Was ist bloß mit Ian los? Teil 44: Erste und letzte Konzerte

Hallo Wilfried,

geht es Deiner Schwiegermutter ein wenig besser ? Konnte sie das Krankenhaus in der Zwischenzeit verlassen ? Zwar haben wir bereits über die unselige Knallerei ausgelassen, aber ich habe noch heute matschige Überreste der Neujahresfreude auf der Straße gesehen. Das ist schon bemerkenswert.

Die Übersetzung des Shakespeare-Sonetts ist in der Tat genial. Hier wird sehr deutlich, dass der Übersetzer sich nicht nur in der Fremdsprache bestens auskennen muss. Er muss mindestens genau so sehr ein Meister der Muttersprache sein (…soll das Werk den Meister loben). Mr. Anderson ist nicht Shakespeare, das ist wohl wahr. Allerdings ist beiden Lyrikern gemein, dass mir ihre Werke größtenteils verschlossen bleiben. Ich finde die Übersetzung des Sonetts schön, wirklich angenehm zu hören, es schmeichelt dem Trommelfell. Aber der tiefere Sinn dahinter, also die Absicht des Verfassers, bleibt mir verborgen. Dieser Sinn ginge mir vielleicht auf, wenn ich mich mit dem Text intensiver befassen würde. So, wie wir es früher in der Schule machen mussten. Aber dazu fehlt mir Muße und vor allem Interesse. In vielen Dingen der schöngeistigen Ideale bin ich ein grober Klotz und bedauere das nur wenig.

Ian mit Songbook

Erstaunlich finde ich, dass Du das Kaufdatum Deiner ersten JT – Platte behalten hast. Auch wenn das Datum recht markant ist, ich hätte es längst vergessen. Ich kann mir nicht mal den Hochzeitstag merken. Ich könnte in der Innenseite des Rings nachsehen, aber meine Augen können die Gravur nicht mehr erkennen. So geht das, wenn man älter wird. Vom Adlerauge zum Hühnerauge. Ich will Deine Gedächtnisleistung nicht in Abrede stellen, aber die erste JT-Platte muss schon einen ziemlich starken Eindruck bei Dir hinterlassen haben, wenn Dir das Datum noch so gegenwärtig ist. Zwei 6en, zwei 9en. Vielleicht könnte ein Kabbala-Experte hier eine besondere Bedeutung herausfinden, wer weiß ?

Hinter das Geheimnis der rückwärts gespielten Flöte bin ich auch noch nicht gekommen. Akustisch jedenfalls konnte ich keine Hinweise darauf entdecken.

Das Konzert auf der Isle of Wight kenne ich in kurzen Auszügen. Vielen Dank für die Übersetzung des Interviews. Mir sind dabei zwei Dinge aufgefallen: Der Meister kokettiert damit, dass nur er und ein Gott einbeinig flöten und er hat die Fingernägel unnötig lang. Aber das hat er wohl auch mit Krishna gemeinsam.

Eine schöne Woche wünscht Dir
Lockwood

13.01.2007

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Hallo Lockwood,

meiner Schwiegermutter geht es soweit ganz gut. Sie kommt aber frühestens nächste Woche aus dem Krankenhaus und muss dann auch gleich zur Reha. Und was macht Dein Sohn? Alles wieder verheilt?

Mit Gedichten (und Liedertexten) tue ich mich auch schwer. Ich habe zwar schon viele Gedichte gelesen, aber wenn man sich nicht intensiv damit beschäftigt, wie Du richtig erkannt hast, dann erschließt sich einem der tiefere Sinn nur wenig. Schule und Pflichtlektüre: Das ist ein eigenes Thema. Vielen Schülern wurde dadurch das Lesen vergrault. Erstaunlich dabei, dass viele Bücher über Jahrzehnte Pflichtlektüre der deutschen Schulen bleiben (so muss Jan oft das lesen, das ich schon lesen musste). Mehr Auswahlmöglichkeiten wäre sicherlich nicht schlecht.

Das mit dem Kaufdatum ist eigentlich ganz simpel und hat nicht mit meinem ebenso löchrigen Gedächtnis zu tun (wie Deines). Zum einen war es wirklich die erste Scheibe, die ich mir gekauft habe. Alles andere an Musik interessierte mich bis dahin nicht so sehr, um Geld dafür auszugeben. Ich weiß das Datum aber einfach daher, weil ich es mir auf die papierene Innenhülle der LP aufgeschrieben habe. Als Sammlertyp neigt man wahrscheinlich dazu, eine gewisse Ordnung dadurch zu erhalten, indem man bestimmte Daten dauerhaft festhält. Da ich ganz entgegen dem Anschein kein gutes Verhältnis zu Jahreszahlen habe, hilft es schon einwenig, die eigene Biografie anhand solcher ‚aufgeschriebener’ Daten nachvollziehbar werden zu lassen. Sollte ich hier ohne solche Hilfsmittel einen möglichst genauen Lebenslauf von mir aufschreiben müssen, so wüsste ich auf der Stelle mein Geburtsdatum, alles andere wäre aber schon ‚geraten’. Trotzdem finde ich das Kaufdatum (der LP „Stand Up“) schon erstaunlich: 06.09.96. Ein Kabbalist würde mit Sicherheit einen bestimmten Bezug herstellen können.

