Fast wäre ich von der Couch gefallen: Am Wochenende sah ich Herrn Grosse-Brömer (CDU), den Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises Harburg, in den Heute-Nachrichten des ZDF, wie er sich dort über den „Stinkefinger“ von Herrn Peer Steinbrück mokierte. Ich würde Herrn Grosse-Brömer öfter im Fernsehen sehen und wie er sich dort über wichtigere Themen auslässt. Er ist u.a. Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremium. Mitglieder dieses Gremiums sind berechtigt, jede Dienststelle der deutschen Nachrichtendienste Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz sowie des Militärischen Abschirmdienstes zu betreten und Akteneinsicht zu fordern. Mit Blick auf die Ausspähaffäre gäbe es da sicherlich genügend Handlungsbedarf. Aber wo beginnen, welche Fragen stellen, wenn man als ehemaliger Rechtsanwalt und Notar offensichtlich keine Ahnung von der Materie hat. Nicht nur ich denke, dass das Kontrollgremium bei der Späh-Affäre versagt hat.
Am Sonntag sind Bundestagswahlen (BTW). Und viele Wahlberechtigte haben sich entschieden, NICHT wählen zu gehen, eine bei vielen bewusste Entscheidung, die ich immer besser nachvollziehen kann, hat man – ich weiß, ich wiederhole mich – die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen Merkel und Steinbrück. Im Oktober letzten Jahres fragte ich mich bereits, ob Steinbrück die richtige Wahl ist. Okay, er hatte seine Nebeneinkünfte offen gelegt. Dafür trat er aber von einem Fettnäpfchen ins andere – zuletzt sein „Stinkefinger“, sodass ihn natürlich die Konkurrenz (siehe Grosse-Brömer) die Kanzlerfähigkeit abzusprechen meinte. Irgendwie erscheint mir Herr Steinbrück gerade wegen mancher verkokster Sprüche und Gesten ehrlicher zu sein als unsere Kanzlerin, die mit ihrem Ottilie Normalverbraucher-Image immer noch bestens in der Gunst der Bürger dasteht (Warum eigentlich? Fragt sich inzwischen auch Frau Gesine Schwan: „Wenn der Habitus so wirkt, als wäre sie harmlos, freundlich, eine unserer Nachbarinnen, ohne irgendwelche politische Korruptionen, ohne Machogehabe, dann überträgt sich das, was eigentlich politisches Vertrauen sein müsste, auf die Person.“). So setzt die CDU natürlich auf die Person Merkel, denn ginge es um Sachthemen, dann hätte sie Probleme, diese den Bürgern verständlich zu machen.
Zurück zu den NICHTwählern: Bis zu 15 Prozent der Nichtwähler sind systemkritisch. Die Partei der Nichtwähler (letzte BTW 2009) stellte immerhin 29,2 % und damit die stärkste „Fraktion“ (rechnerisch hätten CDU/CSU statt 33,8 % der gültig abgegebenen Stimmen nur 23,9 % aller Wahlberechtigten). Fast jeder dritte Bürger geht also nicht wählen. Für einen Großteil ist es völlig egal, wer regiert. Und die Unterschiede besonders zwischen den großen Parteien erscheinen marginal.
Zudem sieht es so aus, als würde nicht die Politik über unsere Zukunft entscheiden, sondern andere, z.B. die Industrie, die Banken oder Geheimdienste, die sich offensichtlich verselbständigt haben und so etwas wie einen Staat im Staate bilden. Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn man sieht wie z.B. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) den großen Energiekonzernen und der Industrie Subventionen in Milliardenhöhe gewährt, während Privathaushalte und der Mittelstand die Rechnung begleichen.
Aber gerade weil die jetzige schwarz-gelbe Koalition dermaßen am Nabel der Wirtschaft hängt, muss man versuchen, dem entgegenzuwirken, und wenn es auch nur dadurch sei, dass man das kleinere Übel wählt. NICHTwähler verzichten auf ihren Einfluss etwas gegen eine Politik zu tun, die sie nicht haben wollen.
Zeig’s ihnen, kreuzweise
Ich empfehle daher, notfalls auf die Erststimme zu verzichten. Die kommt in fast allen Fällen nur den großen Parteien zugute und wirkt sich am Ende höchstens in so genannten Überhangmandaten aus, die wirklich nicht gebraucht werden. Wer schon nicht Pest oder Cholera wählen möchte, sollte auf jeden Fall eine der kleinen Parteien wählen, evtl. sogar Parteien, die den Prognosen zufolge keine Chance haben, die 5 %-Hürde zu nehmen (man stelle sich einmal vor, alle Nichtwähler gingen wählen und wählten z.B. „die Partei“ des Herrn Sonneborn).
Ein gutes Argument haben allerdings NICHTwähler: Wer nicht zur Wahl geht, erspart dem Steuerzahler Geld, die ansonsten für seine Stimme als Wahlkampfkostenerstattung an die gewählte Partei geht.