Online-Petitionen-Inflation

Die einen protestieren gegen den Bildungsplan der Stuttgarter Landesregierung, andere wollen den Talkmaster Markus Lanz nicht mehr im Fernsehen sehen. Jeden Monat werden Hunderte Petitionen auf verschiedenen Online-Plattformen ins Leben gerufen. Alle sammeln Unterschriften. Nicht mühselig auf der Straße, sondern bequem im Internet. (Quelle u.a. heute.de).

Auch ich habe mich hier bereits öfter zu solchen Plattformen geäußert, allen voran zu AVAAZ, einer international tätigen Bürgerbewegung, die sich vor allem mit globalen Themen auseinandersetzt. Zudem habe ich mich an Kampagnen der globalisierungskritischen Organisation Attac beteiligt (siehe u.a.: Respekt, Herr Geißler bzw. de.wikipedia.org). Außerdem beteilige ich mich seit mehreren Jahren schon an Aktionen von campact.deDemokratie in Aktion! – ein Netzwerk, das inzwischen bereits über eine Million Menschen in Deutschland verbindet. Hier wie dort geht es um politische und gesellschaftliche Themen, die mich betreffen und für die ich einstehe.

    Globales Räderwerk

Bereits vor nun fast schon sechs Jahren schrieb ich hier: „[Man] kann … sich ganz einfach übers Internet an Aktionen und Kampagnen für mehr Gerechtigkeit beteiligen, z.B. avaaz.org. Die Globalisierung ist nicht zu stoppen. Nutzen wir daher die Instrumente, um selbst global mitzusprechen.“ (in: Globales Räderwerk)

Natürlich war es absehbar, dass das Instrument der Online-Petitionen auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens Anwendung findet – und darüber hinaus. Heute erleben wir eine Inflation an Online-Petitionen. Das führt dazu, dass jeder mit wenigen Mausklicks seine eigene Petition starten kann (z.B. über openPetition), ob sie nun Sinn macht oder nicht.

Und: Online-Petitionen sind ein Geschäft. Einnahmen gibt es unter anderem, wenn Nutzer eigene Initiativen bewerben wollen. Paula Hannemann, Leiterin der Online-Plattform change.org in Deutschland (auch hier beteilige ich mich öfter an Aktionen, die mir sinnvoll erscheinen, spricht von „Social Business“. Change.org beschäftigt 180 Mitarbeiter in aller Welt, Hannemann sagt, die Plattform arbeite kostendeckend. Monatlich werden in Deutschland bei change.org 390 neue Petitionen eingestellt, etwa viermal so viele wie ein Jahr zuvor. Weltweit sind es 25.000 pro Monat.

Die Berlinerin sieht in Online-Petitionen „eine Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern“, einen Gewinn für die Demokratie gerade in einer Zeit der Großen Koalition. Dass die Online-Petitionen jetzt selbst zum Thema geworden sind, findet Hannemann gut. Sie sieht darin einen Lernprozess. (Quelle: heute.de)

    Online-Petition gegen Broccoli

Ins Gespräch gekommen sind Online-Petitionen in diesen Tagen durch den Kabarettisten Dieter Nuhr und seinen Aufruf „Gegen digitales Mobbing, binäre Erregung und Onlinepetitionswahn“. Nuhr setzte seine Petition als humorige Antwort auf die Lanz-Debatte auf. Die Plattform openPetition fand das nicht lustig, erkannte eine Missachtung von Nutzungsbedingungen und löschte den Eintrag. Prompt startete Nuhr eine neue Initiative: „Für den Erhalt von Dieter Nuhrs Petition“. OpenPetition hat die Nutzungsbedingungen inzwischen geändert – Petitionen, die sich gegen Personen richten, werden nicht mehr zugelassen.

Durch diese Unzahl an Petitionen gesteht die Gefahr, dass wirklich wichtige Kampagnen nicht mehr den Erfolg erzielen, den sie selbst für mich unerwartet oft in der Vergangenheit erreichten. Online-Petitionen drohen, nicht mehr ernst genommen zu werden. Daher unterstützen bzw. initiieren Plattformen wie AVAAZ u.a. auch Demonstrationen oder helfen vor Ort, wenn es Not tut, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Ich schreibe das heute hier nicht, weil ich im Instrument der Online-Petitionen keine Zukunft mehr sehe. Nur dürfen Online-Petitionen nicht zum reinen Klick-Tribunal verkommen. Dem ist gegen zu wirken, möglichst von den Betreibern entsprechender Plattformen selbst. Schon früher habe ich längst nicht jede Online-Petition unterschrieben, ein Mindestmaß an politischer wie gesellschaftliche Relevanz sollte vorliegen.

Ich habe von Anfang an die Möglichkeit als irritierend empfunden, selbst schnell eigene Online-Petitionen auf den Weg zu bringen. Das muss ein Ende haben, auf jeden Fall anders gelöst werden.

Online-Petitionen müssen glaubwürdig die Ansichten einer hohen Anzahl von politisch interessierten Menschen spiegeln, ihre Absichten, unhaltbare Zustände schnellstmöglich zu ändern. Ansonsten verliert die „Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern“ schnell an Wirkung.

Natürlich ist die Wirkung von Online-Petitionen wie auch herkömmlicher Petitionen nur begrenzt. Man wird mit ihnen sicherlich nicht die Welt verändern. Aber manchmal hilft es vielleicht dann doch, wenn man die Finger in die Wunde legt …

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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