Ein großer Freund von Fernsehserie bin ich heute nicht mehr. Okay, da gibt es die Sendereihe Tatort, die ich mir immer wieder gern anschaue. Aber das sind ja auch (fast) immer abgeschlossene Folgen. Ausnahmen gab es im letzten Jahr mit der Doppelfolge aus Hannover: Wegwerfmädchen und Das goldene Band und in diesem Jahr mit zwei Folgen, die zwar von den Fällen her abgeschlossen waren, aber dann doch inhaltlich irgendwie zusammengehörten: Puppenspieler und Er wird töten. Eine große Ausnahme war jetzt die erste Staffel der US-amerikanischen Serie Bates Motel, die Vorgeschichte zu Hitchcocks Psycho. Da sie ‚nur‘ aus 10 Folgen bestand, habe ich mir Folge für Folge angeschaut. Aber typisch für solche Serien gab es nie abgeschlossene Folgen und Folge 10 schloss dann auch mit einem Open End ab. Staffel 2 ist wohl schon in den Startlöchern.
In jungen Jahren war es schon etwas anderes. Da gab es Serien, immer mit abgeschlossenen Folgen, die mich schon interessierten und bei denen ich möglichst keine Folge auslassen wollte. Diese Serien gab es aber auch höchstens nur einmal die Woche. Ich erinnere mich an Solo für O.N.C.E.L. oder Rauchende Colts. Und natürlich an Mit Schirm, Charme & Melone, eine Serie, die ich noch heute als meine Lieblingsserie bezeichnen kann. Nicht umsonst habe ich in diesem Blog öfter schon über die Helden, die Geheimagenten John Steed und Emma Peel, berichtet.
Nun im deutschen Fernsehen wurde die Serie zunächst erst ab der Staffel 4 gesendet. Die Staffel 4 (noch in schwarz/weiß) und dann die Staffel 5 (in Farbe) sind die Folgen, in denen neben John Steed (Patrick Macnee) jene unverwechselbare Emma Peel (Diana Rigg) auftrat. Wie ich an anderer Stelle erwähnt habe, so haben diese beiden (Steed und Peel) meine Vorliebe für (fast) alles Britische maßgeblich beeinflusst.
Aber es gab ja zuvor bereits drei erste Staffeln mit insgesamt 78 Folgen, die man uns deutschen Zuschauern jahrelang vorenthielt. Arte sei dank wurden dann vor nun fast wieder drei Jahren ab dem 6. Dezember 2010 immerhin 54 Folgen dieser ersten drei Staffeln erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt, von der zweiten und dritten Staffel alle jeweils 26 Folgen. Nur von der ersten Staffel gab es lediglich zwei Folgen, die anderen der 1961 live im britischen Fernsehen übertragenen Serie sind verloren gegangen. 48 dieser 54 auf Arte gesendeten Folge habe ich mir damals aufgezeichnet. Und endlich in diesen Tagen bin ich fertig geworden, diese so nach und nach anzuschauen.
Es war interessant zu sehen, wie sich so eine Reihe mit der Zeit entwickelt, wie die Charaktere sich gewissermaßen dem Zeitgeist anpassen, wie aber auch die Technik eine große Rolle spielt. Wie gesagt, zunächst wurde nach wenigen Proben eine Folge live aus dem Studio übertragen. Das spart Kosten, hat aber auch zur Folge, dass zumindest kleinere Pannen nicht zu vermeiden sind: ein Mikro kommt ins Bild oder der Schatten eines Kameramannes. Leider gibt es nur noch diese zwei Folgen der ersten Staffel.
Was lange die deutschen Zuschauer irritiert hat, das war der englische Name der Serie: The Avengers – die Rächer. Als die Serie 1966 mit der 4. Staffel nach Deutschland kam, kannte ja niemand die Vorgeschichte. Dabei fing alles im Januar 1961 mit der Folge 1 Hot Snow an: Durch ein irrtümlich in seiner Praxis abgegebenes Päckchen Heroin kommt Dr. David Keels Verlobte, seine Sekretärin Peggy, ums Leben. Dr. Keel beschließt, ihren Tod zu rächen. Bei seinen Recherchen lernt er den mysteriösen Geheimagenten John Steed kennen und tut sich mit ihm zusammen.
Seit dem sehen wir Patrick Mcnee in 187 Folgen, aufgeteilt in acht Staffeln, bis 1977 als Geheimagenten John Steed über den Bildschirm huschen. Richtig ist, dass er eigentlich in 186 Folgen auftritt, denn die Folge 6 der ersten Staffel (einer der beiden erhaltenen Folgen) ist die einzigste, in der John Steed nicht zu sehen ist. Auch später gab es immer wieder Folgen, in denen er nur anfangs oder am Ende auftaucht, ansonsten die Folge lang seine Partnerin (z.B. Emma Peel oder Tara King) die Kämpfe auszutragen hat. Mit den einzelnen Staffeln wechselten aber seine Partner. In Staffel eins ist es der bereits genannte Dr. David Keel, der auch zunächst die eigentliche Hauptrolle spielte. Aber zunehmend verlagerten sich die Sympathien des Publikums auf die Figur des geheimnisvollen Agenten, auf John Steed. In der zweiten Staffel finden wie neben Steed statt Dr. Keel Dr. Martin King abwechselnd mit der Sängerin Venus Smith und die Anthropologin Dr. Catherine Gale, gespielt von Honor Blackman, deren bekannteste Rolle die der „Pussy Galore“ im James-Bond-Film „Goldfinger“ war. Cathy Gale spielte dann auch in der 3. Staffel neben John Steed die Hauptrolle und ist die direkte Vorgängerin von Emma Peel. Wie Emma Peel so beeindruckt diese Cathy Gale durch Charme, Wissen, Schlagkraft und Selbstbewusstsein. Ähnlich wie Emma Peel kann man sie als emanzipierte Frau ansehen. Ganz gleichrangig (wie Emma Peel) ist sie John Steed gegenüber vielleicht noch nicht. Steed ist der Tonangebende, der die Rollen vergibt, die ihre nimmt Mrs. Gale oft nur unwillig entgegen. Steed jubelt ihr die Aufträge gern mit gewissen Tricks unten. Dann kann sie aber nicht nein sagen. Nur am Ende der 78. Folge (und damit dem Ende der 3. Staffel) lehnt sie so einen ‚Auftrag’ ab und fährt in Urlaub. Damit endet dann auch der Auftritt der Catherine Gale. Ab Folge 79 übernimmt Emma Peel die Rolle des weiblichen Partners.
