Friedrich Glauser: Studer ermittelt

Sommerzeit ist für mich nicht nur Lesezeit, sondern meist auch speziell Krimilesezeit. Für die warmen Tage eben leichte literarische Kost; zz. lese ich endlich den Riesenwälzer von Léo Malet: Paris des Verbrechens, die Kriminalromane um den Privatdetektiven Nestor Burma, zu Ende. Neben Kommissar Maigret von Georges Simenon ist Malets Nestor Burma die in Frankreich bekannteste Figur im Kriminalmilieu.

Denkt man an die Schweiz und Krimis, dann fällt den meisten zunächst Friedrich Dürrenmatt und sein Kriminalkommissär Bärlach ein. Nun neben diesem gibt es noch einen Kriminaler, den Wachtmeister Studer – eine Romanfigur von Friedrich Glauser, die zwischen 1936 und 1941 in insgesamt fünf Romanen auf den Spuren des Verbrechens in und um Bern unterwegs war. Auf Glausers Wachtmeister bin ich durchs Fernsehen aufmerksam geworden, denn dort gab es Anfang der 80-er Jahre drei Verfilmungen mit Hans Heinz Moser als Studer, die mir sehr gefallen haben. Aber erst jetzt habe ich begonnen, die Kriminalromane von Friedrich Glauser: Studer ermittelt – Sämtliche Kriminalromane in einem Band, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2009, zu lesen. Es handelt sich dabei wie bei Léo Malets Paris des Verbrechens um einen Riesenwälzer von rund 1100 Seiten – beide sind zz. leider vergriffen. Aber natürlich gibt es Friedrich Glauser auch noch in anderen Verlagen.

Begonnen (und zu Ende gelesen) habe ich den ersten Roman, kurz „Wachtmeister Studer“ genannt. Dieser spielt ca. Mai/Juni 1932 zwischen Thun und Bern in einem kleinen fiktiven Ort namens Gerzenstein, nach dem Roman 25 km von Bern entfernt, wo Studer wohnt und gewöhnlich arbeitet. Als reale Vorbilder Gerzensteins dienten mutmaßlich die beiden kleinen Gemeinden Gerzensee und Geristein in der Nähe des schweizerischen Münsingen, vgl. Obschläger: Nachwort zu SEM, S. 221


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Gerzensee (gut 20 km von Bern entfernt) – Vorbild für Gerzenstein

Wir erfahren zunächst, dass Wachtmeister Studer vor einiger Zeit in Ungnade gefallen ist – ähnlich wie sein Autor, der zeitlebens unangepasst war („1917 trat er [Friedrich Glauser] in Kontakt mit Künstlern, Dichtern und Musikern der Dada-Bewegung. 1918 wurde er entmündigt wegen «liederlichem und ausschweifendem Lebenswandel», sprich: Drogenkonsum, Geldschulden und Konkubinat. Er wurde in der Folge immer wieder in Kliniken und Anstalten interniert, brach aus, wurde erneut gefasst, machte Entziehungskuren, wurde wieder rückfällig, unternahm Suizidversuche. 1921 floh er zu seinem Vater nach Mannheim, der ihm die Aufnahme in die Fremdenlegion vermittelte.“ Quelle: de.wikipedia.org).

„Damals war ich Kommissär bei der Stadtpolizei… […] … Nach der Bankaffäre bin ich in Ungnade gefallen und hab‘ wieder von unten anfangen müssen… Das gibt es…“ (S. 25) Außerdem erinnert Studer „an Leute, die keiner Partei angehören, und es deswegen zu nichts gebracht haben…“ (S. 46)

    Friedrich Glauser: Studer ermittelt (Zweitausendeins)

Der „Fahnderwachtmeister von der Berner Kantonspolizei“ erscheint als ein älterer, eher unscheinbarer und zudem etwas rundlicher Mann mit Schnurrbart und einer Brissago im Mund, einer langen, dünnen Zigarre mit Mundstück. Er ist ein früher herausragender Vertreter jenes Typus des unkonventionellen Ermittlers, der sich oft auf sein Bauchgefühl verlässt und dessen Interesse insbesondere seinen Mitmenschen gilt. Glauser selbst gab an, dass Georges Simenon, der Schöpfer des Maigret, sein „Lehrmeister“ gewesen sei. (Quelle: de.wikipedia.org)

„ … es kommt ein Fahnderwachtmeister dazu, […] dann kann es geschehen, daß alle die kleinen Unregelmäßigkeiten, die im Leben jedes Menschen vorhanden sind, plötzlich wichtig werden; man arbeitet dann mit ihnen, wie ein Maurer mit Backsteinen – um ein Gebäude aufzurichten…“ (S. 53) – „Ich brauch‘ weniger die Tatsachen als die Luft, in der die Leute gelebt haben… Verstehst? So die kleinen Sächeli, auf die niemand achtgibt und die dann eigentlich den ganzen Fall erhellen…“ (S. 72)

Ein Händler in dem kleinen Ort wurde in einem Waldstück ermordet. Und den Täter hat man auch gleich parat. Ein Zuchthäusler, der Arbeit in einer Gärtnerei gefunden hat. Studer kann gerade noch verhindert, dass dieser sich in seiner Zelle erhängt. Als der Verdacht laut wird, dass der Händler eventuell Selbstmord begangen hat, um für seine Familie eine Lebensversicherungsprämie zu erschleichen, ist da wieder der Zuchthäusler, der nun die Tat gesteht. Alles ist also ziemlich verzwickt und spielt zudem in einem kleinen Ort, in dem die Menschen nach etwas anderen Regeln ticken als in der Stadt. Am Schluss ist alles dann natürlich ganz anders, ohne das die Logik verbogen wird. Im Gegenteil: Erst die Lösung lässt den Fall im rechten Licht leuchten.

Wachtmeister Studer ist ein durch und durch menschlicher Typ ohne jegliche Allüren. Die Fälle haben viel Lokalkolorit, lassen sich aber auch für Nichtschweizer ohne sprachliche Probleme lesen. Friedrich Glauser gilt als einer der ersten deutschsprachigen Krimiautoren. Mit dem Fahnderwachtmeister von der Berner Kantonspolizei ist ihm ein einmalig sympathischer Antiheld gelungen.

Interessant sind sicherlich auch die Mordsspaziergänge – Kriminalliterarische Wanderungen im Kanton Bern (u.a. als Buch Mordsspaziergänge – mit 1 Audio-CD), in der u.a. zwei Studer-Krimis abgehandelt werden.

Am 1. Januar 2009 verfiel die Regelschutzfrist der Werke Glausers. Daraufhin veröffentlichte das Projekt Gutenberg-DE mehrere seiner Kriminalfälle online, hier der von mir gelesene Kriminalroman:

Friedrich Glauser: Wachtmeister Studer

siehe auch: Martin Schüller: Tod in Garmisch (Oberbayern Krimi)

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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