Was ist bloß mit Ian los? Teil 34: Von den Wurzeln zu den Zweigen

Hallo Wilfried,

ob sich hinter unserem Bundespräsidenten ein Tull-Fan verbirgt, kann ich nicht sagen. Ich möchte aber auf eines hinweisen: Nicht jeder Tull-Fan trägt Kopftuch. Ich hoffe, dass Mr. Anderson bei dem Konzert in Maria Laach etwas mehr Augenmerk auf seine Garderobe richtet. Ein Outfit, wie es auf Deiner (wieder sehr gelungenen !) Montage zu sehen ist, würde schon reichen. Lediglich mit der Kopfbedeckung könnte es Probleme geben: Maria Laach ist ein katholisches Gotteshaus und hier ist der Nicht-Kleriker aufgefordert, es nur barhäuptig zu betreten.

Steht nicht nächstes Jahr das 40jährige Jubiläum von JT an ? Ich habe noch nichts davon gehört oder gelesen, aber rein rechnerisch müsste das so sein.

Vielen Dank für den Hinweis auf die neuen Laufi-Videos ! Der Auftritt in der ZDF-Drehscheibe ist genau der, von dem ich an anderer Stelle bereits erzählt habe. Vielleicht erinnerst Du Dich: Am nächsten Tag bin ich losgezogen, um mir das gleiche Barett zu kaufen, wie es der Meister trug (allerdings steht es ihm besser als mir). 1982 ist es mir nicht aufgefallen, aber heute: Zum historischen Kostüm trägt Mr. Anderson wieder eine Armbanduhr. Diese Marotte kann ich mir nur so erklären, dass ihm in der Vergangenheit schon einmal eine Uhr in der Künstlergarderobe abhanden gekommen ist. Summa summarum komme ich zu dem Schluss, dass ein Playback-Auftritt in einer deutschen Nachrichtensendung im Vorabendprogramm nicht das richtige Forum für Könner wie JT ist. Klar, als Teenager habe ich den Auftritt damals genossen, aber die Musiker müssen Höllenqualen gelitten haben.

Mit den Parallelen zwischen TAAB und Bohemian Rhapsody meinte ich in allererste Linie die ungewöhnliche Dauer dieser Stücke und der Bombast, mit dem sie vorgetragen werden. Natürlich gibt es Unterschiede in den Songs und den Künstlern. Der Größte ist vielleicht, dass JT in der Lage waren und sind, ihr Lied live darzubieten. Queen mussten bei den schwierigen Passagen, wie z.B. dem Chorgesang, auf das Tonband zurückgreifen. Vielleicht kennst Du God Save The Queen von Queen; nur Gitarre und Schlagzeug. Die Band spielte es lange Zeit am Ende ihrer Konzerte. Das heißt, sie spielte es nicht, sondern spulten es aus der Konserve ab. Ob Mr. May es live nicht hinbekommen hätte ? Keine Ahnung. Jedenfalls halte ich JT für das größere Live-Erlebnis.

Das Konzert im Madison Square Garden hat für mich eine ähnliche Klasse wie der Auftritt im Hippodrom. Wie Du schon sagtest, die beiden Events liegen nur ein Jahr auseinander. Aus meiner Sicht hatte die Gruppe 1978 den Zenit ihrer Schaffenskraft erreicht. Das war nicht mehr zu toppen. Von JT nicht, von anderen erst recht nicht.

Vorsichtshalber zur Richtigstellung: Am Prozess gegen Danton interessiert mich nicht das Ende auf dem Schafott, sondern seine unglaublich eloquenten Verteidigungsreden. Allerdings müsste ich einen Dolmetscher mit in die Zeitmaschine nehmen.

Die magere Reaktion auf Ralph Weber’s Endgame mag in der hohen Qualität des Textes begründet liegen. Ich kann mir vorstellen, dass mancher Tull-Fan den Kommentar mit offenem Mund liest und nur noch ein ehrfürchtiges Nicken zustande bringt. Jemanden, der so schreiben kann, quatscht man nicht ungefragt an. Das ist natürlich Unsinn, aber solche Gedanken schwingen möglicherweise im Unterbewusstsein mit.

Ich habe mir noch einmal, ganz bewusst, Roots to Branches angetan. Es bleibt dabei: Inhaltlich kann ich Herrn Weber nicht in jedem Punkt zustimmen. Wenn ich einem Außerirdischen die Qualität der irdischen Rockmusik mit einem Beispiel belegen müsste, würde ich ihm einen Liveauftritt von TAAB vorspielen. Es hatte also auch sein Gutes, dass der Mensch sich über den Affen erhoben hat.

Ich freue mich auf Heiligabend !
Lockwood

29.11.2006

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Hallo Lockwood,

die Freude auf Heiligabend (Weihnachten) hält sich bei mir in Grenzen. Meine Frau wird nämlich 50 Jahre alt (sie hat allerdings am 26. Geburtstag) und da ist eine große Feier angesagt, die im Gemeindehaus unserer evangelischen Kirche stattfindet. An Gästen werden mindestens 50 Leute erwartet, die dann auch noch Kinder mitbringen, sodass es sicherlich noch mehr werden. Hoffentlich sind die alle noch vom Weihnachtsbraten gesättigt (oder die haben bereits eine Magenerweiterung – da passt dann noch genügend hinein). Ich mag solche Massenveranstaltungen überhaupt nicht, aber da muss ich durch. Da unterhält man sich mit jedem und keinem. In kleiner Runde finde ich es um einiges besser. Mag dieser Kelch an mir vorüberziehen. Immerhin habe ich die Tage darauf frei und kann mich erholen.

