Nach dem Album The Key (1983) erschien Anfang 1985 Secret Secrets, das letzte Album, das Joan Armatrading nicht selbst produzierte. Diesmal war Mike Howlett der Produzent (1950 auf einer der Fidschi-Inseln geboren), der hauptsächlich für Gruppen der Genres Progressive Rock und New Wave arbeitete, musikalische Einflüsse, die meiner Meinung nach auch auf diesem Album zu hören sind.
Secret Secrets wurde in den Battery Studios (früher bekannt als Morgan Studios), in Willesden, London aufgenommen und abgemischt. Hier wurden auch Alben wie Stand up (1969), Benefit (1970), Thick as a Brick (1972), A Passion Play (1973), War Child (1974) und Songs from the Wood (1977) von Jethro Tull – aber auch schon Joans 2. Album Back to the Night (fast zeitgleich 1974 mit Jethro Tulls War Child – vielleicht sind sich Joan und Ian Anderson öfter über den Weg gelaufen) aufgenommen. Die Lieder wurden von Joan Armatrading alle nicht nur komponiert, sondern auch arrangiert (z.B. auch die Streicher- und Bläsersätze), sodass Mike Howlett erkannte, dass Joan eigentlich keinen Produzenten brauche. Ab dem nächsten Album sollte sie dann auch selbst die Produktion übernehmen. Beim Erscheinen des Albums hatte Joan Armatrading bereits ihr eigenes Studio eingerichtet, das sie Bumpkin Studio nannte.
Wieder scharte Joan Armatrading eine Reihe bekannter Studiomusiker um sich, die zuvor von ihr und dem Produzenten ausgesucht wurden. Namhaftes Beispiel: Joe Jackson, der auf „Love by You“, ein sehr schönes, langsames Stück, das Klavier spielt. Das Foto von Joan auf dem Cover wurde vom bekannten New Yorker Fotografen Robert Mapplethorpe aufgenommen. Die Scheibe erreichte Platz 14 in den UK Album Charts und Platz 73 in den USA.
Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert)
Seite 1:
1. „Persona Grata“ – 4:44
2. „Temptation“ – 4:03
3. „Moves“ – 4:12
4. „Talking To The Wall“ – 4:31
5. „Love By You“ – 3:13
Seite 2:
1. „Thinking Man“ – 4:05
2. „Friends Not Lovers“ – 4:00
3. „One Night“ – 4:59
4. „Secret Secrets“ – 3:28
5. “Strange“ – 3:52
Ohne Zweifel gelang Joan Armatrading wieder ein deutlich besseres Album als z.B. „The Key“. Dazu trug auch eine ausgewogenere digitale Aufnahmetechnik bei. Natürlich mischt Joan auch hier wieder die verschiedensten musikalische Stile. Aber trotzdem hat sie sich für mich zu weit von der Spontaneität und vor allem Originalität ihrer früheren Alben entfernt. Vielfalt, gar Vielfältigkeit zeigte sie (man möge mir verzeihen) mehr in ihren Outfits als in ihrer Musik. Produzent Howlett wollte ursprünglich mehr Blues und Folk, ähnlich wie auf Joans 3. Studioalbum Joan Armatrading, das er zu seinen Favoriten zählte.
Das Album hat im Wesentlichen fehlgeschlagene oder problematische Beziehungen zum Thema. Die ersten drei Lieder handeln davon, wie sich jemand in der Macht eines anderen befindet.
Wie schon kurz erwähnt, ist der Einfluss z.B. von Progressive Rock (durch den Produzenten) unverkennbar, besonders beim ersten Stück „Persona Grata“. Das erinnert an Rock-Epen der 70-er Jahre – und im Mittelstück klingt es für mich teilweise wie die Gruppe Yes mit ihrem Sänger Jon Anderson. Ja, Joan klingt fast wie Jon – ihre Stimme kommt bei diesem Lied gut zur Geltung.
Joan Armatrading – Persona Grata (Miami Vice)
Dann kommt eine Single-Auskopplung, die zwar mit Bläsern aufwartet, mich aber irgendwie an ABBA erinnert. Hier eine Aufzeichnung des Liedes aus dem deutschen Fernsehen (und noch ein anderes Video).
Joan Armatrading – Temptation – P.I.T. – Peter Illmanns Treff – 1985
Hierzu gibt es dann auch den Mitte der 80-er Jahre üblichen Videoclip:
Joan Armatrading – Temptation (Videoclip)
„Moves”, das dritte Stück, erscheint mir nur ziemlich aufgemotzt und glänzt dann immerhin durch eine Mundharmonika, die Joan eingespielt hat. – „Talking to the Walls“ gefällt mir dann doch wieder um einiges besser. Anfangs und im Mittelteil (und auch später noch einmal), also in den etwas langsameren Passagen, klingt es besonders durch die Bläsersätze jazzig angehaucht, um in den schnelleren Passagen durch südamerikanische Rhythmen kräftig zu swingen. Hier eine Videoaufnahme eines bassspielenden Freaks (Fan des Bassisten Pino Palladino):
Tribute to Pino Palladino – Joan Armatrading – Talking to the Walls
Die erste Seite (damals LP) endet wohl mit dem schönsten Lied dieses Albums: “Love by You”. Das Lied ist sehr einfach arrangiert: nur mit Klavier, wie bereits erwähnt gespielt von Joe Jackson, und dem Gesang von Joan Armatrading. Joan hatte auf diesem Album darauf verzichtet, selbst in die Tasten zu hauen.
Joan Armatrading – Love By You
Die zweite Seite beginnt dann mit „Thinking Man“, wieder mit Bläsersätzen und im Stile von New Wave. Im Mittelstück klingt es für mich etwas schräg durch einen etwas ‚seltsamen’ Melodiebogen. – Es folgt „Friends not Lovers“ – für mich ist das ziemlich disco-mäßig angehaucht, hat aber ein hörenswertes Saxophon-Solo. Überhaupt spielt das Saxophon bei Joan Armatrading eine bis heute nicht unwesentliche Rolle. Ziemlich neu sind dagegen die Bläsersätze – und der Griff von Joan zu einer blues-mäßig gestimmten Mundharmonika.
Weiter geht’s mit „One Night“, einem langsamen ‚Engtanz’-Stück, das ich besonders durch die Stimme von Joan (‚wie in alten Zeiten’) hörenswert finde. Was vielleicht etwas nervt, sind die ‚mystisch’ klingen Keyboards:
Joan Armatrading – One Night [Great guitar solo by Les Davidson]
Dann kommt der Titelsong, der inhaltlich von Joan selbst handeln soll. Es geht hier Richtung Punk, was ich aber dann doch eher für New Wave halte (die musikalischen Wurzeln sind aber fast die gleichen). Auch hier nervt (noch einmal) das Keyboard und der Bass (Popping).
??? Joan Armatrading – Secret Secrets ???
Und wieder endet auch diese Scheibe mit einem langsamen Lied „Strange“ (leider kein Video im Internet verfügbar) und bildet damit den akzeptablen Abschluss einer leider wieder nicht immer gelungenen Scheibe. Es sticht kein Stück wirklich heraus, außer „Love by You“. Und zurecht wurde es als ziemlich ‚überproduziert’ kritisiert, d.h. es ist mit vielen Effekten zu sehr aufgemotzt. Ein Kritikpunkt, der auch für spätere Alben noch gelten soll. Erst mit ihren letzten Alben (die sie dann ja auch – fast – im Alleingang aufgenommen hat) sind die Arrangement in ihrer Instrumentenfülle abgespeckt, laden dafür in ihrem Raffinement zum Hören ein.