Aber ich greife vor. So möchte ich am Rande dem Interessierten ein Buch von Franziska Fischer vorstellen: „Mrs. Peel, wir werden gebraucht!“ Mit Schirm, Charme und Melone. Das Buch zur Serie. Hier findet der Serien-Fan viel Material zu John Steed und Co. Ein Episodenführer beschreibt Inhalt, Darsteller usw. aller Folgen. Und so nebenbei sei auf ein kleines Problem hingewiesen: Es gibt nämlich eine unterschiedliche Nummerierung der Folgen (die bei de.wikipedia.org oder www.fernsehserien.de weicht von der des Buches ab. Die Reihenfolge im Buch entspricht z.B. der Reihenfolge der TV-Ausstrahlung bei Arte).
Wer John Steed als Gentleman mit Melone und Schirm und natürlich seinem unverkennbaren Charme an der Seite von Emma Peel kennt, wird sich wundern, welches Raubein Steed z.B. noch in der ersten Staffel war. Statt Melone trägt er höchstens Hut, statt Schirm eine Pistole und statt maßgeschneiderte Anzüge einen eher zerknitterten Trenchcoach, „die unverzichtbare Zigarette im Mundwinkel. Bis zur Emma-Peel-Ära entwickelte er sich dann zu einem ultra-britischen, kultivierten und edel gewandeten Gentleman, der pure Gewalt verabscheut und dessen wichtigste Waffen Scharfsinn und Ironie sind.“ Keiner wäre auf die Idee gekommen, der Serie den heute geläufigen deutschen Titel „Mit Schirm, Charme und Melone“ zu geben. Aber schon damals floss „der Alkohol in Strömen und es sind immer Frauen zugegen – zwei Laster, denen sowohl Hendry [als Dr. David Keel] als auch Macnee [John Steed] frönen. Die beiden treiben ihre Drehbuchautoren an den Rand des Wahnsinns, da sie Abgedroschenes zugunsten von Bizarrem und Ungewöhnlichem ablehnen. Und so entsteht die Welt der Avengers, irgendwo zwischen einem Spionagethriller à la Ian Fleming (James Bond wurde zu dieser Zeit noch nicht verfilmt) und einer surrealistischen und gestörten Vision von England.“
Sind die ersten Folgen trotzdem noch eher konventionell, so entwickelt sich die Serie spätestens mit der dritten Staffel zu dem, was wir dann mit den Auftritten von John Steed mit Emma Peel (4. und 5. Staffel) und den noch folgenden drei Staffeln kennen gelernt haben. Alles wird noch surrealistischer, noch bizarrer, aber auch witzig mit einem oft ironischen Unterton: einfach ungewöhnlich.
Es hat lange gedauert, bis sich endlich zum 50. Jahrestag des Serienbeginns der TV-Sender Arte der ersten drei Staffeln angenommen hat. Die deutsche Fassung ist sicherlich moderner im Tonfall, aber immer geistreich und zutreffend. Für rund 110 € gibt es jetzt eine Sammlung von 53 DVDs (eine DVD kostet also nur etwas mehr als 2 €) der gesamten (noch vorhandenen) Serie. Diese lässt sich aber auch in Einzelpaketen ordern: Mit Schirm, Charme und Melone.
Für Patrick Macnee war die Rolle des John Steed sicherlich die Rolle seines Lebens. Aber auch Diana Rigg ist uns in erster Linie durch ihre Rolle als Emma Peel bekannt geworden. Die vorhandenen Parallelen zu James Bond habe ich bereits angesprochen. So ist es fast schon nicht mehr verwunderlich, dass sowohl Patrick Macnee als auch Diana Rigg in jeweils einem James Bond-Film mitgewirkt haben – natürlich immer auf der Seite des Guten.
Die 4. und 5. Staffel (eben die mit Diana Rigg als Emma Peel) habe ich ja bereits vor längerer Zeit nach langen Jahren erneut gesehen. Als nächstes folgt für mich zu Hause in meinem stillen Kämmerlein die 6. Staffel, in der Tara King 1968 mit der Folge „Auf Wiedersehen, Emma“ die Nachfolge von Emma Peel antritt. In dieser Folge wird Tara King als in Ausbildung befindliche junge „Agentin 69“ eingeführt. Gespielt wurde Tara King durch die kanadische Schauspielerin Linda Thorson. Aber dazu später mehr.