Das Interesse der Norweger an dem Prozess gegen den Attentäter Anders Behring Breivik, der im vergangenen Sommer 77 Menschen getötet hatte – 8 starben nach einer Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel, 69 weitere bei seinem Amoklauf auf der kleinen Insel Utøya.-, wird immer geringer. Breivik präsentiert sich armselig und von Selbstmitleid geplagt. Öfter schon wurde er von der Staatsanwaltschaft bloßgestellt und in seinen Allmachtsvorstellung lächerlich gemacht. Der selbst ernannte „Retter Norwegens“ demaskiert sich selbst und offenbart seinen offensichtlichen Kern, den eines „gesellschaftlichen Verlierers, der sich in eine rechtsextreme Wahnwelt versponnen hat und aus Mordlust und Kompensation für sein armseliges Leben Menschen tötete.“ (Quelle: welt.de).
Wer in Norwegen nicht direkt betroffen ist, wendet sich ab und hofft nur, dass dieser klägliche Versager für immer hinter verschlossenen Türen verriegelt bleibt. Man will Abstand gewinnen und zur Normalität zurückkehren.
Auch Anders Behring Breivik ist um ‚Normalität’ bemüht. Für ihn gilt, als zurechnungsfähig zu gelten, denn er will auf keinen Fall in die Psychiatrie. So gibt er sich ruhig und bedacht. Seine zuvor gestellten, reichlich absurden Bedingungen, um Aussagen zu seinen Taten zu machen, z.B. die Auflösung des norwegischen Parlaments, zog er zurück. Dem Gericht liegen zwei widersprüchliche psychiatrische Gutachten über den Geisteszustand Breiviks vor. Im ersten wird er als paranoid-schizophren und damit schuldunfähig, im zweiten als voll zurechnungsfähig und nicht psychotisch bezeichnet. Breivik leide danach allerdings an einer narzisstischen und asozialen Persönlichkeitsstörung und habe ein falsches Selbstbildnis. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheidet darüber, ob der 33-Jährige für 21 Jahre ins Gefängnis oder in eine psychiatrische Anstalt kommt.
Der Fall Breivik ist ein besonderer Fall. Nach dem ersten Schein haben wir es hier zum einen mit einem politisch motivierten Attentäter zu tun, zum anderen mit einem Amokläufer, der auf der Insel Utøya alles niedergeschossen hat, was sich bewegte (siehe hierzu meine Beiträge Amok und Spurensuche). Ich schreibe ‚nach dem ersten Schein’, denn die politischen Motive kommen eher einem Wahn gleich und der ‚Amoklauf’ ist untypisch, auch wenn sich der Täter hier in eine Art Blutrausch gesteigert haben muss. Am Ende ließ sich Breivik widerstandslos verhaften.
Aus der Ferne ist Breivik natürlich nur ungenau zu beurteilen. Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller siedelt den Fall an der Grenze zwischen Fanatismus und Wahn an. Für den Kriminalpsychologen Prof. Rudolf Egg hat Breivik „in jedem Fall eine Persönlichkeitsstörung“. Beide halten Breivik für nicht heilbar und plädieren für eine lebenslange Unterbringung, egal ob nun im Gefängnis oder in der psychiatrischen Anstalt. Der forensische Psychiater Norbert Leygraf sieht Parallelen zum Fall Ernst August Wagner, der erste Fall in der württembergischen Rechtsgeschichte, bei dem ein Prozess wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt wurde. Leygraf unterstützt also eher das erste Gutachten.
Ob Breivik nun zurechnungsfähig ist oder nicht, soll nun der Prozess entscheiden, der auf zehn Wochen angelegt ist. Eines wird aber zunehmend deutlich: Vieles von dem, was Breivik erzählt, gibt es wohl nur in seinem Kopf. So beschwert es sich, die Anklägerin wolle ihn als geisteskrank darstellen. Die Fragen über seinen psychischen Zustand dienten nur dazu, ihn und seine extreme Ideologie zu diskreditieren.
Von Normalität wird man im Gerichtssaal in den nächsten Wochen kaum sprechen können …
siehe u.a. auch meine Beiträge:
Bestie Mensch
Schießwut und Waffenwahn
Die Spitze des Eisbergs
Rechtes Schattenland
Herr und Knecht