, die Schauspielerin Evelyn Nesbit, die Anarchistin Emma Goldman oder der Entfesselungskünstler Harry Houdini. Die Psychoanalytiker Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und Sándor Ferenczi befinden sich 1909 auf einer Dienstreise in die Vereinigten Staaten.

Die Handlungsstränge sind immer wieder miteinander verwoben. Im Mittelpunkt steht dabei die Familie (mit Vater, Mutter und Mutters jüngerem Bruder), deren Wege sich sowohl mit Coalhouse Walker, am Ende auch mit dem jüdischen Einwanderer Tate kreuzen (nach dem Tod von Vater heiratet Mutter sogar Tate).

Nicht umsonst zählt das Time Magazine „Ragtime“ zu den 100 besten englischsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts. Das in sich komplexe Werk führt uns in das Amerika der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und lässt dabei reale wie erfundene Episoden gekonnt miteinander verschmelzen. Doctorow schreibt mit viel Witz und Ironie und bedient sich geschickt verschiedener Metaphern. Der Roman ist eine gelungenen Mischung aus Nostalgie, Unterhaltung und Sozialkritik: Einfach lesenswert und daher wärmstens zu empfehlen.

„Warum kommen einem Doctorows Bilder wahrer vor als die Wirklichkeit? Weil sich alles in ihnen widerspiegelt, was sich in den rund hundert letzten Jahren an wahrhaft Bedeutendem und Dramatischem in Amerika abgespielt hat. Diese Bilder sind herrlich in ihrer konkreten, unmittelbaren Art.“
The New York Times Book Review

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.