Seit über 18 Jahre fahre ich als Pendler werktags von Tostedt nach Hamburg und zurück. Aber so etwas wie gestern habe ich eigentlich noch nie erlebt: ein Orkan, der fast den ganzen öffentlichen Personennahverkehr in Norddeutschland lahmlegt. Eigentlich, denn ich habe nachgeschaut: Am 1. Weihnachtstag 2002 hatte ich mich mit Familie aufgemacht, um meine Eltern in Bremen zu besuchen. Damals behinderte Eisregen massiv den Zugverkehr. Der Zug aus Hamburg hatte zwar ‚nur’ 10 Minuten Verspätung, aber in Sagehorn war dann erst einmal Schluss. Durch den Eisregen hingen die Bäume in der Nähe der Gleise durch und streiften bei der Fahrt das obere Deck des Doppeldeckerzuges. Den Schaffner, der angeblich eine entsprechende Durchsage gemacht haben wollte, konnte ich beim Lokführer ausmachen, wohin er sich verdrückt hatte. Nach einer Wartezeit von rund 45 Minuten ging es dann im Schritttempo weiter. In Bremen hatten wir dann eine Verspätung von 80 Minuten. Abends bei der Heimreise war es nicht viel anders. Mit Maximaltempo 30 km/h ging es Richtung Heimat, die wir mit über einer Stunde Verspätung erreichten.
Durch den Orkan „Christian“, der teilweise mit über 190 Stundenkilometer über Norddeutschland fegte, fuhren für Stunden keine Züge des S-Bahn- und des Nah-, wie Fernverkehr in Hamburg. Bereits am Sonntag kündigten sich allem Anschein nach die Verkehrskatastrophe an, denn viele Züge hatten bereits Verspätungen. Gestern Morgen war nicht nur mein Nahverkehrszug vom Metronom verspätet, sondern auch die S-Bahn ab Hamburg Hauptbahnhof verkehrte unregelmäßig.
Gegen Mittag wagte ich gestern einen ersten Blick, um die Verkehrssituation zu sondieren. Da gibt es den Twitter-Account vom Metronom, über den meist (leider nicht immer) Verspätungen usw. gemeldet werden. Aktuelle Meldungen findet man natürlich auch über die Metronom-Website selbst. Ansonsten gibt es die Online-Reiseauskunft der Deutschen Bahn.
In den frühen Nachmittagsstunden gab es dann erste Streckensperrungen wegen ins Gleisbett gestürzter Bäume. Schon bald lief dann um Hamburg herum nichts mehr. Da mein Zug, mit dem ich von Hamburg Hbf. in Richtung Bremen fahre, aus Uelzen kommt, schaute ich nach, ob der unterwegs ist. Und nach Auskunft der Reiseauskunft der DB war er das. So wagte ich es, machte um 15 Uhr 45 Feierabend und ging zur S-Bahn-Station Sternschanze. Dort standen zwar Bahnen, aber der Verkehr war eingestellt. Also schnell zur U-Bahn Schlump und von dort zum Hbf. Aber den Zug aus Uelzen musste wohl der Abgrund geschluckt haben. Hier ging auch nach 16 Uhr nichts. Ich gönnte mir ein Fischbrötchen und fuhr zurück zur Arbeit. Was sollte ich sonst am Hauptbahnhof tun? Dort gönnte ich mir einen Tee, um gegen 17 Uhr 45 wieder loszudüsen und zwar gleich mit der U-Bahn. Die bereits genannten DB-Reiseauskunft verkündigte nämlich einen Zug um 18 Uhr 15 Richtung Bremen. Natürlich fuhr dieser Zug nicht. Dafür aber ein verspäteter Regionalzug (hält an jeder Milchkanne) nach Rotenburg (‚plan’-mäßige Abfahrtszeit war 17 Uhr 17). Und fuhr aus Sicherheitsgründen in ‚Langsamfahrt’ – wie es im Bahnjargon heißt. Als gewiefter Bahnfahrer konnte ich mir immerhin noch einen Sitzplatz erobern. Endlich mit 2 ½ Stunden Verspätung kam ich gegen 19 Uhr 15 zu Hause an. Das übertrifft dann doch deutlich den oben genannten weihnachtlichen Bremen-Ausflug von 2002.
In Hamburg bekam ich nicht viel vom Orkan mit. Selbst auf freier Kreuzung wehte es zwar kräftig, aber auch das ließ kaum vermuten, welche Schäden der Orkan anderweitig anrichtete. Daher war es sicherlich richtig, dass der Bahnverkehr eingestellt wurde. Was mich aber störte, war, dass trotz Internet keine klaren Auskünfte ausgegeben werden konnten. Wieder hatten Deutschen Bahn und die anderen Eisenbahngesellschaften keinen Plan, wie in einem solchen Notfall zu verfahren ist. Okay, der einzigste Plan hieß: Verkehr einstellen! Aber was dann kommt, wurde im Grunde dem werten Reisegast überlassen.
Die Bäume knickten gestern geradezu der Reihe nach wie Dominosteine um. Ich frage mich da, was Bäume in unmittelbarer Nähe von Gleisen zu suchen haben. Vielleicht sollten sich da die Planer und Erbauer von Bahngleisen (wenigstens zukünftig) an Deichbauern ein Vorbild nehmen. Ich habe nämlich noch nie Bäume in der Nähe von Deichen gesehen. Manchmal würde auch die Pflege allen Grünzeugs in der Nähe von Bahnanlagen sehr hilfreich sein (siehe Böschungsbrände in der Sommerzeit).
Nun, ein Orkan wie gestern weht nicht alle Tage über die Norddeutsche Tiefebene. In Tostedt wurde gegen 13 Uhr 30 ein Luftdruck von 981 hPa (Hektopascal) gemessen. Im August 2009 zog über Tostedt eine Gewitterfront, die uns den mir bisher tiefsten Luftdruck der letzten Jahre von 978 hPa in diesem beschaulichen Heideort bescherte.
Ich glaube es zwar nicht, aber vielleicht raffen sich DB und andere Bahngesellschaften endlich auf, um auch eine solche Ausnahmesituation in Zukunft halbwegs in den Griff zu bekommen. Der Hamburger Hauptbahnhof war überlaufen. Als ich zu meinem Zug wollte, musste ich mich an einer Traube Menschen vor dem Informationsstand der DB vorbeikämpfen. Inzwischen habe ich gehört, dass andere (z.B. nach Kiel) erst heute Morgen gegen 2 Uhr angekommen sind und für heute Urlaub eingereicht haben. Auf der Strecke Hamburg bzw. Stade – Cuxhaven geht noch immer nichts (Korrektur: ab 12 Uhr fahren wieder Züge zwischen Stade und Cuxhaven / Strecke Stade – Buxtehude ist aber weiterhin gesperrt). Und auch sonst ist immer noch mit Verspätungen zu rechnen. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass sich Katastrophen vorankündigen (siehe Bahnverkehr vom Sonntag) und dann noch lange nachhallen.