Vergessene Stücke (15): Albert Camus – Dramen (Teil 2)

Albert Camus war Schriftsteller und Philosoph des Existenzialismus und gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. 1957 erhielt er für sein Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Wie bereits in meinem Beitrag Albert Camus – Dramen (Teil 1) geschrieben, so war Albert Camus nicht nur Philosoph und Verfasser von Romanen und Erzählungen. Er war auch ein begeisterter Theaterfreund und als solcher Schauspieler und Regisseur eines kleinen Theaters in Algier – und natürlich Dramatiker. Zwischen 1938 und 1950 verfasste er vier Schauspiele. 1959 dramatisierte er mit dem Stück „Die Besessenen“ den Roman Dämonen von Dostojewski. Und wie ebenfalls bereits erwähnt, so werden Camus’ Stücke auch heute immer noch aufgeführt.

    Albert Camus

Komme ich heute zu den beiden letzten Stücken von Camus’ Dramen, die ich in folgender Ausgabe vorliegen habe: Albert Camus: Dramen – ins Deutsche übertragen von Guido G. Meister – Rowohlt Verlag, Hamburg – 128. – 131. Tausend, April 1982 (14. Auflage) – Sonderausgabe. Man könnte die beiden Stücke „Die Gerechten“ und „Die Besessenen“ als russische Stücke bezeichnen.

Die Gerechten ist ein Schauspiel in fünf Akten und wurde am 15. Dezember 1949 im Théâtre Hébertot, Paris, uraufgeführt.


Experimentelle Kurzfilmadaption einer Szene aus „Die Gerechten“ von Albert Camus.

„Russland im Jahre 1905. Eine terroristische Kampftruppe, Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre, plant ein Bombenattentat auf den Grossfürsten Sergej, den Onkel des Zaren, um das zaristische Regime zu erschüttern. Doch Kaljajew, der die Bombe werfen soll, bringt es nicht fertig, als er sieht, dass zwei Kinder mit in der Kutsche sitzen. Alle haben Verständnis für den Grundsatz: Unschuldige dürfen nicht leiden. Nur Stepan, der nach Haft, Folter und Flucht voller Hass ist, würde für die ‹Sache› sogar Kinder opfern. Zwei Tage später gelingt es Kaljajew, den Grossfürsten allein zu töten. Er wird verhaftet, gefoltert und soll seine Freunde verraten mit der Aussicht auf Begnadigung. Doch Kaljajew bleibt seiner Tat treu, auch als die Witwe des Grossfürsten ihn im Gefängnis besucht und ihn zur Reue bekehren möchte: «Nur wenn ich nicht stürbe, wäre ich ein Mörder». Er wird hingerichtet. Als die Kampftruppe davon erfährt, beschliesst Dora, die nächste Bombe zu werfen, um ihrem Geliebten ins Jenseits zu folgen. «O Liebe! Leben! Nein, nicht Leben: Liebe im Tod!»“ (Quelle: art-tv.ch)

Personen:

Dora Duljebow
Die Großfürstin
Iwan Kaliajew (Kaljajew) , genannt Janek, der “Dichter”
Stepan Fjodorow
Boris Annenkow, genannt Borja
Alexis Woinow
Skuratow
Foka
Der Wärter

Das Theaterstück basiert auf einer wahren Begebenheit: Im Jahre 1905 verübte die terroristische Gruppierung der Sozialrevolutionäre einen Anschlag auf den russischen Großfürsten Sergei. Das Stück ist natürlich insoweit aktuell, als es um einen terroristischen Anschlag geht. Allerdings suchen die Attentäter nach Gerechtigkeit in einem zaristischen Russland, während heutige Terroristen eher die Implementierung despotischer Systeme anstreben und dabei auch auf Unschuldige wenig Rücksicht nehmen. „Die Revolution frisst ihre Kinder“, heißt es. Camus’ Revolutionäre sind der Gerechtigkeit halber bereit zu sterben.

„In ‚Die Gerechten’ legt Camus an einem Fall aus der russischen Geschichte die Grenzen menschlichen Handels dar. Er zeigt, daß auch die radikale revolutionäre Tat nur in diesen Grenzen zu rechtfertigen ist, daß die Täter in ihren Tod einwilligen müssen, wenn sie sie überschreiten und um eines Ideals willen zu Mördern werden.“ (Klappentext zum Buch)

Albert Camus schreibt in seinem Vorwort zu seinen Dramen zum Stück: „Meine Helden Kaliajew und Dora besitzen meine ungeteilte Bewunderung. Ich wollte bloß darlegen, daß auch der Tat selbst Grenzen gesetzt sind. Nur die Tat ist gut und gerecht, die diese Grenzen anerkennt und, falls sie sie überschreiten muß, zumindest in den Tod willigt. Unsere Welt zeigt uns heute ein widerliches Gesicht, gerade weil sie von Menschen gezimmert wird, die sich das Recht anmaßen, diese Grenzen zu überschreiten und insbesondere Mitmenschen zu töten, ohne selbst mit dem Leben zu bezahlen. So kommt es, daß die Gerechtigkeit heute überall auf der Welt den Mördern jeglicher Gerechtigkeit als Alibi dient.“

Am 30. Januar 1959 wurde das Drama „Die Besessenen“, Albert Camus‘ Bearbeitung des Romans von Dostojewski für die Bühne, im Théâtre Antoine, Paris, uraufgeführt. Es ist gewissermaßen eine geraffte Fassung des über 800 Seiten starken Romans.

