Wer wie ich werktäglich mit dem Zug fährt, kennt die freundlichen Durchsagen des Bahnpersonals: Es wird einem als Fahrgast eine gute Reise gewünscht. Und an fast jeder Haltestelle werden den aussteigenden Mitfahrern aufs Freundlichste ein schöner Tag ggf. eine gute Weiterfahrt gewünscht. Superzuvorkommend reagiert auch die Dame an der Kasse des Discounters. Ich weiß schon gar nicht wohin mit so viel Freundlichkeit.
Wie man sich denken kann, so ist diese Arschfreundlichkeit aufgesetzt. Die Sprüchlein sind vorgekaut und sollen dem Kunden die Illusion vermitteln, hier nicht nur zahlungskräftiger Kunde, sondern auch immer herzlich willkommener Gast zu sein. –
Arbeitskollegen kann man sich nicht unbedingt aussuchen. Man muss mit denen auskommen, die man hat. Nein, ich will nicht klagen. Ich komme mit meinen Arbeitskollegen durchaus zurecht. Nun habe ich da Berufsgenossen in Berlin, in unserer Hauptstelle. Mit denen verkehre ich fast nur per E-Mail. Während sich im schriftlichen Verkehr in unserem Haus in Hamburg ein eher unverbindliches und doch gut gemeintes „Hallo, Herr …“/„Hallo, Frau …“ als Anrede durchgesetzt hat, so beginnen unsere Kollegen in Berlin ihre Schreiben mit einem „Lieber Herr“/„Liebe Frau…“. Und zwar alle Kollegen. Ich denke, dass das nicht von ungefähr kommt. Wahrscheinlich sind sie Opfer eines Kommunikationskurses geworden oder gar einer Arbeitsanweisung. Danach sind sie also angehalten, die Mitarbeiter ganz allgemein als „liebe“ Kollegen anzusprechen. Und das steigert sich in seiner Freundlichkeit mit eigentlich unverbindlichen Formulierungen wie „es wäre nett von Ihnen, wenn …“ oder „vielleicht können wir das am … besprechen“ usw.
Wenn denn tatsächlich einmal eine oder einer unserer Kolleg(inn)en uns in Hamburg ‚heimsucht’, dann kommt diese Person immer mit ausgestreckter Hand und einem „Ach, lieber Herr …“ auf einen zugestürmt, um diese Anrede mit einem „wie geht es Ihnen!“ zu beenden. Da fällt mir eigentlich nichts zu ein. Sicherlich erkundigt man sich auch nach dem Befinden der Kollegen, aber nicht so formelhaft und immer wieder gleich. Das erinnert mich etwas an die Grußformel aus dem Angelsächsischen. Das dortige „How do you do?!“ erwartet eigentlich keine Antwort, sondern wird in gleicher Weise mit einem „How do you do?!“ beantwortet. Also eigentlich eine leere Floskel.
Ich habe überlegt, wie ich auf soviel Freundlichkeit antworten soll. Was die Anrede in Schreiben betrifft, dachte ich schon daran, zur absoluten Förmlichkeit zurückzukehren: „Sehr geehrte(r) Frau/Herr …“. Dann habe ich daran gedacht, das „lieb“ mit dem Komparativ „lieber“ zu steigern, also „Lieberer Herr/Frau ….“. Das ließe sich nach mindestens drei weiteren Schreiben mit dem Superlativ „Liebster Herr/Frau …“ intensivieren. Dem folgte dann nach mindestens fünf weiteren Mails ein „Allerliebste(r)“, dann sogar ein „Herzallerliebste(r)“ und zuletzt in Verbindung mit dem besitzanzeigendes Fürwort „mein“ ein „Mein(e) herzallerliebste(r)“. Dann täte allerdings auch der Austausch von Küsschen bei persönlichen Begegnungen Not.
Soweit will ich es dann doch nicht kommen lassen. Also bleibe ich beim „Hallo“ und antworte auf die Frage nach meinem Befinden weiterhin mit „Gut, und Ihnen?!“ oder „Gut, Sie wissen doch, schlechten Menschen geht es immer gut …?!“ oder „Es geht. Und was nicht geht, das wird geschoben …!“