Nach langer Zeit – immerhin nach sieben Jahre – gibt es wieder ein Studioalbum von Tom Waits, den ich hier bereits öfter erwähnt habe: Bad As Me. Okay, das Album ist bereits Ende des letzten Jahres erschienen und ich habe es fast verschlafen, aber eben doch nur fast ….
Anfangs drängte sich für mich ein Vergleich auf, eben der mit dem neuen Album von Ian Anderson (Jethro Tull), denn dieser wie jener sind inzwischen einige Jährchen über ihr 60. Lebensjahr hinaus und bei beiden haperst ziemlich mit der Stimme. Aber damit endet auch schon der Vergleich. Während Anderson sichtlich bemüht daher kommt und in all seiner Perfektion eher Sterilität erzeugt hat, ‚lebt’ Tom Waits wieder förmlich auf. Auch muss Waits nicht sparen, sondern gönnt sich nicht nur einmal satte Bläsersätze und bedient sich der Dienste namhafter Größen, allen voran Keith Richards; ja, der lebt auch noch …
Apropos Stimme: „Er singt […] viel zu perfekt, als dass die Stimme wirklich kaputt sein könnte. Das Reibeisen wechselt mit klaren Tönen, wenn es in die höheren Lagen geht, etwa in ‚Talking at the Same Time’, wo er gar mit Falsett aufwartet, während die Bläser einen schönen Offbeat schieben und das Klavier auf den höchsten Tönen herumpingelt“, schreibt Wolfgang Schneider in der FAZ. Der scheint es zu wissen.
Und apropos Keith Richards: Wen’s juckt, der kratzt sich. Und so kratzt sich Waits und legt mit Richards eine Art Gegenentwurf zu dem Stones-Titel (I Can’t Get No) Satisfaction hin: „I will have satisfaction/I will be satisfied/now Mr. Jagger and Mr. Richards/I will scratch where I’ve been itching“. Das schreit Waits wie ein Raubtier mit seiner Reibeisenstimme, „um am Ende noch ein paar Sekunden die Kopfstimme von Mr. Jagger zu parodieren.“ (Quelle: faz.de).
Wenn man dann die beiden in die Jahre gekommen Herren gemeinsam „Last Leaf“ singen hört, stellt man sich vor, wie diese sich trunken in den Armen liegen, wüsste man nicht, dass zumindest Waits seit vielen Jahren ‚trocken’ ist. Da hängen sie nun, die ‚letzten Blätter’ am Baum, trotzen der Witterung und sind nur zu besiegen, wenn der ganze Baum gefällt wird.
Tom Waits – Last Leaf (Bad As Me 2011)
In dem Antikriegssong „Hell Broke Luce“ hämmern, ja marschieren die Gitarren. Richards feuert in ‚minimalistischer’ Manier seine kurzen Gitarrenriffs ab. „Als Abrechnung mit der US-Politik der letzten Jahre kann man das deuten, ‚What is next?’, stellt er ans Ende, es ist eine hypothetische Frage, denn es ändert sich nie etwas, in den Staaten unter Bush oder Obama oder irgendwo sonst auf der Welt.“ (Quelle: amazon.de)
Tom Waits – Chicago (Bad As Me 2011)
Das Album beginnt mit dem Lied ‚Chicago’, bläsergetränkt, fiebrig, alptraumhaft, hektisch und besteht wohl nur aus einem Akkord. Ich gestehe, dass mich das zunächst aufgeschreckt hat. Da wird man angeschrieen, man fürchtet um den Zahnersatz des Herrn Waits, als könne der sich selbständig machen. Waits knurrt, kläfft und spuckt. Ähnlich geht es mit dem Titelstück: „Bad As Me“, einem grimmig vorgetragenen Neuzeit-Blues. Der Text erinnert mich an diese süßliche Schokoladenwerbung ‚Merci, dass es dich gibt’ – nur anders herum:
You’re the head on the spear
You’re the nail on the cross
You’re the fly in my beer
You’re the key that got lost
You’re the letter from Jesus on the bathroom wall
You’re mother superior in only a bra
You’re the same kind of bad as me.
Tom Waits – Bad As Me (2011)
Aber Tom Waits kann eben auch anders. Neben der Ballade „Face to the Highway“ mit schwirrenden Gongs und lieblich gezupften Flageolett-Tönen auf der Gitarre, mit eher wehmütig klingenden Akkordeon-Akkorden bei ‚Pay Me’. Mir gefällt natürlich ‚New Year’s Eve’, mit dem das reguläre Album endet, das mit Anklängen bei Auld Lang Syne aufwartet.
Tom Waits – New Year’s Eve (Bad As Me 2011)
Übrigens – das Album ist so nebenbei auch noch ein Familienunternehmen: Waits Gattin Kathleen Brennan hat dieses Album komplett mitverfasst, dazu erstmals auch produziert. Und Sohn Casey Waits sorgt sich um die Drums (weiteres zu den mitwirkenden Musikern siehe auch: laut.de).
Die sicherlich ebenso interessanten Lyrics finden sich auf der Waits-Website.
Tom Waits – Bad As Me (das GANZE Album) 2011
Noch einmal zum Vergleich mit Ian Anderson: Dieser lässt sich wahrlich schlecht herstellen. Anderson hat nie Drogen genommen, trank dafür Milch. Und Alkohol immer nur in Maßen. Wenn Herr Anderson bereits in der Heia lag und träumte, ließ sich Tom Waits noch einen Drink bringen. Und wenn der eine morgens eine Runde joggte, erhob sich der andere schwankend, um endlich zu Bett zu gehen. Heute sind beide grundsolide. Nur pflegt Tom Waits weiterhin die schwarze Romantik des Kaputten. Das klingt nicht nur authentischer, es ist es auch …