Die Dämonen ist ein 1873 veröffentlichter Roman von Fjodor Dostojewski. Das Buch beschreibt das politische und soziale Leben im vorrevolutionären Russland des späten 19. Jahrhunderts, als unter zunehmender Labilität der zaristischen Herrschaft und traditionellen Wertesysteme verschiedene Ideologien (Nihilismus, Sozialismus, Liberalismus, Konservatismus) aufeinanderprallten, die von Dostojewski jeweils in einem Protagonisten dargestellt werden. In geradezu seherischer Art und Weise hat Dostojewskij die politischen und menschlichen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts präzise vorhergesagt.

Im Roman wie auch in dem Theaterstück stehen zwei Ereignisse im Mittelpunkt. Beim ersten geht es um einen Mord innerhalb einer revolutionären Gruppe. Bei dieser wahren Begebenheit wurde auf Veranlassung des skrupellosen Nihilisten Sergei Netschajew ein junges Mitglied seiner Gruppe von seinen Kameraden ermordet. Netschajews Absicht war, damit gleichzeitig einen Kritiker auszuschalten und die Gruppe durch den gemeinschaftlichen Mord zusammenzuschweißen. Die Figur Peter (Pjotr) Werchowenski und die Ereignisse um seine revolutionäre Gruppe in „Die Dämonen“ basieren auf Netschajew und dem Mordfall. Das andere Ereignis ist Stawrogins Beichte bei Bischof Tichon. Der von inneren Widersprüchen zerrissene Stawrogin offenbart darin seine Zweifel an Gott und jeder Moral.

Personen:

Grigorejew, der Erzähler
Stepan Trofimowitsch Werchowenski
Warwara Petrowna Stawrogina
Liputin
Schigalew
Iwan Schatow
Wirginski
Gaganow
Alexej Jegorowitsch, Diener
Nikolai Stawrogin
Praskowja Drosdowa
Dascha Schatowa, Schwester von Iwan. S.
Alexej Kirillow
Lisa Drosdowa
Mawriki Nikolajewitsch
Marja Timofejewna Lebjadkina
Hauptmann Lebjadkin
Peter Stepanowitsch Werchowenski
Fedka
Der Seminarist
Ljamschin
Tichon, der Bischof
Marja Schatowa, Frau von Iwan S.

Schauplätze:

1. Bei Warwara Stawrogina. Reich ausgestatteter, im Stil der Epoche gehaltener Salon
2. Das Filippowsche Haus. Doppeltes Bühnenbild: ein Salon und ein kleines Zimmer. Sehr ärmlich eingerichtete möblierte Wohnung
3. Die Straße
4. Das Lebjadkinsche Haus. Ein schäbiger Salon in der Vorstadt
5. Der Wald
6. Ein geräumiger Saal im Jefimjewski-Kloster
7. Der Salon im Stawroginschen Landhaus in Skworeschniki

Camus schreibt zu Dostojewski im Zusammenhang mit seinem Stück: „Lange Zeit hat man Marx für den Propheten des 20. Jahrhunderts gehalten. […] wir erkennen, daß Dostojewski der wahre Prophet war. Er hat die Herrschaft der Großinquisitoren und den Triumph der Macht über die Gerechtigkeit vorausgesehen. […] Ich stelle die ‚Dämonen’ neben die drei oder vier größten Werke, die die enorme Anhäufung der Schöpfungen menschlichen Geistes krönen: neben die ‚Odyssee’, ‚Krieg und Frieden’, ‚Don Quijote’ und die Dramen Shakespeares. […] Für mich ist in erster Linie Dostojewski der Schriftsteller, der lange vor Nietzsche den zeitgenössischen Nihilismus erkannt, definierte und seine ungeheuerlichen oder wahnwitzigen Folgen voraussah, und der versuchte, die Botschaft des Heils zu bestimmen.“

„Das letzte Bühnenstück des französischen Nobelpreisträgers ist eine eindrucksvolle Adaption des Romans ‚Die Dämonen’ von Dostojewski. Die Begegnung französischer clartè mit dem Dämonischen ist deshalb ein Ereignis, weil sie Extreme abendländischer Geistigkeit zusammenzuzwingen versucht. Das Ergebnis wirkt bei der Lektüre fast noch eindringlicher als bei einer Aufführung auf der Bühne.“ Der Tag, Berlin

Siehe auch Video bei YouTube: Albert Camus on Nihilism

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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