Der Schimmelreiter zog vor allem an den norddeutschen Küsten durch die stürmischen Dezembernächte. Sein Ursprung dürfte in der germanischen Mythologie (Pferdekult) stammen. Bekannt geworden ist er durch die gleichnamige Erzählung von Theodor Storm (siehe meinen Beitrag: Weihnachten von A bis Z: S wie Schnee & Silvester)
„Die Novelle, in deren Zentrum der fiktive Deichgraf Hauke Haien steht, basiert auf einer Sage, mit der Storm sich über Jahrzehnte befasste. Mit der Niederschrift der Novelle begann er jedoch erst im Juli 1886 und beendete seine Arbeit daran im Februar 1888, wenige Monate vor seinem Tod.“ (Quelle: de.wikipedia.org)
Wer in Norddeutschland lebt, kommt um diese Novelle kaum herum, wenn er hier auch noch zur Schule gegangen ist. Im August 2000 war ich mit meiner Familie zwei Wochen auf Sizilien. Der älteste meiner beiden Söhne war damals noch nicht ganz 10 Jahre alt. Auf einem Buchbazar in Marina di Ragusa fanden wir eine Ausgabe in deutscher Sprache mit eben dieser Erzählung. Wie das Buch wohl nach Sizilien gekommen ist? Und mein Sohn stürzte sich förmlich auf das Buch und las den Schimmelreiter während der letzten Tage am Strand bis zum Ende. Sicherlich etwas außergewöhnlich für einen Neunjährigen. Aber er war fasziniert von der Geschichte.
Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kundgeworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den »Leipziger« oder von »Pappes Hamburger Lesefrüchten«. Noch fühl ich es gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen mitunter liebkosend über das Haupthaar ihres Urenkels hinglitt. Sie selbst und jene Zeit sind längst begraben; vergebens auch habe ich seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann daher um so weniger weder die Wahrheit der Tatsachen verbürgen, als, wenn jemand sie bestreiten wollte, dafür aufstehen; nur so viel kann ich versichern, daß ich sie seit jener Zeit, obgleich sie durch keinen äußeren Anlaß in mir aufs neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtnis verloren habe.
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Franz Karl Basler-Kopp: Schimmelreiter I; Kreide auf Papier
Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenster hier oben lagen über dem Rand des Deiches; es war, wie er gesagt hatte. Ich nahm mein Glas und trank den Rest. »Haben Sie Dank für diesen Abend!« sagte ich; »ich denk, wir können ruhig schlafen!«
»Das können wir«, entgegnete der kleine Herr; »ich wünsche von Herzen eine wohlschlafende Nacht!«
– – Beim Hinabgehen traf ich unten auf dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine Karte, die er in der Schenkstube gelassen hatte, mit nach Hause nehmen. »Alles vorüber!« sagte er. »Aber unser Schulmeister hat Ihnen wohl schön was weisgemacht; er gehört zu den Aufklärern!«
– »Er scheint ein verständiger Mann!«
»Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der andern Seite, ich sagte es ja voraus, ist der Deich gebrochen!«
Ich zuckte die Achseln: »Das muß beschlafen werden! Gute Nacht, Herr Deichgraf!«
Er lachte: »Gute Nacht!«
– – Am andern Morgen, beim goldensten Sonnenlichte, das über einer weiten Verwüstung aufgegangen war, ritt ich über den Hauke-Haien-Deich zur Stadt hinunter.
Theodor Storm: Der Schimmelreiter – Novelle (1888)