In Maria Laach werden wir Herrn Anderson mit Sicherheit ohne Kopftuch oder Käppi sehen, also mit sehr breitem Scheitel. Er weiß, was sich gehört. Es ist auch nicht sein erster Auftritt in einer katholischen Kirche. Im Januar 2004 war er fürs italienische Fernsehen in Neapel aufgetreten und brachte u.a. Bourree zum Besten.

Das ist also das berühmte Barrett? ZDF-Drehscheibe habe ich früher mit meinen Eltern auch öfter gesehen. Diese Sendung muss ich aber verpasst haben. Nett sind ja die älteren Damen am Schluss. Die gucken etwas gelangweilt, klatschen aber höflich ihren Beifall. Haben die etwas härteres erwartet? Am Schlagzeug muss ein Gerry Conway sitzen. Der ist mir überhaupt nicht gegenwärtig. Ich habe zwar einige Videos aus 1982. Die sind aber von der Qualität recht schlecht. Und irgendwie habe ich da auch nie so richtig auf den Mann an der Schießbude geachtet. Conway hat auch nur auf „Broadsword“ gespielt, auf „Crest of a Knave“ gab es dann einen fliegenden Wechsel mit Doane Perry (auf „Under Wraps“ hat Anderson selbst die Schlagstöcker gewirbelt), der mithin auch schon 20 Jahre bei der Truppe ist.

Apropos Videos! Ich habe auch einmal einen Blick bei myvideo.de gewagt und wem bin ich dabei begegnet? Unserem alten Kumpel Francis, wenn Du Dich an den erinnerst. Da musst Du unbedingt hineingucken. Der Mann ist zwar ziemlich kaputt (wenn man in meinem Alter ist, dann ist das kein Wunder), aber ein ‚echtes’ Showtalent, was die Tull-Imitationen betrifft. Kein Grund zum Lästern, zu Playback so tun als ob ist wirklich nicht leicht – aber das Thema hatten wir bereits.

Francis

In „Roots to Branches“ habe ich auch einmal intensiver hineingehört. Das Album liegt zwischen den Solo-Scheiben „Devinities“ und „Secret Language of Birds“ von Ian Anderson, was nicht zu überhören ist. Das Flötenspiel erinnert mich an das erst genannte Album (z.B. das Stück „Wounded, Old and Treacher“, der dann folgende ‚Rapper’ Anderson macht das Lied dann allerdings ziemlich kaputt), recht ausgreifend und von Weltmusik geprägt. Der Gesang, aber auch einige Instrumentalpassagen ähneln der zweiten (z.B. „At last, forever“ – außerdem: das hört sich hier wirklich einmal nach einer 12-saitigen Gitarre an). Ich muss gestehen, dass ich mich zunächst auch nicht voll für „Roots to Branches“ begeistern konnte; nach dem 3. Lied hatte ich einen Hänger. Aber bereits beim 2. Hören wird man ‚vertrauter’. Und es gibt einige Lieder, die mir dann sogar ganz gut gefallen (z.B. „Beside Myself“, das ich durch die Videoaufnahmen schon etwas näher kenne, und „Another Harry ’s Bar“). So ganz Unrecht hat der gute Herr Weber allerdings nicht – die Arrangements sind äußerst ausgefeilt wie kaum auf einem anderen Tull-Album und bieten dabei den Mitspielern doch viel Raum zur Entfaltung.

In Deiner Beurteilung bezüglich der mageren Reaktion auf den Weber’schen Beitrag End game – Jethro Tull im Halbschatten im Laufi-Forum gebe ich Dir voll und ganz Recht. Es ist zudem eine Sichtweise, eine Perspektive, die dem Leser unvertraut sein dürfte (wer als Frosch plötzlich die Welt von oben sieht, der dürfte sehr erstaunt gucken – „mit offenem Mund“ wie Du schreibst).

Und: Was die besonderen Ereignisse in der Menschheitsgeschichte anbelangt, da könnte es doch einiges geben, nur wären das im eigentlichen Sinne keine „besonderen Ereignisse“: Ich wäre z.B. gern einmal Franz Kafka begegnet, einfach um einmal diesen im vollen Wortsinne ‚merkwürdigen’ Menschen live erlebt zu haben. Und da gäbe es noch einige andere Menschen, die leider nicht mehr unter uns weilen.

Ja, nur noch drei Wochen bis Weihnachten. Hast Du bereits alle Geschenke für Deine Lieben im Sack? Mein Weihnachtsgeschenk steht ja bereits auf meinem Schreibtisch (der neue Bildschirm, weil der alte den Geist aufgab).

Jan hat heute Geburtstag und wird 16 Jahre alt. Um 19 Uhr kommt eine ganze Horde Jugendlicher und bevölkert dann den Abend unseren Keller. Also genug für heute.

Ich wünsche Dir und Deinen Lieben ein schönes Adventwochenende.
Bis bald
Wilfried

01.12.2006

English Translation for Ian Anderson

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!