Die „Isle of Wight“-DVD halte ich in erster Linie für ein außergewöhnliches Zeitdokument. Neben dem Auftritt von Jethro Tull erfährt man einiges vom Drumherum dieses europäischen „Woodstock“. Erstaunlich auch, wie aus dem alten Filmmaterial doch eine akzeptable DVD wurde (ähnlich verhält es sich ja auch mit der Tullavision-Tampa-DVD). Ich will Dich durchaus zwicken: Beide Scheiben sind ein Muss für echte Tull-Fans. Aber Du bist ja ‚nur’ ein temporärer Fan. Wenigstens war 1970 meine Zeit, wenn es auch noch knapp anderthalb Jahre dauern sollte, bis ich in Hannover mein erstes Konzert von Jethro Tull erlebte.

Mein erstes Tull-Konzert 1972

Wenn Du nichts zu meckern hast, dann bist Du nicht zufrieden, oder? Sei getröstet, diesen Spruch muss ich mir zu Hause auch öfter anhören. Also das mit den Fingernägeln ist mir nicht aufgefallen. Und so lang erscheinen sie mir nicht. Aber „unnötig lang“ sind sie schon für einen Musiker. Ich war, wie Du vielleicht weißt, vorletztes Wochenende mit meinen Söhnen in Hamburg zwecks Bummel durch diverse Geschäfte für Musikinstrumente. Da kam ich nicht umhin, mir auch die eine oder andere Klampfe (Gitarre, wie man im Musikerjargon sagt) zur Hand zu nehmen. Mit langen Fingernägeln lässt sie eine Gitarre wirklich schlecht spielen. Bei einer Querflöte mag es etwas anders sein. Nun, solche, ich sage einmal: äußerlichen Details entgehen mir meistens. Vielleicht bin ich nicht der Typ, der zu sehr Wert auf Äußerlichkeiten legt. Aber dafür haben wir ja Dich. Das soll keine Kritik sein, im Gegenteil. Dank Deiner in diesen Dingen besonderen Aufmerksamkeit sind wir ja bereits auf einige Details gestoßen, die interessante Aufschlüsse über Herrn Anderson gaben.

Und noch etwas zu Deiner Äußerung, Ian Anderson kokettiere „damit, dass nur er und ein Gott einbeinig flöten“. Der Meister erzählt in diesem Zusammenhang von der Vorliebe der Ziegenhirtinnen für den flötespielenden Gott. Ziegenhirtinnen vertrieben sich bekanntlich ihre Zeit neben dem Ziegenhüten mit Musik und beherrschten meist selbst ein Instrument. Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang zwischen dem flötespielenden Herrn Anderson und all den geigespielenden Damen. Ians Verschleiß an diesen Damen ist doch ziemlich groß. (im unten erwähnten Anderson-Tagebuch steht u.a.: Lucia M, AMC and AP are ladies of the night. Allerdings beachte: … of … und nicht …for…).

In diesem Zusammenhang verweise ich auf die jetzt wohl offiziellen Tourdaten für Juni/Juli 2007 – „Acoustic and Electric Tull in Europe (Deutschland)“, wohl bemerkt: ELECTRIC !!! Und ich wollte eigentlich schon immer einmal zur Kieler Woche (nicht ernsthaft!). Liest man Ians Diary für Januar 2007, dann erfährt man neben ‚ausführlichen Ausführungen’ zu Damen und Herren, die Geige spielen oder spielten, leider nichts Genaues zur Besetzung der Tour. Martin Barre dürfte auf jeden Fall dabei sein. Aber ich habe das erst quer gelesen, was Anderson da schreibt.

Ach nee doch: Bei den Tourdaten steht es unzweideutig (oder täusche ich mich da):

From my regular touring band who accompany the orchestral and other solo shows come John O’Hara on piano and accordion, David Goodier on acoustic and electric bass guitar and James Duncan on drums and percussion.

German guitarist Florian Opahle is standing by for any dates Martin can’t do.
Playing 6-string and acoustic violins, Anna Phoebe will join us in the UK and for European dates in the Summer …

Damit dürfte man Sohn James Duncan als reguläres Tull-Mitglied willkommen heißen, oder? Nicht das mich das alles jetzt ärgert, aber ich sehe schon wie die gute Shona heimlich Geige übt, um die Familienband bald vollständig zu machen (und eine Tochter gibt es da ja auch noch). Neben Herrn Anderson bleibt also nur noch Martin Barre, wenn er denn kann und nicht durch Florian ersetzt wird. Nichts gegen Old pal (young pal, actually) Florian (wie Anderson schreibt), aber wenn ich schon Jethro Tull sehen will, dann wenigstens mit dem alten Kumpel Martin.

Ich sehe schon, wir können die Gegenwart und (unmögliche) Zukunft der Gruppe Jethro Tull gegenwärtig und in Zukunft vernachlässigen. Beschäftigen wir uns weiterhin mit der ruhmvollen Vergangenheit dieser Gruppe.

Ich wünsche Dir auch eine schöne Woche
Wilfried

P.S. Nun geht mein Rechner doch im Reparatur (Garantiefall). Ich denke, dass das Netzteil eine Macke hat. Also eigentlich nichts Schlimmes. Aber ich sehe schon, wie ich wochenlang darauf warte, den Rechner zurück zu bekommen (d.h. vorerst keine neuen Videos von mir bei youtube.com usw.).

Übrigens: Dank für das nette Bildchen vom Songbook samt Anderson. Du willst mich wirklich langsam neidisch machen, oder?

16.01.2007

English Translation for Ian Anderson